Eins nach dem anderen kippten die Schiffe zur Seite und trieben hilflos im Wind davon, während sie langsam, aber unaufhaltsam Richtung Boden fielen. Die Armada aus Einmannschlitten hatte nur unbedeutende Verluste erlitten, als sie schließlich Barken hinter sich zurückließ und Kurs auf den ersten der pastellfarbenen Türme nahm, der groß und stolz in den frühen Morgenhimmel aufragte.
Tausende von Schlitten verdunkelten den Himmel. Unausweichlich näherten sie sich den letzten Zufluchtsorten der Clans. Die Besatzungen der Türme warteten ab, bis die Angreifer in sicherer Schußweite waren, dann eröffneten sie das Feuer aus ihren eigenen Disruptorkanonen. Sie rissen tiefe Lücken in die Reihen der Armada. Schlitten taumelten in die Tiefe, verdrehte, zerrissene Metallwracks, die lange Fahnen aus Feuer und Rauch hinter sich her zogen. Die Mehrzahl flog einfach weiter. Später würde noch genug Zeit sein zum Trauern. Das Sperrfeuer der Türme riß immer und immer wieder breite Lük-ken in die anbrandenden Massen, und der Himmel war voll mit Blut, Schreien, Explosionen und Splittern, und noch immer stürmte die Armada voran. Jetzt war es zu spät zur Umkehr.
Die Türme würden den Fliehenden in die Rücken schießen .
Und so nah am Ziel machten auch Ausweichtaktiken keinen Sinn mehr. Also gaben die Flieger Vollgas und schossen auf die Türme zu wie Lenkraketen, angetrieben von Wut und Entschlossenheit und lebenslangem Leid. Ohnesorg führte noch immer, und Ruby Reise und Alexander Sturm waren noch immer an seinen Flanken. Ohnesorg schrie und brüllte jetzt alte Kampfschreie, und Hunderte von Kehlen hinter ihm nahmen seine Rufe auf. Vielen der Rebellen war allein Jakobs Name Schlachtruf genug. Heulend fielen die Rebellen über die Türme her, und der Morgen war erfüllt von ihren Rufen nach Rache und Vergeltung.
Die Kanonen der Türme feuerten ununterbrochen. Sie schossen Schlitten um Schlitten ab, und auf allen Seiten stürzten schwarz verbrannte Trümmer in die Tiefe. Hunderte guter Männer und Frauen fanden den Tod, wurden zusammen mit ihren Fliegern zerfetzt und zerrissen, von Feuer verschlungen oder einfach von der Wucht naher Explosionen von ihren Schlitten geschleudert.
Jakob, Ruby und Alexander führten den Angriff noch immer.
Rings um die drei herum explodierten Schlitten und starben Rebellen. Die Thermik in der Nähe der Türme erfaßte die ersten Schlitten, und sie kurvten in wilden, gefährlichen Manövern herein. Hinter ihnen warfen Tausende weiterer Schlitten dunkle, unheilvolle Schatten auf die Türme. Hunderte Angreifer waren bereits gefallen, jeden Augenblick starben weitere; doch es waren noch immer viele Tausende, und sie ließen sich nicht abschrecken. Inzwischen waren die führenden Schlitten ganz nah. So nah, daß die Disruptorkanonen der Türme nicht mehr auf sie zielen konnten. Die Angreifer durchbrachen die Verteidigungsringe und nahmen Kurs auf die riesigen Stahlglasfenster der oberen Stockwerke. Ohnesorg glaubte, hinter den Scheiben erschrockene Gesichter mit vor Furcht weit aufgerissenen Augen zu sehen, und sein Herz wurde warm bei diesem Anblick. Er grinste noch immer, als ein Disruptorstrahl aus dem Turm der Chojiros seinen Schlitten traf. Jakob klammerte sich grimmig an den Konsolen fest, als der Schlitten unter ihm zu bocken begann. Dann explodierte das gesamte Armaturenbrett. Ohnesorg packte geblendet vom Blitz und den Flammen an den plötzlich toten Gashebel, und der Schlitten sackte unter ihm weg. Der Flieger stürzte wie ein Stein zu Boden und zog eine lange Rauchfahne hinter sich her. Ohnesorg sah, wie die Armada sich über ihm entfernte und ihn zurückließ. Er fluchte lästerlich und kämpfte mit den Überresten der Kontrollen. Jakob hatte keine Angst vorm Sterben. Er war viel zu wütend. Er war so weit gekommen und hatte soviel durchgemacht, und ausgerechnet jetzt sollte es zu Ende sein.
