Das Porträt schwang zur Seite und gab den Blick auf einen schmalen Durchgang frei. Licht schaltete sich ein und zeigte einen Gang, der nach unten in die Dunkelheit führte. David grinste müde, als er neue Hoffnung in den Augen seines Freundes aufkeimen sah. »Ein Geheimgang. Owen hat mir davon erzählt. Hat ihm den Hintern gerettet, als sie ihn jagten. Er führt zu den Höhlen unter der Festung, in einen kleinen Hangar. Wir schnappen uns einen Flieger, geben Vollgas und verschwinden wie der Blitz, bevor sie überhaupt wissen, wie ihnen geschieht. Ich darf noch nicht sterben, Kit. Mein Volk braucht mich. Und wenn ich es schon nicht retten kann, dann kann ich es vielleicht einrichten, daß es gerächt wird. Weißt du, Kit, ich weiß jetzt, was meine Pflicht und Ehre von mir verlangen.«
»Du hast Fieber, David«, sagte Kit. »Komm, wir gehen.«
Sie kamen nur langsam voran. David stützte sich schwer auf Kit. Die Wunde hatte wieder heftig zu bluten begonnen, und wenn er hustete, was manchmal trotz der damit verbundenen Schmerzen unumgänglich war, dann sprühte Blut über seine Lippen. Aber er ging weiter. Er wollte einfach nicht aufgeben.
Ein Todtsteltzer gab niemals auf. In seinem Kopf drehte sich alles, und manchmal glaubte er, Owen sei bei ihm, manchmal Giles; doch wenn er für ein paar Augenblicke wieder klar denken konnte, war es stets sein Freund Kit Sommer-Eiland: der einzige wirkliche Freund, den David je gekannt hatte.
Sie erreichten das Ende des Ganges und blieben stehen. Kit spähte vorsichtig um eine Ecke in den Hangar und riß augenblicklich den Kopf zurück und warf sich in Deckung. Ein Disruptorstrahl krachte in die Wand, wo er noch Sekundenbruchteile zuvor gestanden hatte. Trümmerstücke wirbelten durch die Luft. David verlor das Gleichgewicht und fiel der Länge nach zu Boden, wobei er Kit mit sich riß. Sie lagen nebeneinander auf dem Steinboden und atmeten schwer. Kit feuerte seinen Disruptor blindlings nach draußen in den Hangar ab, damit niemand auf den Gedanken kam, sie wären wehrlos. Er suchte nach Davids Waffe und stellte fest, daß der Todtsteltzer keine mehr bei sich trug.
»David«, sagte er drängend. »Wo zur Hölle ist dein Disruptor?«
»Ich gab ihn Alice, unmittelbar bevor wir abgestürzt sind. Sie hat ihn noch immer.« David spuckte Blut und schnitt eine Grimasse. »Kit, ich habe gerade versucht, den Zorn heraufzubeschwören, aber nichts ist passiert. Ich habe keine Energie mehr in mir. Ich kann nicht mehr kämpfen. Ich kann nicht weiter.«
»Halt den Mund«, sagte Kit. »Wir warten , bis du wieder zu Atem gekommen bist , und dann gehen wir durch den Gang zurück.«
»Nein , ich gehe nirgendwo mehr hin, Kit. Mir ist kalt. Entsetzlich kalt.«
Kit setzte sich auf, lehnte sich mit dem Rücken an die Wand und wiegte David in den Armen. Er drückte ihn an sich, so fest es ging, und versuchte, den sterbenden Freund ein wenig zu wärmen.
»Wir hatten eine schöne Zeit, nicht wahr, Kit?«
»Die beste.«
»Schade um Alice. Und um Jenny.«
»Ja.«
»Laß mich hier zurück, Kit.«
»Was?«
»Sie wollen mich, nicht dich. Es wäre sinnlos, wenn du mit mir zusammen stirbst.«
»Ich kann dich nicht im Stich lassen, David. Du bist mein einziger Freund.«
»Dann tu, worum ich dich bitte. Stirb nicht umsonst, Kit. Töte mich, und dann geh zu ihnen nach draußen. Mein Tod wird dich wieder in die Gunst der Löwenstein bringen. Zeig ihr meinen Kopf, und sie macht dich wahrscheinlich sogar zum Lord von Virimonde. Schließlich bleibt ihnen nichts anderes übrig, als zu glauben, du wärst einer von ihnen.«
»David… bitte. Ich kann dich nicht…«
»Doch, Kit. Du kannst. Du mußt, Kit. Ich will nicht Stück für Stück hier sterben und schreien, wenn die Schmerzen unerträglich werden. Tu es, Kit. Sei mein Freund. Ein letztes Mal.«
Er hustete heiser. Blut spritzte über sein Kinn. Er wollte noch etwas sagen, aber er brachte keinen Ton mehr hervor. Kit hielt ihn in den Armen, bis der Hustenanfall vorüber war; dann zog er sein Messer und stieß es Kit mit einer geübten Bewegung ins Herz. David atmete in einem langen Seufzer aus und lag still.
