Und dann brachte der Untergrund massiv seine eigenen schweren Waffen zum Einsatz, die bisher nur vereinzelt in Aktion getreten waren. Poltergeister schickten rasiermesserscharfe PSI-Stürme durch die Straßen, die jeden zerrissen, der mit ihnen in Berührung kam. Pyros griffen in die Kämpfe ein, und überall gingen Soldaten ohne ersichtlichen Grund in Flammen auf und verbrannten in einem Feuer, das kein Wasser der Welt zu löschen vermochte. Und dann kam die Gedankenbomben.
Einfache Geräte, die man um das Gehirngewebe toter Esper herum konstruiert hatte. Sobald sie aktiviert wurden, verbreiteten sie Wahnsinn und Panik unter sämtlichen Nicht-Espern in der näheren Umgebung, Betroffene Truppen kratzten sich die eigenen Augen aus oder wandten sich gegen ihre Kameraden und zerrissen sich gegenseitig. Die Rebellen stürmten vor, überrannten immer und immer wieder Imperiale Auffangstel-lungen und sahen schon wie die sicheren Sieger aus – bis die Kriegsmaschinen Valentins auf der Bildfläche erschienen und sich mit einemmal alles änderte.
Gewaltige Metallkonstrukte stampften und polterten durch die breiteren Straßen, und ihre eingebauten Disruptorkanonen hielten blutige Ernte in den dicht gedrängten Reihen der Rebellen. In den ersten paar Minuten starben Hunderte von ihnen.
Menschen hetzten in Deckung, nur um herauszufinden, daß sie nirgendwo vor den Kriegsmaschinen sicher waren. Die Maschinen brachen krachend durch Mauern und ganze Häuserblocks, um ihre Beute zu erwischen, und Projektilwaffen waren völlig wirkungslos gegen die gepanzerten Kolosse. Handdis-ruptoren waren ebenfalls zu schwach, um genügend Schaden anzurichten. Aus allen Richtungen stürmten Esper herbei und lenkten ihre Kräfte auf die Maschinen. Poltergeister überschütteten sie mit den Trümmern eingestürzter Häuser und fügten den Metallungetümen kaum mehr als Kratzer zu. Pyros badeten die Maschinen in Feuer, und immer noch rückten die Maschinen weiter vor. Straße um Straße und Block um Block eroberten sie das Gelände zurück, das die Imperialen Streitkräfte zuvor aufgegeben hatten. Hinter ihnen rückten die regulären Truppen nach, vorsichtig darauf bedacht, nie vor die Maschinen zu geraten . Die Ungetüme schossen auf alles, was sich bewegte. Valentin hätte mit Leichtigkeit zwischen Freund und Feind unterscheiden können, aber es war ihm egal. Er amüsierte sich viel zu gut. Sein Verstand schwebte über der Stadt , da-vongetragen von den Maschinen, während sein Körper sicher im Turm des Wolf-Clans lag. Valentin blickte durch tausend Sensoren zugleich auf die Toten und die Zerstörung, die er verursachte, und es gefiel ihm über alle Maßen.
Die Esper zogen sich vor den anrückenden Maschinen zusammen und beteten um ein Wunder. Und sie bekamen eins.
Die Mater Mundi, Unsere Mutter Aller Seelen, manifestierte sich wieder einmal, und diesmal in der gesamten Esperstreit-macht. Sie brannte hell im Geist eines jeden Mannes und jeder Frau, und für einen Augenblick erstrahlten die Esper hell wie Götter. Sie erleuchteten die Straßen ringsum, und dann vereinigten ihre Bewußtseine in einem einzigen, unbeugsamen Willen. Ein unaufhaltsamer PSI-Sturm raste durch die Straßen und zerriß die Kriegsmaschinen und zerstreute ihre Überreste in alle Winde. Splitter regneten auf die Imperialen Truppen herab, die sich erneut zur Flucht wandten, bis auch sie von dem PSISturm erfaßt und getötet wurden. Jeder Esper der Hauptstadt heulte seinen Triumph laut heraus, und der Boden erzitterte unter dem Geräusch.
In seinem befestigten Zufluchtsort im Turm des Wolf-Clans richtete sich Valentin zitternd auf. Er war unsanft aus den Kriegsmaschinen herausgeschleudert worden. Eines nach dem anderen schalteten sich die System rings um den Wolf ab, als sie irreparable Schäden erlitten. Valentin selbst war betäubt und desorientiert; aber er hatte Glück, daß er überhaupt noch am Leben war, und er wußte das nur zu allzu gut.
