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Ohnesorg untersuchte die Tür und die umliegende Wand sorgfältig, aber er konnte keine Falle entdecken. Er war ziemlich sicher, daß ihm alles Verdächtige aufgefallen wäre; trotzdem fühlte er sich erleichtert, als er schließlich den Türgriff langsam drehte und die Tür einen Spalt weit aufschob und nichts geschah. Er winkte Ruby zu sich, und sie glitt lautlos und mit schußbereitem Maschinengewehr neben ihn. Ohnesorg zählte in Gedanken bis drei, und beide warfen sich gemeinsam gegen die Tür und stürmten in die darunterliegende Etage. Sturm folgte ihnen auf dem Absatz. Ein rascher Blick in die Runde zeigte Ohnesorg, daß keine Wachen auf sie warteten. Nirgendwo waren Fallen zu erkennen. Nichts, außer einem Mann und einer Frau, die beieinander standen und mit demonstrativ leeren Händen darauf warteten, die drei Besucher zu begrüßen.

SB Chojiro und Gregor Shreck.

SB war eine kleine Puppe von einer Frau. Sie besaß langes schwarzes Haar und scharf geschnittene orientalische Gesichtszüge. Sie trug einen Kimono aus hellem Purpur, der an den richtigen Stellen eng gebunden war. Ohnesorg konnte sich oh-ne Schwierigkeiten vorstellen, warum Julian Skye sich einst in sie verliebt hatte. Der Shreck auf der anderen Seite war ein gedrungener Fettklops von Mann mit aufgedunsenem Gesicht und kleinen tückischen Augen. Ein gefährlicher, hinterhältiger, trickreicher und nachtragender Mann – jedenfalls nach allem zu urteilen, was Jakob so von ihm gehört hatte.

Ohnesorg trat langsam vor und blieb außer Reichweite der Chojiro oder des Shrecks stehen. Ruby und Sturm traten rechts neben ihn. Sie hatten die Waffen im Anschlag . SB Chojiro verneigte sich tief vor den drei Rebellen. Der Shreck zwang sich zu einem steifen Nicken.

»Wer zur Hölle sind diese Leute?« fragte Ruby, ohne sich die Mühe zu machen, ihre Stimme zu dämpfen.

»Ich wünschte wirklich, du hättest regelmäßig an den Besprechungen teilgenommen«, sagte Ohnesorg, ohne die beiden vor sich aus den Augen zu lassen. »Die Frau ist die Sprecherin der Chojiros, wenn es um Verhandlungen und ähnliche Dinge geht. Außerdem gehört SB Chojiro zum Schwarzen Block, obwohl wir das eigentlich nicht wissen dürften.«

»Vielleicht will sie mit uns über die Kapitulation ihres Clans verhandeln«, sagte Sturm.

Ruby runzelte die Stirn. »Würdest du sie akzeptieren, Jakob?«

»Nicht in tausend Jahren«, erwiderte Ohnesorg mit einer Stimme, die so kalt und emotionslos war wie der Tod. »Die Chojiros haben nichts, das ich so dringend wünsche wie ihren Untergang . Aber den alten Shreck solltest du wirklich erkennen, Ruby Gregor Shreck, der oberste Schleimball eines völlig heruntergekommenen Clans . Wenn es ihm paßt, spielt er den Rebellen, aber er ist immer und in erster Linie eins der Familienoberhäupter

»Ist das der Onkel von Tobias?«

»Ganz genau der.«

»O ja. Dann habe ich allerdings schon von ihm gehört. Wir werfen Münzen, wer als erster auf ihn einhacken darf, ja?«

»Aber nicht mit deiner Münze«, widersprach Ohnesorg . »Ich weiß, daß es eine Spezialanfertigung ist.«

»Falls wir am Ende wirklich verhandeln sollten, dann überlaßt das Reden bitte mir«, sagte Alexander Sturm. »Ihr beide redet euch sogar noch aus einem Lotteriegewinn heraus. Ich habe Erfahrung in diesen Dingen.«

»Es wird keine Verhandlungen geben«, sagte Ohnesorg entschlossen. »Ich habe so lange gewartet, um den Clan Chojiro zu Fall zu bringen. Der Shreck ist nur ein zusätzlicher Bonus.«

»Laßt sie wenigstens reden«, sagte Sturm. »Was kann es schaden?«

»Vielleicht verraten sie uns ja, wo sich die restlichen Chojiros verstecken«, meinte Ruby. »Oder noch besser, wo sie ihre Wertsachen versteckt haben.«

Ohnesorg nickte knapp. SB Chojiro lächelte ihre drei Besucher charmant an. Sie beeindruckte keinen damit; doch sie hielt ihr Lächeln aufrecht.

