Sowohl Dram, als auch der Wolf hatten sich auf Virimonde genau an die Befehle der Löwenstein gehalten; aber keiner von beiden war so dumm, sie jetzt daran zu erinnern. Die Löwenstein funkelte sie an, und ihre Jungfrauen regten sich unruhig, als sie die Stimmung ihrer Herrin spürten. Dram fühlte, wie ihm der kalte Schweiß auf die Stirn trat. Am liebsten hätte er sich umgedreht und wäre davongerannt. Aber die Jungfrauen hätten ihn sofort gepackt und niedergerissen, bevor er noch ein Dutzend Schritte weit gekommen wäre. Außerdem wußte er nicht, wohin er hätte rennen sollen. Seit Virimonde hatte er nirgendwo mehr Freunde. Nicht, daß er auch nur einen einzigen köstlichen Augenblick auf Virimonde bereute, nein. Er hatte sich noch nie so lebendig gefühlt. Nein, ob gut oder schlecht, sein Schicksal war untrennbar mit dem der Löwenstein verbunden, der Frau, die ihn aus den Zellen seines toten Originals geklont hatte.
»Wir müssen Euch nach draußen schicken, um Uns zu verteidigen«, sagte die Imperatorin schließlich, nachdem sie einen Teil ihrer Selbstbeherrschung wiedergewonnen hatte. »Ihr seid alles, was Uns noch geblieben ist. Valentin, Ihr übernehmt die Kontrolle über sämtliche Kriegsmaschinen, die gegenwärtig auf Golgatha stationiert sind. Es sind Gott weiß nicht viele, aber seht, was Ihr mit ihnen erreichen könnt. Die meisten Unserer wunderbaren Zerstörungswerkzeuge befinden sich noch immer auf Virimonde, und bis Wir sie hierher zurückbeordert haben, ist der Kampf längst entschieden, auf die eine oder andere Art und Weise. Also verschwendet sie nach Möglichkeit nicht.
Dram, Euch wünschen Wir oben auf der Oberfläche. Ihr werdet Unsere Truppen persönlich anführen. Sie werden dem Obersten Krieger folgen. Wir übergeben Beckett den Befehl über die Flotte. Er hat recht gehabt, der verdammte Kerl. Er besitzt als einziger die Erfahrung. Wir können nur hoffen, daß der Bastard loyal bleibt.«
»Ich habe mein Bestes getan«, sagte Dram vorsichtig , »und ich bin sicher . Euer Majestät können darauf vertrauen , daß auch General Beckett sein Bestes geben wird.«
»Hübsch gesagt« , spottete Valentin. »Höflich und aufmunternd , aber leider ohne jegliche Bedeutung. Falls wir diese Geschichte überleben , habt Ihr sicherlich eine strahlende Zukunft als Höfling vor Euch.«
»Mir gefällt der Gedanke nicht . Euer Majestät hier ohne Verteidigung zurückzulassen« , sagte der Hohe Lord Dram , wobei er die letzte Bemerkung des Wolfs geflissentlich ignorierte.
»Investigator Razor und Lord Sommer-Eiland warten bereits in Unserem Vorzimmer auf Uns« , sagte die Imperatorin. »Und außerdem sind… auch noch andere auf dem Weg. Und jetzt verschwindet aus Unseren Augen. Alle beide. Wagt nicht, Uns zu enttäuschen!«
»Das würde ich niemals wagen«, murmelte Dram. Gemeinsam mit Valentin verbeugte er sich tief vor dem Thron, und sie brachen auf. Beim Hinausgehen trafen sie auf Razor und Kid Death, doch sie hielten den Blick vorsichtig geradeaus gerichtet. In ihrem gegenwärtigen Zustand mochte die Löwenstein bereits einen unverfänglichen Seitenblick als ein Zeichen von Verrat interpretieren. Dram und der Wolf passierten die große Hügeltür des Hofs und ließen die Hölle hinter sich. Sie bewegten sich so schnell, wie sie es in Gegenwart der Löwenstein nur wagten.
Investigator Razor und Lord Kit Sommer-Eiland näherten sich dem Thron ein wenig langsamer. Sie blieben in sicherer Entfernung vor den Jungfrauen stehen und verbeugten sich respektvoll vor der Imperatorin. Als sie die Köpfe wieder hoben, stellten sie zu ihrer Bestürzung fest, daß die Löwenstein sie anlächelte . Man erzählte sich, daß die Imperatorin immer dann am gefährlichsten war, wenn sie lächelte. Ihr Sinn für Humor war… anders als der anderer Menschen. Razor und der Sommer-Eiland blieben unverwandt stehen und ließen sich nichts anmerken. Sie achteten darauf, die Hände weit weg von den Griffen ihrer Waffen zu halten, die zu tragen die Eiserne Hexe ihnen befohlen hatte.
