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Owen Todtsteltzer blickte sich unauffällig um und musterte seine Begleiter nachdenklich. Wie es schien, hatten sie alle in der kurzen Zeit, die sie voneinander getrennt gewesen waren, dramatische Veränderungen durchgemacht. Jakob Ohnesorg sah dreißig Jahre jünger aus, und er wirkte hart genug, um Blechdosen zu kauen und Nägel zu spucken. Er sah dem jungen Jakob sehr viel ähnlicher als zuvor, doch es war noch immer ein deutlicher Unterschied zu erkennen. An Jung Jakobs unverzagtem Heldenmut war etwas beinahe unnatürliches, als wäre er kein wirklicher Mensch, sondern ein Charakter aus irgendeinem Holodrama, der ohne Verlust seines Charismas aus dem Bildschirm und in die Realität getreten war. Im Gegensatz zu seinem älteren Selbst kam Jung Jakob daher, als hätte er in seinem ganzen Leben noch nie einen Zweifel gehabt oder einen Fehlschlag erlitten. Außerdem grinste er zuviel.

Owen vertraute niemandem, der so viel grinste. Es war einfach nicht natürlich, jedenfalls nicht in diesen Tagen und in dieser Epoche. Owen hatte noch immer nicht die leiseste Ahnung, wer Jung Jakob in Wirklichkeit war, höchstens einen Verdacht, und den behielt er für sich. Wenn der Mann ein Hochstapler war, dann ein verdammt überzeugender, und der Untergrund benötigte dringend Helden, um die Massen in die Schlacht zu führen.

Selbst dann, wenn sie halb wahnsinnig waren wie Johana Wahn. Owen machte sich Sorgen wegen ihr. Die Esper würden ihrem Kommando blind folgen, und das allein deswegen, weil sich einst die Mater Mundi, Unsere Mutter Aller Seelen, in ihr manifestiert hatte. Für die Esper war Johana Wahn eine Heilige – eine verrückte Heilige, aber nichtsdestotrotz eine Heilige – und es ließ sich nicht verleugnen, daß sie geradezu unglaublich machtvoll war. Wenn Johana richtig loslegte, erzitterte die Realität. Aber nach all den Foltern und Qualen, die sie durchgemacht und überstanden hatte, war ihr seelisches Gleichgewicht ein zerbrechliches, und es war nur eine Frage der Zeit, bevor sie unter dem Druck zerbrach. Owen hoffte nur, daß er weit weg und in Sicherheit war, wenn das geschehen würde.

Ruby Reise… ihr Anblick machte ihn so nervös wie immer.

Wäre sie nicht eine alte Freundin Hazels gewesen, hätte Owen sie wahrscheinlich längst erschossen, davon war er fest überzeugt, und wenn es nur aus Prinzip gewesen wäre. Ruby um sich zu haben war, als befände man sich mit einem paranoiden Kampfhund in einer engen Zelle, der sich von seiner Kette los-gerissen hatte. Am besten fuhr man noch mit Ruby, wenn es einem gelang, sie rechtzeitig in die richtige Richtung zu drehen und dann loszulassen. Man brauchte nur noch der Spur aus Leichen zu folgen .

Was Jakob Ohnesorg in ihr sah, blieb Owen ein Rätsel. Vielleicht lebte der Mann einfach nur gerne gefährlich. Man konnte nicht abstreiten, daß er einige ganz erstaunliche Veränderungen durchgemacht hatte. Es war, als hätte sein Körper die Zeit zu-rückgedreht und die vergangenen Jahren einfach ignoriert, so jung und vital schien er mit einemmal wieder geworden zu sein. Owen fragte sich, ob das für alle galt, die im Labyrinth gewesen und von ihm verändert worden waren. Und wenn es so war, wie lange sie alle leben würden… Owen versuchte sich ein zukünftiges Leben vorzustellen, das sich endlos vor ihm erstreckte. Ewige Jugend. Doch dann grinste er und schüttelte den Kopf. Viel wahrscheinlicher würden sie alle unten auf Golgatha sterben. Zuerst mußten sie das überstehen. Später konnte er sich immer noch Gedanken um die Ewigkeit machen.

Owen verdrängte die Vorstellung und konzentrierte sich statt dessen auf Ohnesorg. Der professionelle Rebell wirkte gerissen und tödlich, und er schien begierig zu sein, sich Hals über Kopf in die Schlacht zu stürzen, auf die er sein ganzes Leben lang gewartet hatte. Auch das machte Owen Sorgen. Eine derartige Entschlossenheit rührte in der Regel aus einer gefährlichen Sturheit. Manchmal dachte Owen, Jakob Ohnesorg würde über den Leichnam seines besten Freundes gehen, um den Sieg zu erreichen, den er so sehr herbeisehnte.

