Ohnesorg sah auf die Hauptstadt hinunter und fand es schwer zu glauben, daß sein Kreuzzug ihn nach all den Jahren und den unzähligen Schlachten doch noch heim nach Golgatha geführt hatte. Heim und zu den Familien, die im Namen ihrer Privilegien und des Profits alles und jeden verkauften und manipulierten. Sie hatten ihn für vogelfrei erklärt und verbannt, und sie hatten ihr Bestes getan, um Jakob zu brechen und zu töten.
Jetzt war er zurückgekehrt, um ihnen die Rechnung zu präsentieren. Und die Summe war in all den Jahren verdammt groß geworden.
Jakob lachte laut; doch der Wind riß das Geräusch so schnell mit sich fort, daß Jakob es selbst hören konnte. Heute war der Tag, an dem das Imperium fallen würde, und Jakob würde helfen, es zu stürzen. Und wenn er es endlich auf den Knien hatte, würde er ihm in die Augen spucken und in die Zähne treten .
Gnadenlos gab er Gas in dem Versuch, noch mehr Geschwindigkeit aus den Maschinen zu holen, doch der Schlitten hatte längst seine Sicherheitslimits überschritten . In der Ferne tauchten die ersten Türme auf. Jakob konnte es nicht erwarten, endlich dort zu sein. Inzwischen würden die Clans wissen, daß er auf dem Weg war. Sie würden ihre Verteidigungsanlagen aktiviert und die Zielsysteme justiert haben, um das Tempo und die Manövrierfähigkeit der Schlitten zu kompensieren. Sie würden ihn erwarten. Und Jakob gab einen verdammten Dreck darauf.
Es war der Tag der Abrechnung. Fast wäre er wieder religiös geworden. Er grinste rauh, und der Wind zog seine Lippen zu einem wölfischen Zähneblecken auseinander. Es war ein guter Tag zum Sterben, aber nicht für Jakob.
Er warf einen Seitenblick zu Ruby Reise. In ihrer schwarzen Lederkleidung mit dem weißen Fellumhang sah sie aus wie eine der Walküren aus der Legende. Ihr Gesicht blickte grimmig und entschlossen, und sie stand felsenfest auf ihrem bok-kenden Gefährt . Eine Walküre, die gekommen war, um die toten Helden nach Walhalla zu führen, ob sie das nun wollten oder nicht. Rubys Schlitten war bis zum letzten möglichen Gramm mit Waffen vollgeladen, von Wurfmessern über Granaten bis hin zu Disruptoren. Ruby gehörte zu der Sorte Mensch, die gerne gut vorbereitet war, wenn es zum Kampf kam. Sie sah sich um, bemerkte Jakobs Blick und grinste ihm zu. Sie war auf dem Weg zur größten Beute ihres Lebens oder in den Tod, was wahrscheinlicher war –, und doch hatte sie niemals glücklicher ausgesehen.
Jakob erwiderte ihr Grinsen und drehte sich anschließend nach Sturm um, der auf der anderen Seite neben ihm flog. Der umsichtige alte Recke hatte sich an seinem Schlitten festgeschnallt, aber selbst jetzt schien er noch bei jeder unerwarteten Bewegung seines Fliegers zu zittern und zu schwanken. Seine lange weiße Mähne flatterte hinter ihm im Wind, und sein Blick war starr geradeaus gerichtet. Alexander war zu alt für diese Art von Mission, und jeder wußte es, einschließlich ihm selbst. Trotzdem hatte er darauf bestanden, mitgenommen zu werden, und Ohnesorg hatte es nicht über sich gebracht, nein zu sagen. Er verstand Sturms Bedürfnis, beim letzten Akt dabei zu sein, nachdem er den größten Teil seines Lebens dem Kampf gegen das Imperium gewidmet hatte. Also hatte Jakob den alten Burschen direkt neben sich geholt, wo er ein Auge auf ihn haben konnte. Im übrigen konnte er nur hoffen, daß Sturm durchhielt, und daß die Reflexe des alten Kämpfers ihn lange genug am Leben hielten, bis sie die Türme erreicht hatten. Eine ganze Reihe von Rebellen würde es nicht schaffen.
Sie rechneten mit schweren Verlusten, wenn die Armada erst auf die Hauptverteidigung der Türme stoßen würde. Jeder wußte es, und trotzdem hatten sich alle freiwillig gemeldet. Sie wußten, daß nur die Einmannflieger schnell und wendig und klein genug waren, um an den Verteidigungsstellungen vorbei und in die Türme zu gelangen. Dorthin, wo die Familien sich so verdammt sicher fühlten .
