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Wenn das hier vorbei war, würde sie ein paar scharfe Worte mit Jakob wechseln . Erstens, weil er es gewagt hatte, in diesem Ton mit ihr zu reden, und zweitens, weil er sie beim Durchsuchen der Leichen unterbrochen hatte. Für den Augenblick gab sie sich allerdings damit zufrieden, ihm zu folgen, wohin auch immer. Sie übernahm auf Ohnesorgs Wink hin die Führung und setzte sich die Treppe hinunter in Bewegung . Ohnesorg folgte ihr dicht auf den Fersen.

Sie waren nicht weit gekommen, als ein entschlossener Trupp persönlicher Leibgarden die Treppe hinaufkam, um ihnen entgegenzutreten. Ruby brachte das Maschinengewehr in Anschlag und eröffnete augenblicklich das Feuer. Ohrenbetäubender Lärm erfüllte das enge Treppenhaus; doch die Wachen hatten längst ihre persönlichen Schutzschilde eingeschaltet. Die hinteren Reihen hielten die Schilde über ihre Köpfe. Kugeln prallten harmlos von den Energiefeldern ab und flogen als Querschläger durch die Gegend. Ruby mußte das Feuer einstellen, um nicht zu riskieren, selbst getroffen zu werden. Sie ließ das Maschinengewehr fallen und riß das Schwert heraus in der Erwartung, die Wachen würden jetzt die Schilde abschalten und mit gezückten Schwertern angreifen. Doch nichts derglei-chen geschah. Die Wachen rückten unvermindert langsam und mit eingeschalteten Schilden vor. Sie blockierten die Treppe in ihrer ganzen Breite, und weil es keinen anderen Weg gab, zwangen sie Ruby und Jakob auf diese Weise zum Rückzug.

Es war eine ebenso einfache wie wirkungsvolle Taktik. Ihr einziger Sinn bestand darin zu verhindern, daß die Rebellen zu der Familie vordrangen.

Bei jedem anderen hätte diese Taktik wahrscheinlich funktioniert; aber Ruby und Jakob waren durch das Labyrinth des Wahnsinns gegangen. Sie faßten sich mental bei den Händen, vereinigten ihre Bewußtseine und sandten eine pyrokinetische Feuerwand die Treppe hinab. Das gesamte Treppenhaus wurde von so extremer Hitze erfüllt, daß die Metallsrufen und die Wände Blasen warfen. Die blendend weißen Flammen leckten um die Schutzschilde der Wachen herum und wirbelten sie beiseite. Innerhalb von Sekundenbruchteilen brannten sämtliche Wachen. Nur wenige fanden Zeit zu schreien, und noch weniger wandten sich zur Flucht; doch das Feuer war überall, und als es schließlich wieder verschwand, waren alle tot. Die Treppe war überfüllt mit verkohlten Leichen und dem schweren, erstickenden Gestank von verbranntem Fleisch. Ruby und Jakob unterbrachen ihre mentale Verbindung und blickten leidenschaftslos auf ihr Werk. Sie verschwendeten keinen Gedanken mehr an Gnade oder Mitleid.

Ruby zuckte vor der Hitze zurück und starrte mißmutig auf die verbrannten Körper, die den Weg nach unten versperrten.

»Ich schätze, wie müssen sie beiseite schaffen, bevor wir weitergehen können«, brummte sie. »Vielleicht hätten wir lieber zulassen sollen, daß sie fliehen.«

»Auf keinen Fall«, widersprach Ohnesorg. »Ein Feind, den man fliehen läßt, ist ein Feind, der irgendwann zurückkehren wird. Laß uns anfangen. Diese vielen Hindernisse machen mich richtig ungeduldig.«