Owen verspürte Schuldgefühle, weil er solche Dinge über seine Freunde und Kameraden dachte. Er hatte damit begonnen, nachdem er auf der Nebelwelt entdeckt hatte, wie wenig er in Wirklichkeit über Hazel wußte, und jetzt schien er nicht mehr damit aufhören zu können. Es sah ganz danach aus, als hätten sie alle ihre geheimen Obsessionen und privaten Ziele, und das Gemeinschaftsgefühl, welches das Labyrinth ihnen geschenkt hatte, schien im Verlauf ihrer Trennung verschwunden zu sein. Owen konnte noch immer ihre Gegenwart ringsum spüren, doch er konnte nicht mehr länger fühlen, was sie gerade dachten oder empfanden. Sie waren nicht mehr länger untereinander verbunden, Bewußtsein mit Bewußtsein, als hätte das, was sie auf ihren verschiedenen Missionen erlebt hatten, sie so sehr verändert, daß sie nicht mehr die gleichen Menschen waren wie zuvor.

Owen spürte noch immer die Mächte des Labyrinths, die hell in ihnen allen brannten, am hellsten in seinem Vorfahren Giles.

Owen betrachtete den Mann nachdenklich, und seine Hand glitt unbewußt zum Griff des Schwertes an seiner Seite. Giles starrte noch immer mit mürrischem Gesicht auf den großen Holoschirm. Er war in seine eigenen Gedanken versunken und ignorierte die anderen völlig. Giles war derjenige von ihnen gewesen, der am meisten gezögert hatte, die Kräfte zu erforschen, die ihnen vom Labyrinth des Wahnsinns geschenkt worden waren. Es schien fast, als wären sie für ihn nur einnotwendiges Übel, das man nur dann benutzte, wenn es keine andere Möglichkeit mehr gab. Owen hatte bei einem Gespräch mit seinem Ahnen das Thema angerissen; doch Giles hatte nur wortkarg erwidert, daß es ja wohl reiche, ein Todtsteltzer zu sein, und das war das Ende der Konversation gewesen. Für Owen und Giles war es schon immer schwierig gewesen, miteinander zu reden. Sie stammten aus grundverschiedenen Epochen und hatten völlig verschiedene Erfahrungen gemacht, und das einzige, was sie – abgesehen vom Namen gemeinsam hatten, schien die Rebellion zu sein. Giles hatte kurze Zeit versucht, für Owen eine Art Vaterfigur zu spielen. Das war gewesen, nachdem er seinen eigenen mißratenen Sohn, den echten Hohen Lord Dram, getötet hatte, aber Owen hatte dem rasch Einhalt geboten . Ihm reichte es, daß sein leiblicher Vater einst versucht hatte, sein Leben zu manipulieren. Owen war sein eigener Herr, und wenn das Leben, das er nun führte, nicht ganz so war, wie er sich das vorgestellt hatte, so war es immer noch sein Leben, und er achtete eifersüchtig darauf, daß es auch so blieb.

Aber das war nicht alles. In Owens Hinterkopf regte sich noch immer ein leiser Verdacht gegen Giles, der einfach nicht verstummen wollte. Der ursprüngliche Todtsteltzer schien zu mehreren Gelegenheiten überraschend gut informiert über die gegenwärtige Lage, jedenfalls für einen Mann, der angeblich die letzten 943 Jahre in Stasis verbracht hatte… Owen verdrängte den Gedanken für den Augenblick, und schlenderte zu seinem Vorfahren am Holoschirm hinüber.

»Was ist das für ein Gefühl«, fragte er leise, »nach so langer Zeit wieder nach Hause zurückzukehren? Ist es so, wie du es erwartet hast?«

»Nein«, erwiderte Giles genauso leise, ohne den Blick vom Schirm abzuwenden. »Beinahe tausend Jahre ist es her, daß ich Golgatha zum letzten Mal gesehen habe, aber es kommt mir vor wie gestern. Jeder, den ich jemals kannte und mochte, ist längst tot und zu Staub zerfallen. Der ganze Planet ist überlaufen mit Klonen und Espern, und die Familien sind korrupt, verweichlicht oder geistig degeneriert, und das Imperium… das Imperium aus meiner Erinnerung existiert nicht mehr. Ich komme mir vor wie ein Geist, wie jemand, der längst geschlagene Schlachten kämpft und nicht wahr haben will, daß die Welt sich inzwischen weitergedreht hat. Das Imperium trug bereits in meiner Zeit die ersten Anzeichen des Verfalls, aber ich hätte mir niemals träumen lassen, daß es eines Tages so endet. Ich weiß nicht, ob ich helfen soll, sein Elend zu beenden, oder ob ich versuchen soll, es zu retten. Es ist eine perverse Verzerrung von allem, an das ich je geglaubt habe. Aber ich werde die Dinge wieder ins Lot bringen. Ich werde die Menschen aus diesem Alptraum von Geschichte wecken und das Imperium wieder zu dem machen, was es einmal war.«