Bodentruppen hätten wahrscheinlich tagelang gegen die schwer bewaffneten und gut ausgerüsteten Verteidiger der Türme anrennen müssen . Sie hätten sich Stockwerk um Stockwerk den Weg nach oben bahnen müssen, um schließlich die Familien zu erreichen, die sich in den obersten Etagen verbarrikadiert hatten. Auf beiden Seiten hatte es gewaltige Verluste gegeben, und das alles ohne jede Garantie, daß die Familien am Ende nicht einfach ihre Türme aufgegeben und an einen sicheren Ort geflohen wären, bevor die Rebellen sie hätten gefangennehmen können.
Antigravbarken auf der anderen Seite waren stark genug bewaffnet, um sich einen Weg freizuschießen; aber sie waren zu langsam und nicht wendig genug. Die Feuerkraft der Türme hätte ausgereicht, die Barken aus dem Himmel zu blasen, bevor sie auch nur nahe genug herangekommen wären, um wirklichen Schaden anzurichten.
Esper konnten ebenfalls nichts ausrichten. Die Familien be-saßen unzählige ESP-Blocker.
Und das waren auch die Gründe, warum sich die Familien beim ersten Anzeichen ernsthafter Auseinandersetzungen in ihre Türme geflüchtet hatten – die einzigen Orte, an denen sie sich relativ sicher fühlten.
Und jetzt war Jakob gekommen, um sie eines Besseren zu belehren. Viele Jahre hatte er in den Schützengräben und Fuchsbauten unzähliger Schlachten darüber nachgedacht, wie er die Türme angreifen würde, hatte davon geträumt, was er tun würde, wenn es ihm endlich gelungen war, die Rebellion auf die Heimatwelt zu tragen. Er hatte über jedes einzelne Problem nachgedacht und jedes Detail sorgfältig ausgearbeitet, und jetzt war er hier und konnte seinen Traum Wirklichkeit werden lassen . Oder sterben . Tod oder Sieg. Und auch Jakob hätte nicht glücklicher sein können.
Von den privaten Landefeldern der Türme starteten Antigravbarken und schwangen sich in den Himmel, um die Armada zu stellen . Die Barken waren mächtige, schwerfällige Schiffe mit massiver Panzerung und überlegener Feuerkraft; doch die Schlitten waren in Sekundenschnelle über ihnen und um-zingelten den Gegner. Sie schossen vor und zurück und kurvten um die langsamen Barken herum, und sie waren zu klein und viel zu schnell für die Zielrechner der großen Schiffe. Die Lektronen waren auf stationäre Ziele oder wenigstens Schiffe ihrer eigenen Größe programmiert. Von Sekunde zu Sekunde schossen mehr Schlitten an ihnen vorbei, und schließlich eröffneten die Barken das Feuer auch ohne Feuerleitlösung, und mächtige Disruptorkanonen feuerten Breitseiten in die dichtesten Ansammlungen von Schlitten.
Die Armada zog sich augenblicklich auseinander; aber es waren so viele Schlitten, daß die Barken nicht ununterbrochen vorbeischießen konnten, und ohne schützende Energieschirme fielen getroffene Flieger sofort wie brennende Blätter vom Himmel. Innerhalb weniger Sekunden explodierten Dutzende der kleinen Schlitten, und Todesschreie hallten durch den Wind. Dann stürzten sich die Überlebenden der ersten Welle zwischen die Barken, so daß diese nicht mehr feuern konnten, ohne sich gegenseitig zu treffen. Sie wichen den kleineren Waffen aus und eröffneten das Feuer aus den eigenen Disruptoren. Zuerst waren es nur wenige Schlitten, und sie reichten nicht aus, um die Schilde der Barken zu beschädigen, doch schon nach kurzer Zeit kamen Hunderte hinzu, und ständig wurden es mehr. Sie kreisten um die Barken wie wütende Hor-nissen um einen Bären, und sie feuerten unablässig, bis sich ein Schild nach dem anderen überlud und ausbrannte, weil er die zahlreichen Treffer an so vielen Stellen gleichzeitig nicht mehr kompensieren konnte. Und dann fielen die Schlitten über die Barken selbst her. Ihre Waffen rissen durch ihre schiere Anzahl gezackte Löcher in die schweren Panzerungen, und weil das Feuer nicht aufhörte, wurden die Barken schließlich von inneren Explosionen erschüttert. Rauch quoll fett und schwarz durch die Einschußlöcher, und Flammen gesellten sich hinzu.