»Halt, einen Augenblick!« meldete sich die KI Ozymandius in Owens Ohr. »Tut mir leid, wenn ich mich einmische, Boß, aber die Worte deines Vorfahren haben eine Datei in meinen Speichern zum Vorschein gebracht, die dein Vater dort abgelegt hat. Er wußte alles über die Züge und die Tunnel, und er hat mir sämtliche notwendigen Sicherheitskodes gegeben, mit denen du in den Zug und von dort aus in den Palast kommen kannst.«
»Bist du sicher?« fragte Owen unhörbar für die anderen.
»Wenn auch nur einer dieser Kodes falsch ist, sind wir alle tot.«
»Vertrau mir«, sagte die KI. »Es sind die richtigen Kodes.
Dein Vater hat weit vorausgeplant.«
Owen berichtete den anderen von seiner Unterhaltung mit Ozymandius, und eine unbehagliche Pause entstand. Owen hatte immer erklärt, daß er die verräterische KI Ozymandius mit Hilfe der Macht des Labyrinths völlig zerstört habe, als ihr Verrat offensichtlich geworden war. Ozymandius hatte versucht, Owen und Hazel mit Hilfe von eingepflanzten Kontrollworten dazu zu bringen, ihre Kameraden zu töten. Aber einige Zeit später war Ozymandius – oder irgend etwas, das behauptete, Ozymandius zu sein – wieder in Owens Kopf aufgetaucht.
Einzig und allein Owen konnte seine Stimme hören, doch die Informationen, die Ozymandius hin und wieder lieferte, hatten sich als absolut verläßlich herausgestellt. Und die restliche Zeit gab sich Owen alle erdenkliche Mühe, die KI zu ignorieren.
»Dein Vater hätte sicherlich versucht, Zugang zu diesen Kodes zu erhalten«, sagte Giles langsam. »Vermutlich könnte er sie tatsächlich in deiner KI versteckt haben, wo sie sicher waren. Wir haben keine Möglichkeit, das hier auszuprobieren. Ich schätze, wir werden die Wahrheit erfahren, wenn wir dort sind.
Ganz bestimmt würde es die Dinge ein gutes Stück einfacher machen. Selbst mit all unseren Fähigkeiten wird das Durchbrechen der Palaststation ein größeres Unternehmen. Wie es scheint, müssen wir Ozymandius vertrauen, ob wir nun wollen oder nicht, und egal wer oder was er auch immer in Wirklichkeit ist.«
»Na, dann danke ich auch schön«, murmelte Ozymandius in Owens Ohr. Owen verzichtete darauf, den Kommentar weiter-zugeben.
Hazel schüttelte den Kopf. »Großartig. Wir riskieren unser aller Leben auf eine Stimme in Owens Kopf hin, die nur er ganz allein hören kann! Was müssen wir für eine Zugabe tun?
Den Göttern ein Opfer bringen und unsere Zukunft aus den Eingeweiden lesen?«
»Bringt mich nicht in Versuchung«, sagte Giles. »Weiter im Text. Jakob Ohnesorg und Ruby Reise werden den Angriff gegen die Türme der Familien leiten. Wir benutzen Antigravschlitten und halten uns an den Plan, den der Untergrund ausgearbeitet hat. Für den Augenblick scheinen die Clans beschlossen zu haben, daß sie auf keiner der beiden Seiten stehen, aber das wird nicht mehr lange so bleiben. Die Ächtung von David und die drohende Mechanisierung ihrer Landwirt-schaftsplaneten hat sie mitten ins Herz getroffen; doch sie werden schon sehr bald begreifen, daß ihr finanzielles und gesellschaftliches Wohlergehen untrennbar mit dem Imperium und den augenblicklichen Strukturen verbunden ist. Eine erfolgreiche Rebellion durch die niederen Klassen würde für sie den größten denkbaren Alptraum bedeuten. Und angesichts der Gefahr, Reichtum und Einfluß zu verlieren, werden sie ihre Truppen schließlich zur Verteidigung der Imperatorin einsetzen, mit der Begründung, daß die verrückte Teufelin immer noch den Teufeln mit Blut in den Augen und Jahrhunderten des unterdrückten Grolls vorzuziehen ist. Im Augenblick reichen ihre Truppen vielleicht aus, um die Dinge zugunsten der Eisernen Hexe zu wenden. Und deshalb ist es lebenswichtig, daß wir sie in ihren Türmen festnageln, weitab vom Hauptschauplatz.
