Finlay hörte, wie die Rebellen hinter ihm allmählich unruhig wurden.
»Typisch«, sagte er verstimmt. »Alles muß man selbst machen. Julian, öffnet diese Tür.«
»Schon dabei«, sagte der Esper. Er konzentrierte sich und ignorierte den vertrauten Kopfschmerz, der hinter seiner Stirn aufwallte, und dann traf ein psychokinetischer Hammerschlag die Türen, der so stark war, daß sie aus den Angeln gerissen wurden und ins Innere des Bunkers flogen. Die Rebellen jubelten, und Finlay führte sie durch die Öffnung in die Kommandozentrale des Feindes. Er war noch nicht weit gekommen, als er wie angewurzelt stehenblieb. Evangeline und Julian, die ihm dicht auf den Fersen waren, hätten ihn fast umgerannt. Vor ihnen stand eine einzelne Gestalt in einem anonymen Umhang und bewachte den Durchgang zur Zentrale mit gezücktem Schwert. Ein glatter Helm aus schwarzem Stahl verhüllte das gesamte Gesicht. Es war ein vertrauter Anblick für jeden, der jemals die Kämpfe in der Arena beobachtet hatte. Es war der unbesiegte Champion der Arena persönlich. Der Maskierte Gladiator.
»Nein…«, stammelte Finlay. »Nicht du. Nicht… du.«
»Selbstverständlich ich«, sagte eine gelassene Stimme unter dem Helm. »Ich war dem Eisernen Thron stets treu ergeben, komme, was wolle. Was bedeutet, daß Ihr an mir vorbei müßt, wenn Ihr weiter wollt. Ein Mann an der richtigen Stelle kann eine ganze Armee aufhalten. Und der Maskierte Gladiator wurde noch nie besiegt.«
»Tu das nicht«, sagte Finlay. »Ich will nicht gegen dich kämpfen müssen.«
»Niemand kommt an mir vorbei«, sagte der Maskierte Gladiator ungerührt. »Ohne Ausnahme. Nicht einmal du, Finlay.«
»Ist mir scheißegal, was du da erzählst«, sagte Julian plötzlich. Er trat vor, und sein Gesicht war von einer derart überwältigenden Wut verzerrt, daß Finlay es kaum wiedererkannte.
»Ich habe lange auf diese Chance gewartet, du verdammter Bastard! Du hast meinen Bruder getötet , Auric Skye!«
»Ich habe eine Menge Leute getötet«, sagte die Stimme hinter dem glatten Helm. »Ich erinnere mich nicht mehr an alle Namen.«
»Ich erinnere mich dafür um so besser«, erwiderte Julian, und sein ESP schlug zu. Eine unwiderstehliche Macht packte den Maskierten Gladiator und riß ihn von den Beinen. Er hing in der Luft und zappelte hilflos, während Blut aus jedem Loch in seinem Panzer sprudelte und der Körper im Innern der Rüstung von einer eiskalten, rachsüchtigen Macht zerschmettert wurde. Der Maskierte Gladiator gab keinen Laut von sich, doch irgendwann hörte er auf zu zappeln, und Julian ließ ihn achtlos fallen. Er stürzte zu Boden und rührte sich nicht mehr.
Julian beugte sich schwer atmend über ihn. Zwei dünne Blutfäden rannen aus seinen Nasenlöchern. Er spuckte auf den glatten Helm des Maskierten.
»Das war für dich, Auric.«
Und dann setzte er sich in Bewegung, und die Rebellen strömten hinter ihm her und jubelten dem Mann zu, der den unbesiegten Maskierten Gladiator geschlagen hatte. Tobias und Flynn folgten ihnen. Keiner von ihnen bemerkte, daß Finlay und Evangeline noch immer neben dem gefallenen Mann knieten. Finlay wartete, bis die letzten Rebellen vorbei waren; dann entfernte er behutsam den Helm des Sterbenden und starrte in das blutverschmierte Gesicht von Georg McCrackin, dem ursprünglichen Maskierten Gladiator – in das Gesicht jenes Mannes, der Finlay alles gelehrt hatte, was der Feldglöck über den Kampf wußte, und der ihm dann sogar gestattet hatte, in der Arena seinen Platz einzunehmen. Georg bemühte sich, Finlay und Evangeline anzulächeln, doch seine Zähne waren rot vom eigenen Blut.