Ruby zog ein Paar Handschuhe über und machte sich daran, die verkohlten Leichen beiseite zu räumen. Sie rümpfte die Nase ob des Gestanks, doch Ohnesorg schien ihn nicht einmal zu bemerken. Er hatte schon Schlimmeres gerochen. Dicke schwarze Flecken lösten sich von seinem Gesicht und seinen Händen, während er arbeitete, und darunter kam junge, rosige Haut zum Vorschein. Als er angefangen hatte zu arbeiten, hatte er noch ausgesehen wie die Leichen, die sie beiseite räumten; aber als sie schließlich damit fertig waren, sah er schon fast wieder aus wie der alte. Seine Kleidung war natürlich immer noch ruiniert, aber das war eben nicht zu ändern. Sie schafften gerade den letzten Leichnam beiseite, als ein einzelnes Paar Schritte eilig von oben die Treppe herunter kam. Ruby brachte rasch ihr Maschinengewehr in Anschlag, und Ohnesorg zog seinen Disruptor. Sie postierten sich Rücken an Rücken und hielten beide Seiten der Treppe im Auge – nur für den Fall, daß die Schritte eine Finte waren, um ihre Aufmerksamkeit vom eigentlichen Angriff abzulenken. Die Schritte schienen Ewigkeiten zu benötigen, um näherzukommen, und dann bog Alexander Sturm um die Ecke des Treppenabsatzes. Er blieb überrascht stehen, blinzelte und grinste dann auf das Maschinengewehr, mit dem Ruby auf ihn zielte.

»Wärt Ihr ein Mann, Ruby Reise, könnte ich jetzt eine sehr verletzende Bemerkung über Euer Bedürfnis fallen lassen, eine so große Waffe zu tragen«, sagte er schließlich gelassen. »Aber da Ihr kein Mann seid, spare ich mir die Mühe.«

Ruby wechselte einen Blick mit Ohnesorg. »Hat er gesagt, was ich glaube, daß er gesagt hat?«

»Laß uns später darüber reden«, wich Ohnesorg diplomatisch aus. Er senkte seinen Disruptor und grinste Sturm an. »Wurde auch allmählich Zeit, daß du auftauchst. Ich habe mich die ganze Zeit gefragt, was dich so lange aufhält.«

»Der Verkehr war mörderisch«, entgegnete Sturm. Er sog die Luft ein und verzog das Gesicht. »Wie ich sehe, habt ihr wieder einmal die Hölle heraufbeschworen.«

»Wir tun nur, was getan werden muß«, erwiderte Ohnesorg.

»Komm hinter uns her, Alexander. Wir sind den Chojiros dicht auf den Fersen. Ich kann es spüren.«

»Ja«, sagte Ruby. »Es ist soweit. Das Schicksal erwartet die Chojiros. Die Zeit der Rache ist gekommen«

»Du hast schon wieder Gruselromane gelesen«, sagte Ohnesorg und rümpfte die Nase.

Sturm grinste. »Ach, sie kann tatsächlich lesen? Das wußte ich noch gar nicht.«

»Rede nur weiter so, Sturm«, knurrte Ruby. »Auf dem Grill ist noch Platz.«

»Mein Gott, das ist ja wie im Kindergarten!« sagte Ohnesorg.

»Haltet endlich den Mund, alle beide, und folgt mir. Wir wollen die Chojiros nicht unnötig warten lassen.«

Er setzte sich in Bewegung. Ruby folgte dicht hinter ihm.

Sturm hüllte sich eng in seinen Umhang, um sich vor der Hitze zu schützen, die nur langsam abnahm; dann ging er den beiden hinterher .

Sie bewegten sich vorsichtig voran, doch sie trafen auf keinen weiteren Widerstand mehr. Keine Soldaten, keine Fallen.

Nichts als die Metalltreppe, die vor ihnen nach unten führte.

Ohnesorg wurde von Sekunde zu Sekunde mißtrauischer. Er umklammerte das Schwert und den Disruptor so heftig, daß seine Finger schmerzten. Das war nicht der Clan Chojiro, den er in Erinnerung hatte. Die Chojiros, die er kannte, hatten für jede mögliche Bewegung eine Falle, für jeden Schritt eine Fußangel und Schicht um Schicht aus Verrat und Betrug um sich herum errichtet. Und wenn alles so unerwartet leicht ging, konnte das eigentlich nur bedeuten, daß die Chojiros ihn bereits erwarteten. Daß sie wollten, daß er bis zu ihnen vordrang. Und das wiederum konnte nur bedeuten, daß ihn eine wirklich bösartige und vernichtende Überraschung erwartete. Ohnesorg grinste sein wölfisches Grinsen.

Es spielte keine Rolle, was sie für ihn bereithielten. Nichts würde ihn jetzt noch aufhalten .

Sie erreichten den Fuß der Treppe und näherten sich vorsichtig der nackten Metalltür, die zur nächsten Etage führte. Alles war still und leise. Ruby spähte über das Geländer in die Tiefe, für den Fall, daß dort Wachen auf der Lauer lagen, doch das Treppenhaus lag leer und verlassen, soweit das Auge reichte.