Die Maschine des Fliegers hustete, und der Schlitten machte einen Satz. Fast hätte Jakob den Halt verloren und wäre herun-tergefallen. Er fauchte etwas Unverständliches und konzentrierte sich weiter auf die Kontrollen in dem Bemühen, die brennenden Überreste des Schlittens zu einem Wunder zu überreden. Und tatsächlich schien einer der Götter, die er angerufen hatte, seine Gebete zu erhören. Die Maschine des Schlittens erwachte stotternd zu neuem Leben. Sie klang rauh und unruhig, und der Schlitten schwankte und taumelte wild mal in die eine, mal in die andere Richtung; doch langsam, ganz allmählich wurde der unkontrollierte Absturz gebremst und endete schließlich ganz. Jakob Ohnesorg heulte und schrie und schüttelte triumphierend die Faust, und der Schlitten gewann wieder an Höhe. Er stieg an der Seite des Turms Chojiro empor, hinauf zu der wartenden Familie im obersten Stockwerk.
Die Maschine drohte jeden Augenblick wieder zu versagen; doch Ohnesorg ließ es nicht so weit kommen. Er bediente die Kontrollen mit höchster Konzentration. Die Armada über ihm brandete noch immer wie unzählige dunkle, drohende und unaufhaltsame Schatten gegen die Türme an. Nach wie vor feuerten die Verteidiger, und in der Masse der Angreifer hatten sich große Lücken aufgetan, und trotzdem rückten die Schlitten weiter vor. Einige von ihnen hatten ihr Ziel schon erreicht. Sie schossen große Löcher in die Stahlglasfenster und krachten in die obersten Stockwerke der Türme. Truppen mit Schwertern und Disruptoren erwarteten sie dort; aber die erste Welle von Rebellen kämpfte tapfer und mit dem Mut wilder Verzweiflung. Sie wollten nicht sterben, bevor sie nicht für die Nachrückenden einen Brückenkopf gesichert hatten. Viele von ihnen starben trotzdem schon nach wenigen Augenblicken, überwäl-tigt von der schieren Übermacht der Verteidiger, doch ununterbrochen tauchten weitere Rebellen auf und erzwangen sich Meter für Meter ihren Weg in die Türme.
Es war ein Kampf, den die Familien so niemals zu führen erwartet hatten. Nach dem Schlittenangriff der Wolfs auf den Turm der Feldglöcks hatten die meisten Familien ein paar zu-sätzliche Disruptorkanonen auf den Dächern montiert und Geld in eine Flottille von Antigravbarken investiert; doch noch nicht einmal in ihren kühnsten Träumen hatten sie sich vorgestellt, eines Tages derartige Massen von Angreifern abwehren zu müssen.
Mehr und mehr Schlitten durchbrachen die Verteidigungsringe der Türme und die Fenster der oberen Stockwerke. Ohnesorg fluchte wehmütig, während sein Schlitten langsam höher stieg. Er hatte als einer der ersten in den Turm Chojiro eindrin-gen und den nach ihm Kommenden Rückendeckung geben wollen. Jakob Ohnesorg war ein Mann, der gewohnt war, seinen Truppen voranzugehen. Er wußte nicht, was aus Alexander Sturm oder Ruby Reise geworden war; doch er hatte jetzt auch nicht die Zeit, um über das Schicksal der beiden nachzudenken.
Der Schlitten kroch die letzten paar Stockwerke empor und kam vor dem obersten Geschoß zum Stillstand. Ohnesorgs Magen krampfte sich zusammen, als er sich unvermittelt einem ganzen Dutzend auf ihn gerichteter Disruptoren gegenüber sah.
Irgend jemand war durch eines der Stahlglasfenster gebrochen, doch er hatte offensichtlich nicht überlebt. Adrenalin schoß durch Jakobs Adern, und mit einemmal schien sich alles in Zeitlupe zu bewegen. Er hatte plötzlich alle Zeit der Welt, um die Situation zu analysieren und über das nachzudenken, was als nächstes zu tun war. Er vertraute dem halb zerstörten Schlitten nicht genug, um sich unter das Schußfeld der Disruptoren fallen zu lassen, und der Flieger war auch nicht mehr schnell genug, um hochzusteigen. Und wenn er seine letzten Augenblicke mit dem Versuch zubrachte, die Schutzschirme des Schlittens hochzufahren, nur um herauszufinden, daß sie nicht funktionierten, dann würden die Disruptoren nicht genug von ihm für eine Beerdigung übriglassen. Und so tat Ohnesorg das einzige, was zu tun blieb, während die Zeit wieder schneller abzulaufen begann. Er riß den Gasgriff des Schlittens bis zum Anschlag auf und krachte mit seinem Gefährt mitten zwischen die wartenden Wachen.
Sie feuerten wild um sich, als er plötzlich zwischen ihnen war, und es war unausweichlich, daß einige Schüsse trafen. Der Schlitten explodierte, und Ohnesorg wurde in einer Flammen-wolke über das Armaturenbrett hinweg nach vorn geschleudert.