»So so«, sagte die Löwenstein leichthin. »Unsere beiden Lieblingskiller. Wie schön. Razor, Wir sollten eigentlich böse mit Ihm sein. Wir haben Ihn ausgeschickt, um in Unserem Namen die Nebelwelt zu erobern, und Er hat versagt. Aber es war nicht wirklich Seine Schuld. Viele Unserer Leute versagten bei dieser Mission, doch Er blieb Uns treu. Und Kit Death, Unser lächelnder Assassine. Er brachte Uns den Kopf des jungen Todtsteltzers – die einzig gute Sache, die bei diesem Debakel herausgekommen ist. Er hat Uns schon immer die hübschesten Geschenke gebracht, Sommer-Eiland. Wir haben den Kopf hier auf einem Pfahl… irgendwo.
Es ist schön, daß Ihr beide wieder hier bei Uns seid. Es ist gut, Leute um sich zu haben, auf die man sich verlassen kann.
Eure Pflichten hier sind einfach. Ihr werdet Uns vor jeglicher Gefahr beschützen. Die Chancen, daß irgendeiner der Rebellen so weit vordringen kann, sind verschwindend gering, ganz besonders seit Wir die zusätzlichen ESP-Blocker installiert haben. Allerdings scheint es, als könnten Wir Uns nicht mehr länger darauf verlassen, daß alle Unsere Leute ihre Pflicht er-füllen. Zwischen der Oberfläche und Unserem Palast gibt es sehr viele Verteidigungsringe, nicht alle von ihnen menschlicher Natur, und Wir selbst sind ebenfalls nicht vollkommen hilflos… aber Wir werden Uns besser fühlen, wenn Ihr beide über Unsere Sicherheit wacht. Irgendwelche Kommentare?
Vergeßt nicht, daß sie besser äußerst konstruktiv sein sollten, wenn Ihr Eure Köpfe behalten wollt.«
»Es ist wie immer eine Ehre, Euer Majestät dienen zu dürfen«, sagte Razor glatt. »Ich bin sehr stolz auf das Vertrauen, das Euer Majestät mir geschenkt haben. Allerdings denke ich, ich sollte darauf hinweisen, daß mein Schwert völlig ausreichend ist zu Euer Majestät Schutz. Ich sehe wirklich keinen Anlaß, den Sommer-Eiland ebenfalls herzurufen. Ich bin seit vielen Jahren ein Mann des Kampfes. Der junge Lord ist bestenfalls ein begabter Amateur, weiter nichts.«
»Ein außergewöhnlicher Amateur mit einer beispiellosen Serie von Erfolgen ist wahrscheinlich besser als ein müder alter Mann, den man aus dem Ruhestand geholt hat«, entgegnete Kit gelassen. »Schickt diesen versteinerten Greis weg, Euer Majestät. Ihr braucht ihn nicht, solange ich da bin, und ich möchte nicht auf ihn aufpassen müssen, solange ich Euer Leben verteidige, Hoheit.«
»Ihr müßt Euch nicht mögen«, sagte die Löwenstein. »Erledigt Eure Arbeit, mehr nicht. Und kommt Unseren Jungfrauen nicht zu nah. Wir haben sie schon längere Zeit nicht mehr ge-füttert.« Sie strahlte ihre beiden Verteidiger liebevoll an. »Und macht Euch keine Gedanken, o Ihr loyalsten Unserer Untertanen. Sobald dieser Unsinn erst einmal vorüber und die Ordnung wiederhergestellt ist, was unzweifelhaft geschehen wird, versprechen Wir Euch, daß Ihr soviel zu töten bekommen werdet, wie Ihr nur wollt. Die Exekutionen werden Tag und Nacht weitergehen, und Blut wird in Strömen durch die Straßen fließen.«
Sie wandte sich von den beiden ab, ignorierte ihre tiefen Verbeugungen und schaltete die Holoschirme wieder ein. Die Nachrichtenkanäle brachten die neuesten Meldungen. Die Rebellen ließen die militärischen Frequenzen noch immer genauso schnell zusammenbrechen, wie neue errichtet werden konnten; doch die Nachrichtenkanäle ließen sie unangetastet. Sie wollten, daß die Menschen sahen, was geschah. Auf sämtlichen Schirmen waren jetzt verschiedene Nachrichten aus der ganzen Welt zu sehen; doch die meisten konzentrierten sich auf die Hauptstadt, wo die wirklich wichtigen Kämpfe tobten.