»Willkommen, verehrte Gäste«, sagte sie. »Bitte entschuldigt unsere frühere bewaffnete Verteidigung. Zu diesem Zeitpunkt hatten die Familien noch kein Einverständnis über die bestmögliche Vorgehensweise erzielt, und sie verspürten das Be-dürfnis, sich zu schützen, solange die Gespräche andauerten .

Ich bin glücklich, Euch darüber informieren zu können, daß die Gespräche zu einem Ende gekommen sind. Ich bin ermächtigt, im Namen aller Clans zu sprechen. Der Shreck befindet sich bei mir, um meine Worte zu bestätigen. Um es kurz zu machen: Wir wünschen uns zu ergeben.«

Ohnesorgs Unterkiefer fiel nur ein kleines Stück herunter.

Alles hatte er an diesem Tag erwartet, aber nicht das. »Was denn?« fragte er ungläubig. »Alle Familien wollen sich ergeben?«

»Ich spreche für jeden Clan im gesamten Imperium«, sagte SB Chojiro. »Wir vermögen keinen Sinn in einem fortgesetzten bewaffneten Konflikt zu erkennen.«

»Laß dich nicht von ihr einlullen«, warnte Ruby. »Vergiß nicht, aus welchem Grund wir hergekommen sind. Sie will dich nur ablenken.«

»Unsere Kapitulation ist selbstverständlich von einigen zu er-füllenden Bedingungen abhängig«, fuhr SB Chojiro ungerührt fort.

»Das klingt schon eher nach den Clans«, brummte Alexander Sturm.

»Die Familien sind damit einverstanden, ihre Titel und die damit verbundenen Privilegien aufzugeben«, sagte SB Chojiro gelassen. »Als Gegenleistung verlangen sie ihr Überleben. Im Grunde genommen läuft es darauf hinaus, daß die gesamte Aristokratie verschwinden wird. Die Konzerne verbleiben im Besitz der Familien. Die Clans werden weiterhin ihren Geschäften nachgehen, aber sie werden sich nicht mehr an der Regierung des Imperiums beteiligen. Eine wirklich ziemlich einfache Vereinbarung, nicht wahr? Ihr ruft Eure Kriegshunde zurück und garantiert unsere Sicherheit, und wir ziehen uns aus der Politik zurück. Wir sind nicht so blind, daß wir nicht erkennen, wann die alte Ordnung am Ende ist und eine neue beginnt. Ist es nicht genau das, was Ihr Euch immer gewünscht habt, Jakob? Das Ende der etablierten, vererbten Macht innerhalb des Imperiums?«

»Wie können wir wissen, daß Ihr für sämtliche Familien sprecht?« fragte Ohnesorg . »Ihr seid Euch doch noch nie über irgend etwas einig gewesen.«

»Ich gehöre zum Schwarzen Block«, erwiderte SB Chojiro.

Sie lächelte noch immer. »Keine der Familien ist mächtiger als der Schwarze Block.«

»Meine Güte«, sagte Ruby. »Ich dachte immer, der Schwarze Block sei nichts weiter als ein Mythos. Junge Mitglieder der Familien, die auf Loyalität bis in den Tod und darüber hinaus konditioniert werden, nicht wahr? Sie haben alles und jedes infiltriert und warten im Verborgenen . Die letzte Waffe der Familien gegen die Löwenstein. Und du gehörst zu diesem Schwarzen Block?«

»Ganz genau«, erwiderte die Chojiro. »Doch im Laufe der Jahre wurde der Schwarze Block zu mehr als dem, wozu er ursprünglich gedacht war. Unsere Loyalität gilt nun dem Schutz und dem Überleben aller Familien und nicht nur der Clans, die den Schwarzen Block ins Leben gerufen haben. Es kam für einige Oberhäupter der Clans ein wenig überraschend, zugegeben, aber sie begriffen rasch die neuen Möglichkeiten, die sich daraus ergaben. Ganz besonders, als wir diesen Plan vorschlugen, um das Überleben der Familien zu sichern. Allerdings mußten einige der Clanoberhäupter ein wenig intensiver überzeugt werden. Sie fühlten sich in ihren uralten Türmen unendlich sicher; aber Euer unerwarteter Angriff und Eure brillante Strategie änderten alles, Jakob. Als Eure Truppen unsere Verteidigungen durchbrachen und in die obersten Stockwerke der kostbaren Türme eindrangen, war es tatsächlich erstaunlich, wie rasch auch die letzten Zauderer ihre Meinung änderten und uns baten, mit Euch in Verhandlungen zu treten.