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In vielerlei Hinsicht war er heute ein ganz anderer Mensch als früher.

»Zur Hölle«, knurrte er. »Jeder weiß, daß man Präkos nicht trauen kann.«

»Und wem willst du dann trauen?« flüsterte Ozymandius in seinem Ohr.

»Ich wünschte, du würdest nicht immer mit mir reden. Du weißt verdammt noch mal sehr genau, daß du tot bist.«

»Dann bin ich also nur ein Spuk? Beantworte doch meine Frage, Owen. Wem willst du heutzutage noch vertrauen? Hazel hat dich rausgeworfen, weil sie mit Silver allein sein wollte.

Jung Jakob Ohnesorg ist vielleicht nicht der, für den er sich ausgibt, und Johana Wahn lebt in einer anderen Realität als der Rest von uns. Ich frage dich also: Wem willst du vertrauen?«

»Jedenfalls nicht dir. Ich vertraue dem echten Jakob Ohnesorg, daß er das tut, was für die Rebellion das beste ist. Ich vertraue Ruby Reise, daß sie ihm bis zum letzten Rückendek-kung gibt, solange am Ende nur reichlich Beute auf sie wartet.

Ich vertraue Giles Todtsteltzer, daß er den Namen der Familie hochhält. Und ich vertraue alles in allem auch Hazel, daß sie am Ende das Richtige tut.«

»Und Silver?«

»Hazel geht ihren eigenen Weg. Das habe ich immer ge-wußt.«

»Überzeugend klingt das immer noch nicht«, erwiderte Ozymandius. »Jakob Ohnesorg ist hauptsächlich dafür bekannt, daß ihm auf jedem Planeten, wo er sich sehen läßt, früher oder später in den Hintern getreten wird. Ruby Reise ist eine ehemaligen Kopfgeldjägerin, der man schon aus Prinzip nicht vertrauen kann, und Giles’ Motive und Ansichten sind seit neunhundert Jahren überholt. Du hast noch nie besonderes Talent gezeigt, wenn es um die Wahl deiner Freunde ging, Owen. Hazel hat irgend etwas vor. Das weißt du tief im Innern ganz genau.«

»Hazel hat immer irgend etwas vor. Für eine tote KI bist du ganz schön zynisch . Du hast meine Freunde noch nie gutgeheißen, auch nicht, als du noch gelebt hast . Ich vertraue meinen Mitstreitern, weil mir keine andere Wahl bleibt. Meine einzige Hoffnung zu überleben besteht darin, die Löwenstein von ihrem Eisernen Thron zu stoßen. Um das zu verwirklichen, brauche ich eine Rebellion, und für eine Rebellion brauche ich Verbündete.«

»Ist das der einzige Grund, warum du um Veränderungen kämpfst?«

»Nein. Ich habe zuviel alltägliche Bosheit und zuviel Leid gesehen, und das gesamte Imperium fußt darauf. Ich kann den Blick nicht mehr abwenden. Die Dinge müssen sich ändern, selbst wenn ich mit dem Leben dafür bezahle.«

»Du meinst mit dem Tod. Was soll deiner Meinung nach dem Imperium folgen? Was kennst du schon anderes als die Privilegien der Aristokratie und die Herrschaft der Familien?«

»Frag mich nicht«, entgegnete Owen. »Zuerst einmal müssen wir den verdammten Krieg gewinnen. Wenn wir erst vor der Löwenstein und ihrer Rache in Sicherheit sind, können wir immer noch über das streiten, was auf das Imperium folgen soll. Und schlimmer als das, was jetzt herrscht, kann es gar nicht werden.«

»Berühmte letzte Worte«, spottete Ozymandius. »Du bist Historiker, Owen. Du weißt selbst am besten, was nach Rebellionen geschieht. Die Gewinner wenden sich gegeneinander und kämpfen bis zum Tod, um zu entscheiden, welche der Fraktionen die ehemals regierende ersetzt. Jedenfalls stehen die Chancen gut, daß keiner der Sieger Verwendung für einen durch und durch blaublütigen Aristokraten wie dich hat. Am Ende er-reichst du nichts weiter, als das Imperium in einen Bürgerkrieg zu stürzen, der Jahrhunderte andauert und ganze Planeten brennend in der ewigen Nacht zurückläßt.«

»Weißt du eigentlich, daß du einen seit deinem Tod wirklich richtig deprimieren kannst? Außerdem, was kümmert’s dich?