»Jetzt werden wir niemals… herausfinden, ob du mich… geschlagen hättest, Finlay. Ich hätte wissen müssen, daß ein Esper mir keine faire Chance gibt.«
»Ich habe seinen Bruder getötet«, flüsterte Finlay. »Es tut mir so leid, Georg. Ich wollte niemals… Warum bist du in die Arena zurückgegangen? Ich dachte, du hättest dich zur Ruhe gesetzt?«
»Irgend jemand mußte den Maskierten Gladiator spielen, nachdem du aufgehört hattest, und niemand war soweit, daß er deinen Platz hätte einnehmen können.« Georg schluckte mühsam, und seine Stimme wurde ein wenig deutlicher. »Außerdem wollte ich herausfinden, ob ich noch immer gut genug war. Ob ich wieder der Beste sein konnte. Ich schlug mich gut, bis dieser verdammte Unsinn anfing und die Imperatorin mich zu sich rief, um das Kommandozentrum zu verteidigen.« Er hustete rauh, und Blut ergoß sich aus seinem Mund und ström-te ihm übers Kinn. »Verdammt. Ich bin schwer verwundet, Finlay. Dieser Esperbastard hat mich richtig fertiggemacht.« Er versuchte erneut zu lächeln, und Blut leckte aus seinen Mund-winkeln. »Also du gehörst jetzt zu den Rebellen, Finlay. Ich war überrascht, als ich davon hörte. Ich habe mich nie für Politik interessiert. Das Imperium war immer gut zu mir. Ich kann nicht sagen, daß es mir leid tut, wenn jetzt alles vorbei ist. Ich glaube nicht, daß es für meinesgleichen einen Platz gibt in dem, was nach dem Imperium kommt. Da ist es schon besser, mit einem Rest von Würde abzutreten.«
Er hielt inne, als überlege er, was er noch sagen sollte. Finlay wartete und erkannte erst einige Augenblicke später , daß Georg McCrackin gestorben war. Er schloß seinem Mentor und Freund die Augen und erhob sich. Evangeline stand mit ihm auf und legte ihm tröstend den Arm um die Schultern. Finlay bemerkte es nicht einmal. Sein Blick war noch immer auf den Toten gerichtet.
»Julian darf es niemals erfahren«, sagte er schließlich. »Er soll in dem Glauben bleiben, daß er den Mörder seines Bruders bestraft hat. Es ist einfacher so.«
»Für jetzt vielleicht«, sagte Evangeline. »Aber was geschieht, wenn er je die Wahrheit herausfindet? Wenn er erfährt, daß du Auric getötet hast, und daß er einen unschuldigen Mann umgebracht hat?«
»Niemand ist mehr unschuldig«, erwiderte Finlay. »Und was ist schon ein Geheimnis mehr oder weniger für Leute wie uns?«
Finlay stapfte in die Tiefen des Kommandobunkers davon und eilte den entfernten Geräuschen von Kämpfen und dem Schreien der Sterbenden hinterher, ohne sich ein einziges Mal umzudrehen und sich zu vergewissern, daß Evangeline ihm folgte.
Überall auf dem Planeten Golgatha, in den Städten, den Metro-polen und auf den Raumhäfen, rückten die Rebellen unaufhaltsam vor. Sie trieben die Imperialen Streitkräfte auf allen Fronten zurück. Ihre einzige Trumpfkarte, die riesigen Kriegsmaschinen, standen tot und leblos herum, leere Metallhülsen mit nichts darin, um sie zu führen. Die Imperialen Truppen blickten der Niederlage ins Gesicht, und sie reagierten auf die einzige Art und Weise, die sie kannten: Sie schafften die größten Waffen heran, die sie besaßen, und feuerten auf alles, was nicht zu ihnen gehörte. Sie schossen Rebellen und Zivilisten gleichermaßen ab und richteten ein Blutbad ohnegleichen an. Sie nahmen ganze Gruppen von Frauen und Kindern als Geiseln und benutzten sie als menschliche Schutzschilde, und sie drohten, ihre Geiseln im Dutzend umzubringen, sollten die Rebellen nicht zurückweichen. Sie sprengten wichtige Einrichtungen wie Kraftwerke oder Krankenhäuser lieber in die Luft, als sie den Rebellen zu überlassen. Sie zerstörten ganze Städte und brachten sämtliche Einwohner um, um ihr eigenes Leben zu retten. Die Rebellen hatten mit dieser Art von Barbarei und Gemetzel gerechnet und hatten das bei ihren Planungen stillschweigend in Kauf genommen; doch in der Praxis waren sie bis in das Tiefste ihrer Seelen von der Kaltblütigkeit der Gegner schockiert, sogar jetzt noch, nach allem, was sie von Virimonde gesehen hatten. Überall auf der Welt kam der Vormarsch der Rebellen ins Stocken oder brach gänzlich zusammen, als sie sich einem Bösen gegenübersahen, das einfach zuviel war für ihre simple Taktik. Die Rebellen waren gewillt, das eigene Leben für den Sieg zu opfern, doch angesichts der Verantwortung für die Massenmorde an Zivilisten zögerten sie und verzagten. Die Rebellion drohte zusammenzubrechen, und plötzlich schien der Vorteil der Rebellen geschwunden.