Er segelte geblendet und mit brennenden Kleidern durch die Luft und versuchte verzweifelt, die Beine unter den Leib zu ziehen. Die Überreste des Schlittens explodierten erneut, und die Wachen verteilten sich hastig. Ohnesorg prallte heftig auf den teppichbedeckten Boden auf. Der Aufprall trieb ihm die Luft aus den Lungen. Er rollte sich zu einer Kugel zusammen und hoffte, daß der Rauch der Explosion ihm Deckung gab.
Verzweifelt bemühte er sich, das Schwert und den Disruptor zu ziehen. Er hörte die Rufe der Wachen und das Knistern des Feuers über den Lärm des allgemeinen Durcheinanders hinweg, und dann krachten die Überreste des brennenden Antigravschlittens auf ihn herab und begruben ihn unter sich, und Jakob hörte nur noch das bösartige Brüllen der Flammen und spürte eine alles verzehrende Hitze.
Die überlebenden Wachen riefen nach Verstärkung und be-kämpften die überall im obersten Stockwerk ausbrechenden Feuer. Die Familienmitglieder der Chojiro hatten sich bereits vor einiger Zeit in das darunter liegende Stockwerk zurückgezogen. Weitere Wachen trafen ein. Ein Teil half beim Löschen der Feuer, während die restlichen Wachen an den zerbrochenen Fenstern in Stellung gingen und die anstürmenden Schlitten unter Dauerbeschuß nahmen. Der Turm Chojiro hatte mehr Disruptorkanonen auf dem Dach als die meisten anderen, und für den Augenblick konzentrierten sich die angreifenden Schlitten auf die weniger gut verteidigten Türme. Eine Handvoll Wachen näherte sich vorsichtig dem brennenden Wrack von Jakobs Schlitten. Niemand konnte einen solchen Sturz und das Feuer überleben; doch die Wachen gingen kein unnötiges Risiko ein. Man hatte ihnen erstaunliche Dinge über einige der Rebellen erzählt. Einer der mutigeren von ihnen beugte sich über den Schlitten und stieß ihn neugierig mit der Schwertspitze an. Die Hitze des Feuers hinderte ihn daran, noch näher heranzutreten; aber er glaubte, unter dem Wrack eine verkohltes Bein zu sehen. Er stieß auch das Bein mit dem Schwert an und machte einen erschrockenen Satz nach hinten, als das Bein zuckte. Der Söldner beeilte sich, in die Reihen seiner Kameraden zurückzukehren, und plötzlich geriet das Wrack in Bewegung und kippte zur Seite. Irgend etwas darunter stand wieder von den Toten auf und befreite sich entschlossen von den Trümmern. Der brennende Schlitten überschlug sich, und eine schwarz verkohlte menschliche Gestalt tauchte darunter auf.
Die Kleider waren versengt, und die ungeschützte Haut an den Händen und im Gesicht war rot und roh von den Verbrennungen. Doch die Gestalt stand hoch erhoben vor den Wachen, und die verbrannten Hände hielten Schwert und Disruptor sicher in ihrem Griff. Die Augen der Gestalt waren nur weiße Schlitze in einem schwarzen Gesicht. Plötzlich blitzten weiße Zähne in einem erschreckenden Grinsen.
»Keine Angst, so leicht sterbe ich nicht«, sagte Jakob Ohnesorg.
Die Wachen standen sekundenlang wie angewurzelt da, be-täubt vom Anblick eines Wesens, das längst hätte tot sein müssen und das sich statt dessen erhoben hatte und sie aufs neue herausforderte. Doch sie waren gut ausgebildete Turmwachen, und sie waren konditioniert, ihren Familien bis in den Tod zu dienen. Der Augenblick verging. Mit einem kalten Schulterzuk-ken schüttelten sie die Furcht ab und griffen mit erhobenen Schwertern an. Sie waren bereit, den verbrannten Geist in hundert Fetzen zu hauen. Davon würde er sich bestimmt nicht mehr erholen. Ohnesorg hob seinen Disruptor und zielte sorgfältig. Er schaltete drei Wachen mit einem einzigen Schuß aus. Sie starben schweigend; doch der Rest rückte unbeeindruckt vor. Ohnesorg schob seinen Disruptor zurück in den verkohlten Holster, packte das Schwert mit fester Hand und überlegte, wie viele der Angreifer er wohl mit in den Tod nehmen könnte, bevor sie ihn endgültig erwischten. Selbst Jakob Ohnesorg hatte seine Grenzen, und er spürte, daß er ihnen verdammt nah gekommen war.
Der Absturz und das Feuer hatten ihn viel gekostet, und ihm blieb nicht genug Zeit, um sich zu regenerieren. Er hätte mit den Schultern gezuckt, wenn es nicht so geschmerzt hätte. Jakob hatte immer gewußt, daß er eines Tages alleine sterben würde.
Überrannt von der letzten, endgültigen Übermacht seiner Feinde.
Und das war der Augenblick, in dem Ruby Reises Stimme plötzlich in seinen Ohren dröhnte.