Für eine KI wird es immer eine Verwendung geben.«

»Es kümmert mich tatsächlich nicht«, gestand Ozymandius freimütig. »Ich wollte mich lediglich ein wenig unterhalten, das ist alles.«

»Also schön, dann halt jetzt die Klappe. Ich habe Geschäfte mit Abraxus zu erledigen, und ich kann nicht mit dir reden, während ich dort drin bin. Sie haben wahrscheinlich noch nie im Leben etwas von toten KIs gehört.«

Ozymandius kicherte leise und verstummte. Owen blickte sich unauffällig um, um sich zu vergewissern, daß ihn niemand beobachtete, dann kletterte er die altersschwache Außentreppe hinauf zum Eingang im ersten Stock. Das Haus hatte schon bei seinem letzten Besuch wenigstens eines neuen Anstrichs bedurft, und mit der Zeit war es nicht besser geworden. Im Holz zeigten sich deutlich dunkle Flecken aufsteigender Feuchtig-keit, und die einfache Messingplatte auf der Tür mit der schnörkellosen Aufschrift ›Abraxus‹ war eindeutig seit Wochen nicht mehr poliert worden, vielleicht sogar seit Monaten.

Es roch eindeutig nach Katzenpisse, wie Owen nicht wenig verblüfft zur Kenntnis nahm, da er seit seiner Ankunft auf der Nebelwelt noch keine einzige Katze zu Gesicht bekommen hatte. Selbstverständlich gab es weder eine Klingel noch einen Türklopfer. Owen hämmerte mit der Faust gegen die Tür und trat zur Sicherheit noch ein paarmal dagegen. Anschließend fühlte er sich schon besser. Nach einer Pause, die lange genug dauerte, um Owen seine Position vor Augen zu führen, schwang die Tür auf, und der Mann namens Chance füllte den Durchgang. Er musterte Owen von oben bis unten, dann winkte er ihn herein. Owen folgte der Aufforderung mit hoch erhobe-nem Kopf.

Innen hatte sich nichts verändert. Zwei Reihen wackliger Pritschen standen dicht an dicht nebeneinander in einem langen Raum mit einem schmalen freien Mittelgang. Auf den Pritschen lagen komatöse Kinder zwischen vier und fünf Jahren und früher, magerer Pubertät. Sie wurden künstlich mit Hilfe intravenöser Tropfe ernährt, und Katheter führten die Stoff-wechselprodukte in schmutzige Behälter ab. Einige der Kinder waren in Decken gehüllt; andere hatten sich freigestrampelt.

Ein paar waren an ihre Betten gefesselt . Über allem hing der penetrante Gestank von billigem Desinfektionsmittel und me-dizinischem Alkohol. Die Kinder waren Esper, teilweise mit eingeschränkten Hirnfunktionen, teilweise mit gesundem Intellekt, aber allesamt zu schwach, um auf sich allein gestellt in der rauhen Wirklichkeit der Nebelwelt zu überleben. Chance kaufte sie von ihren Eltern und setzte ihre ESP-Begabungen dazu ein, ganz Nebelhafen mit einem telepathischen Netzwerk zu überziehen. Er sah und hörte alles. Und das war Abraxus.

Chance hielt die Kinder am Leben, solange er konnte; es lag in seinem eigenen Interesse . Keines von ihnen erreichte jemals das Erwachsenenalter. Es waren die Schwachen und Hilflosen, die Gebrochenen und Mißbrauchten, und zu dem Zeitpunkt, da sie Chance in die Hände fielen, war es bereits zu spät für jede Hilfe – was Abraxus als solches allerdings nicht beeinflußte. Es gab stets Nachschub. Die Kinder waren Chance treu ergeben, im Schlaf wie auch im Wachsein; er war das nächste an einem Freund, das die meisten von ihnen jemals kennengelernt hatten.

Owen schüttelte langsam den Kopf, doch er wandte den Blick nicht ab. Bei seinem ersten Besuch hatte der Anblick ihn bis ins Innerste seiner Seele erschüttert. Sein erster Impuls war gewesen, Abraxus einzureißen und Chance zu töten, doch er hatte es nicht getan. Sosehr Owen sich auch sträubte, es zuzugeben: Abraxus war das Beste, was diesen Kindern in ihrem Zustand überhaupt widerfahren konnte – genetisch geschädigten und schwachsinnigen Espern, die allesamt eine schreckliche Vergangenheit hinter sich hatten und keine Zukunft vor sich.