Sie müssen vollauf mit ihrem eigenen Überleben beschäftigt sein, dann haben sie keine Zeit, sich um die Imperatorin zu kümmern . Ohnesorg, wir sind die logistischen Probleme mit dem Untergrund durchgegangen. Ihr wißt, was zu tun ist. Unmittelbar vor der Hauptstadt wartet eine ganze Flotte von Antigravschlitten darauf, daß Ihr sie anführt. Wie es scheint, haben sich die Rebellen tatsächlich darum gestritten, die Schlitten zu bemannen und Euch in ein Unternehmen zu folgen, das für die meisten den sicheren Tod bedeutet. Viele scheinen noch immer an den legendären professionellen Rebellen zu glauben. Ich bitte Euch nur um eins, Jakob: Während Ihr dort draußen seid und Euch damit vergnügt, Tod und Zerstörung auf die Köpfe der Lords herabregnen zu lassen, vergeßt bitte nicht, daß wir ein paar Überlebende brauchen, um die Wirtschaft wieder in Gang zu bringen, sobald die Rebellion vorüber ist.«
»Ich werde sehen, was ich tun kann«, erwiderte Ohnesorg gelassen. »Keine Versprechungen.«
Giles seufzte und schüttelte den Kopf. »Selbstverständlich wird Ruby Reise Euch begleiten – wenn auch nur aus dem einen Grund, daß sich außer Euch niemand in ihrer Umgebung sicher fühlt.«
»Du sagst immer so nette Sachen«, grinste Ruby.
»Ich gehe mit den beiden«, meldete sich Alexander Sturm entschlossen zu Wort. »Ich habe nicht die ganzen Jahre auf den Sturz der Familien gewartet, um jetzt nicht dabeizusein. Ich habe mein ganzes Leben lang hart gekämpft und gearbeitet, um ihren Untergang zu erleben, und ich will verdammt sein, wenn ich jetzt hierbleibe. Ich mag vielleicht nicht ganz so jung sein wie einige andere Leute hier; aber ich kann mein Päckchen immer noch ganz gut alleine tragen.«
»O ja«, sagte Ruby Reise. »Laß ihn mitkommen, sonst schmollt er noch die ganze Zeit.«
»Selbstverständlich kommst du mit uns, Alexander«, sagte Jakob Ohnesorg beruhigend. »Ich würde nicht einmal davon träumen, dieses Unternehmen ohne meinen alten Kameraden an meiner Seite zu beginnen.«
»Jetzt hast du schon wieder alt gesagt!« beschwerte sich Sturm.
»Schon gut. Was hältst du von antik?« erkundigte sich Ruby.
»Ruby…!« sagte Ohnesorg.
Sie rümpfte hörbar die Nase und wandte sich wieder ihrer Nagelpflege mit Hilfe des Dolches zu. Ruby hatte sich damit abgefunden, daß Jakob Ohnesorg eine Schwäche für seinen Freund Sturm besaß. In seinen Augen war Sturm noch immer der alte, jung und kühn und geistesgegenwärtig und ein höllischer Kämpfer mit dem Schwert in der Hand. Er konnte anscheinend nicht akzeptieren, daß Sturm nicht wieder jung und stark geworden war wie er selbst. Ruby beschloß, ein wachsames Auge auf Sturm zu haben. Es war ihr völlig egal, wenn er getötet werden sollte; aber sie wollte verdammt sein, wenn sie zuließ, daß er Jakob mit ins Verderben zog. Wahrscheinlich war es sogar das beste, wenn Sturm gleich zu Beginn der Kämpfe von einer verirrten Kugel erwischt werden würde…
Niemand würde wissen, woher die Kugel gekommen war, wenn die Kämpfe erst einmal losgegangen waren. Selbstverständlich würde sie vorsichtig zu Werke gehen müssen. Falls Jakob jemals dahinterkommen würde… Ruby Reise legte die Stirn in Falten und dachte angestrengt nach.
»So, nachdem wir das jetzt erledigt haben«, fuhr Giles fort, und alle Augen richteten sich wieder auf ihn, »kommen wir zu dem jungen Jakob Ohnesorg. Ihr werdet auf dem freien Feld landen und Euch mit Finlay Feldglöck und Julian Skye zu-sammenschließen . Euer Ruf wird ihre Leute motivieren und den Verteidigern eine Heidenangst einjagen. Eure Aufgabe wird es sein, die Kommandozentrale der Sicherheitstruppen in der Hauptstadt einzunehmen und zu halten. Sie verfügen noch immer über ein paar offene Kommunikationskanäle, und das heißt, daß sie als einzige in der Lage sind, die Verteidigung der Stadt zu organisieren. Sobald sie aus dem Verkehr gezogen sind, werden die Sicherheitstruppen auseinanderfallen, und wir können die Hauptstadt im Sturm erobern. Nachdem wir sie eingenommen haben, steht nur noch die Imperatorin selbst zwischen uns und der Kontrolle Golgathas. Und von Golgatha aus werden wir das neue Imperium errichten. Wie einst Phönix aus der Asche.«