»In Deckung, Jakob!«
Er warf sich zu Boden, ohne auch nur eine Sekunde zu zögern, und mit einemmal war der Raum mit dem donnernden Krachen von Maschinengewehrfeuer erfüllt . Ruby hatte das Feuer aus der schweren Projektilwaffe eröffnet, die auf ihrem Schlitten montiert war. Der Flieger schwebte draußen vor dem zerschmetterten Fenster. Die Wachen zuckten und brachen zusammen, während sie von Kugeln durchsiebt wurden. Sie starben hilflos angesichts einer Waffe, auf die sie niemals vorbereitet worden waren. Nur wenige fanden Zeit, das Feuer zu erwidern. Sie richteten keinerlei Schaden an, und schon bald waren alle tot und lagen seltsam verrenkt in großen Lachen ihres eigenen Blutes auf dem teuren Teppich. Die Waffe verstummte, und die plötzliche Stille im Raum ließ Jakobs Ohren klingeln. Dichte Rauchschwaden trieben träge durch die Luft.
Ruby riß die schwere Waffe aus ihrer Verankerung und sprang leichtfüßig durch das zerschmetterte Fenster . Sie eilte zu Jakob, der müde die Hand zum Gruß hob . Ruby starrte auf die verkohlte, halb rohe Hand und dann auf sein nicht minder entsetzlich zugerichtetes Gesicht.
»Jakob… du siehst schrecklich aus.«
»Danke für das Kompliment. Wahrscheinlich sieht es schlimmer aus, als es sich anfühlt – obwohl es sich wirklich verdammt schlimm anfühlt –; aber ich werde wieder gesund.
Ich spüre, wie es heilt. Ich bin noch immer mit im Spiel.« Er warf einen Blick auf die schwere Projektilwaffe, die Ruby in den Armen hielt wie ein Kind. »Ich schätze, es war genau richtig, dieses Ding mitzubringen. Sieht aus, als würde es eine Menge Spaß machen.«
Ruby kicherte. »Darauf kannst du deinen Hintern verwetten.
Hier, halt mal.« Sie warf ihm das Maschinengewehr in die Ar-me und ging zielstrebig auf die Toten zu. Neben den ersten kniete sie nieder und durchwühlte mit professionellem Geschick seine Taschen. Ohnesorg runzelte die Stirn.
»Ruby, was machst du da?«
»Ich suche nach Wertsachen, warum? Kredits, Edelsteine, was eben so anfällt.«
»Wir haben keine Zeit für so etwas!«
»Dazu ist immer Zeit. Als ich mich dieser Rebellion angeschlossen habe, wurde mir soviel Beute versprochen, wie ich tragen kann, und das hier ist die erste Anzahlung. Obwohl ich zugeben muß, daß die Ausbeute ziemlich mager ist. Eine billige Bande. Morgen um diese Zeit habe ich den gesamten Turm durchsucht. Wenn es klein und wertvoll ist und wenn ich es irgendwie bei mir tragen kann, dann werde ich es mir holen.«
Ohnesorg schüttelte traurig den Kopf und ging zur Treppe . Er dachte keine Sekunde daran, den Aufzug zu benutzen: sicher war er mit Fallen gespickt. Er hätte es genauso gemacht. Die Familie hatte sich wahrscheinlich ein Stockwerk tiefer verbarrikadiert. Zweifellos wurde sie von einer kleinen Armee von Beschützern verteidigt, Nicht, daß es irgend etwas genützt hät-te. Ohnesorg grinste wölfisch und spürte, wie die Haut auf seinem Gesicht riß. Er griff automatisch nach oben und betastete seinen Mund. Schwarze Stücke verbrannten Gewebes lösten sich ab. Jakob spähte in einen kleinen Spiegel an der Wand neben der Treppe. An den Stellen, wo sich die verbrannte Haut geschält hatte, wurde frisches neues Gewebe sichtbar. Er heilte.
Er fühlte sich noch immer schrecklich; aber jetzt war nicht die Zeit, um sich darüber Gedanken zu machen. Er stieß die Tür zum Treppenhaus auf und spähte die hell erleuchtete Metalltreppe hinunter. Sie lag verlassen und still da. Nichts rührte sich.
Ohnesorg grinste erneut. Ganz ohne Zweifel hielt der Clan Chojiro alle möglichen unangenehmen Überraschungen für ihn bereit . Trotzdem, sie würden ihn nicht aufhalten. Nichts und niemand würde ihn jetzt noch aufhalten, nicht alle bewaffneten Streitkräfte von Golgatha zusammen und auch nicht alle Beute der Welt. Er hatte sich den Turm Chojiro mit voller Absicht als Ziel gesucht. Jakob hatte seine Erfahrungen mit den verräterischen Machenschaften der Chojiros, und nun, da er endlich hier war, würde er sie allesamt schreiend zur Hölle schicken, egal was es auch kosten würde. Er rief scharf nach Ruby. Die Kopfgeldjägerin zog noch rasch ein paar Ringe von ein paar toten Händen, dann eilte sie herbei. Ihre Taschen waren ausge-heult von allen möglichen Wertsachen. Sie nahm die Projektilwaffe wieder an sich und hielt sie zärtlich in den Armen.