Der Angriff der Esper hätte jedes geringere Bewußtsein zerstört, aber nicht Valentins chemisch erweiterten und verstärkten Verstand. Valentin spürte noch immer, wie die vereinigten Esper nach ihm tasteten, doch sie waren nicht imstande, sein schlüpfriges, bösartiges Wesen zu erfassen. Er würde den Turm der Wolfs verlassen und an einem anderen Ort Zuflucht suchen müssen. Aber so sehr er auch nachdachte, er hatte nicht die leiseste Idee, wo er jetzt noch willkommen gewesen wäre.
Nicht einmal die Löwenstein würde ihn jetzt noch aufnehmen, denn er hatte versagt. Valentin Wolf saß ganz allein im Herzen des Turms seiner Familie, und er fragte sich, was er als nächstes tun sollte.
Die Wartungstunnel des unterirdischen Eisenbahnsystems waren schon vor Jahrhunderten versiegelt und aufgegeben worden, und die Zeit hatte sie nicht besser werden lassen. In den Tunneln herrschte jene besondere Art von Dunkelheit, die es nur tief unter der Erde gibt, eine absolute Schwärze, die von keinem noch so schwachen Lichtstrahl durchdrungen wurde.
Es war eisig kalt, und die Luft roch abgestanden und muffig.
Selbst das kleinste Geräusch schien Ewigkeiten widerzuhallen, als wären die Tunnel nach so vielen Jahren der Stille dankbar für jeden Laut. Und durch die dunklen, klaustrophobischen Gänge kamen Owen, Hazel und Giles. Sie stolperten über den unebenen Boden und zogen die Köpfe ein, um sich nicht an der niedrigen Decke zu stoßen. Die Kälte machte ihnen kaum etwas aus, dank dem Labyrinth des Wahnsinns, doch selbst ihre unglaubliche Sehkraft war in einer derart vollkommenen Dunkelheit nutzlos. Owen und Giles trugen Lampen bei sich, und das bleiche weiße Licht warf unheimliche Schatten auf den gekrümmten Wänden und Decken der Gänge. Hazel hielt die Karte, die Owen nach den Informationen aus Lektronendateien gezeichnet hatte, die beinahe so alt waren wie die Tunnel selbst. Die Gänge bildeten ein endloses Labyrinth, und nur sorgfältige Orientierung würde die Rebellen zeitig genug zu ihrem Ziel führen.
Das blasse Licht auf den von Löchern übersäten, kabelbe-deckten Wänden wirkte zunehmend beunruhigend, beinahe lebendig. Hazel murmelte etwas von wegen den Eingeweiden der Erde, doch niemand lachte. Es war auch nicht als Scherz gedacht gewesen. Keinem war nach Reden zumute, und jeder hing seinen eigenen Gedanken nach. Nach all der Zeit und all den Kämpfen hatten sie endlich die letzte, entscheidende Auseinandersetzung vor Augen, die das Ende von Löwensteins Herrschaft und der herkömmlichen Ordnung der Dinge bedeuten würde. Owen versuchte sich vorzustellen, wie ein Imperium aussehen mochte, für dessen Schaffung er verantwortlich war, und es überraschte ihn nicht, daß ihm das nicht gelang. Er war Historiker, und er hatte eine beliebige Anzahl alter Kulturen studiert, einschließlich einiger, die heutzutage offiziell niemals existiert hatten. Er hatte sich mit allen möglichen Formen von Religionen und politischen Theorien beschäftigt, aber persönlich hatte er nie etwas anderes gekannt als das Imperium der Familien und den Eisernen Thron. Ohnesorg und Hazel hatten sich abwechselnd ihre voneinander abweichenden Vorstellungen eines auf Demokratie basierenden neuen Imperiums erklärt; aber sosehr Owen ihre Theorien auch mochte, sie klangen in seinen Ohren nach reinem Chaos. Außerdem wollte er verdammt sein, wenn er sehen konnte, wo in ihren zukünftigen Reichen für ihn und seinesgleichen Platz war. Andererseits hatte er auch niemals in Löwensteins Imperium gepaßt. Er grinste bei dem Gedanken, und ihm dämmerte, daß seine Chancen, überhaupt irgendeine Zukunft zu erleben, sowieso nur gering waren, und das ließ seine Sorgen unbedeutend erscheinen. Falls er diese Mission überlebte, konnte er sich immer noch Gedanken machen.