Kit saß noch eine Weile da und wiegte den Leichnam in seinen Armen. David hatte recht. Die Imperatorin würde ihn mit offenen Armen aufnehmen. Er hatte den Todtsteltzer zur Strecke gebracht. Die Eiserne Hexe hatte schon immer eine Schwäche für ihren lächelnden Killer gehabt. Außerdem war es nicht so, als wäre ihm eine andere Möglichkeit geblieben. Die Rebellion war vorbei. Jeder Blinde konnte das erkennen. Und damit blieb nur noch die Löwenstein übrig. Kit war ein Killer, und er ge-hörte dorthin, wo andere den Tod fanden . Vorsichtig ließ er Davids Leichnam zu Boden gleiten und verschränkte die Arme des Toten über der Brust. Er zog das Schwert und beugte sich über David. Das Gesicht des jungen Todtsteltzers strahlte Frieden und Ruhe aus. Kit beugte sich vor und küßte David auf die blutigen Lippen.
»Mein geliebter David.«
Er richtete sich auf und hob das Schwert.
KAPITEL VIER
ALLE WEGE FÜHREN NACH GOLGATHA
Und so begann schließlich der große Krieg. Beinahe wie ein Zufall.
Die Liveübertragung von der Zerstörung Virimondes und dem Gemetzel, das die Imperialen Truppen unter der Bevölkerung angerichtet hatten, ging nach hinten los. Ein Aufschrei der Entrüstung und Wut ging durch das gesamte Imperium, als ein Planet nach dem anderen seine eigene mögliche Zukunft in den entsetzlichen Szenen sah, die sich auf den Holoschirmen ab-spielten. Welt um Welt versank in spontanen Aufständen, und aus Funken wurden Flammen, als die hereinkommenden Bilder an Schrecken immer mehr zunahmen. Die unteren Klassen gingen auf die Straßen; aus Protestkundgebungen wurden Unruhen, aus Unruhen Straßenschlachten, die sich gegen alles wandten, was auch nur annähernd danach aussah, als vertrete es Imperiale Autorität. Die begüterten Klassen fanden sich ebenso häufig mit auf der Straße, aufgerüttelt aus ihrer satten Selbstzufriedenheit durch Schock und Wut und Entsetzen, und sie alle waren bereit, lieber zu kämpfen und zu sterben, als geduldig dabei zuzusehen, wie ihre Welt das gleiche Schicksal der Mechanisierung ereilte wie Virimonde.
Die Untergrundbewegung ergriff die Gelegenheit beim Schöpf. Man entsandte Repräsentanten zu jeder Welt, zu der die Bewegung Zugang hatte, und beriet und führte die Aufständischen. Man lieferte Waffen, lenkte die Massen in die richtige Richtung und setzte lange geschmiedete Pläne in die Tat um. Schlafende Agenten tief in den Reihen der Imperialen erwachten zum Leben, begingen Sabotage, unterbrachen Kommunikationsverbindungen und verursachten ganz allgemein den größtmöglichen Schaden, den sie dem Imperium mit ihren Mitteln zufügen konnten. Die Streitkräfte reagierten damit, ihre Kasernen zu leeren und Truppen auf die Straßen zu entsenden mit dem Befehl, auf alles zu schießen, was sich bewegte. Vielleicht hätte es funktioniert, wenn nicht so viele Menschen wegen der Geschehnisse auf Virimonde außer sich vor Ekel und Wut gewesen wären. Sie waren weit über das Stadium hinaus, wo die Imperialen Truppen sie noch einschüchtern konnten. Männer und Frauen strömten auf die Straßen und bewaffneten sich mit allem, was sich nur irgendwie als Waffe verwenden ließ, und sie fielen in derartigen Zahlen über die Imperialen Truppen her, daß nicht einmal der massive Einsatz von Disruptoren sie aufhalten konnte. Überall im Imperium, auf jeder einzelnen Welt, tobten blutige Schlachten und Kämpfe in den Dörfern und Städten, und die Gebäude der Verwaltung brannten wie helle Warnfeuer und verkündeten noch Schlimmeres für die Zukunft.
In den Straßen verfluchten sie den Namen des Witwenmachers, rissen die Standbilder und Porträts der Eisernen Hexe von ihren Sockeln und heulten nach Rache für die Millionen Toten von Virimonde.