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Und das war der Zeitpunkt, an dem die Mater Mundi sich einmal mehr manifestierte, und diesmal auf dem gesamten Planeten gleichzeitig. Unsere Mutter Aller Seelen, der sagenum-woben Überesper, brach zur gleichen Zeit in die Bewußtseine sämtlicher Esper ein, und Hunderttausende von Espern wurden schlagartig auf eine höhere Existenzebene gehoben. Sie verbanden sich zu einem gewaltigen Kollektivbewußtsein und reagierten wie ein Mann. Überall auf Golgatha entflammten PSI-Stürme und rasten durch die Straßen der Städte und Dörfer. Sie wirbelten die Imperialen Truppen davon, ohne Rebellen oder Zivilisten auch nur anzurühren. Poltergeister und Pyros zerstörten Imperiale Gebäude und Zufluchtsorte, steckten Kasernen in Brand und rissen Barrikaden ein wie unaufhaltsame Avatare der Zerstörung. Telepathische Orkane erfaßten die Truppen, sprangen von Bewußtsein zu Bewußtsein und löschten Verstand und Erinnerungen gleichermaßen aus, und sie hinterließen nichts als grenzenlose Leere. An anderen Stellen liefen von Espern erzeugte Alpträume in wehrlosen Bewußtseinen Amok, und abgehärtete Soldaten rissen sich lieber die eigenen Augen heraus, als sich den schrecklichen Visionen zu stellen . Andere Soldaten wandten sich gegen ihre eigenen Kameraden und schossen sie nieder, bevor sie die Waffen gegen sich selbst richteten.

Und so neigte sich die Waagschale abermals zugunsten der Rebellen, und jeglicher Widerstand seitens der Imperialen wurde davongespült. Die Mater Mundi betrachtete ihr Werk und sah, daß es gut war, und sie zog sich wieder aus den Be-wußtseinen der Esper zurück.

Die Rebellenstreitkräfte erledigten, was die Mater Mundi übersehen hatte. Sie übernahmen die Kontrolle über Städte und Dörfer und wurden von der Bevölkerung als Erlöser gefeiert.

Der Krieg an der Oberfläche Golgathas war endlich vorüber.

Doch die Mater Mundi war noch nicht fertig mit ihrem Werk.

Sie manifestierte sich in ihrer alten Freundin Johana Wahn, und Johana Wahn griff hinaus und packte zwei weitere nützliche Seelen. Zu dritt teleportierten sie an einen Ort, wo sie am meisten ausrichten konnten . Sie verschwanden lautlos und unauffällig, und nur das Knallen der Luft, die in das plötzliche Vakuum strömte, verriet, daß sie überhaupt dagewesen waren.

Doch im allgemeinen Chaos bemerkte niemand ihr Verschwinden. Zufrieden, endlich alles Notwendige getan zu haben, zog sich die Mater Mundi wieder zurück und wartete darauf, daß sie erneut gebraucht wurde.

Am Hof der Löwenstein hatte die Hölle Fuß gefaßt und blühte und gedieh wie eine dunkle, giftige Blume. Überall waren Flammen, und ihr goldenes und purpurnes Licht war manchmal die einzige Lichtquelle in der bedrückenden Finsternis. Die Luft war schwer vom Gestank nach Schwefel, vergossenem Blut und verbranntem menschlichen Fleisch. Man hatte gefangene Rebellen auf rohen Holzstangen gepfählt oder sie auf die Metalldornen von Streckbänken gespießt, die sie langsam au-seinanderrissen. Die Leichen toter Berater hingen an Ketten herab. Raben fraßen an ihren Augen und rissen Stücke aus ihren Gesichtern, und sie sprachen mit schrillen menschlichen Stimmen. Es war gefährlich geworden, die Imperatorin jetzt noch zu enttäuschen. Blutrote Engel mit brennenden Schwingen standen in gestaffelten Reihen hinter dem Thron. Sie trugen Monofaserschwerter, unehrenhafte Waffen, doch die Löwenstein scherte sich längst nicht mehr um derartige Belanglo-sigkeiten.

Mißtrauisch durchschritten Kapitän Johan Schwejksam und Investigator Frost zusammen mit ihrem Sicherheitsoffizier K.

Stelmach die blutroten Nebel der Hölle und achteten vorsichtig darauf, den gelben Schwefeldämpfen auszuweichen, die in unregelmäßigen Abständen aus den glühenden Aschekratern ent-wichen. Sie blieben dicht beieinander und bemühten sich, nicht allzu neugierig in die Runde zu blicken, während sie sich auf dem direktesten Weg dem Thron näherten, der unter den gegebenen Umstanden möglich war. Von Zeit zu Zeit knirschten kleinere Knochen unter ihren Sohlen. Sie sahen aus, als stammten sie von Vögeln oder anderen kleinen Tieren. Oder von Kindern. An einigen befanden sich noch Reste von Fleisch und Haut. Hin und wieder schrien Menschen auf, die an Ketten herabbaumelten oder gekreuzigt an Metallbäumen hingen, wenn die drei vorüberkamen. Sie bettelten um Hilfe oder einfach nur um einen Schluck Wasser. Schwejksam und Frost blickten stur geradeaus und antworteten nicht. Sie wußten, daß sie nichts tun konnten. Jedenfalls nichts, das man ihnen erlaubt hätte. Stelmach weinte leise vor sich hin und schniefte die Tränen hoch.

Man hatte die drei nach Golgatha zurückbefohlen und von dort aus in die Tiefen des Imperialen Palasts. Sie waren auf direkten Befehl der Imperatorin persönlich gekommen. Die Eiserne Hexe hatte höchste Sicherheitskodes benutzt, die nur dann zum Einsatz kamen, wenn der Thron in allergrößter Gefahr schwebte.

Und so waren die drei selbstverständlich gekommen. Sie hatten die Rebellen und die Kämpfe genauso ignoriert wie die Hilferufe belagerter Imperialer Streitkräfte, so dringend hatten Löwensteins Befehle geklungen. Sie wußten noch nicht, daß der Krieg an der Oberfläche längst verloren war; doch es hätte sie auch nicht weiter überrascht. Sie hatten die Liveübertragungen von Virimonde gesehen, und selbst Frost war schok-kiert gewesen. Schwejksam hatte geknurrt, daß nur eine Wahnsinnige derartige Befehle erteilt haben konnte, und weder Frost noch Stelmach hatten ihm widersprochen. Auf dem Weg nach Golgatha hatten sie über die Rebellion diskutiert; aber ihre Loyalität hatte keine Sekunde in Frage gestanden, ganz egal, was auch geschehen sein mochte . Die drei hatten dem Eisernen Thron und ihrer Imperatorin die Treue geschworen, und man verriet seine Ehre nicht, nur weil die Dinge vielleicht im Augenblick schlecht standen. Manchmal, wenn es wirklich ganz schlimm kam, war die Ehre das einzige, was einem noch blieb.

Und so stapften die drei durch die Hölle, durch Hitze und Nebel und vorbei am Leiden der Verdammten. Diesmal waren keine Wachen gekommen, um sie zu begleiten. Schwejksam fragte sich, ob das ein Zeichen des Vertrauens bedeutete, oder ob die Löwenstein einfach nicht mehr genug Leibwachen be-saß. Es spielte keine Rolle. Sie waren hier; man hatte sie aus der Ungnade zurückgerufen, und die Ehre ihres Schiffes und seiner Besatzung war wiederhergestellt. Schwejksam hatte gehofft, die Gelegenheit nutzen und der Löwenstein ein wenig Vernunft einreden zu können; doch seit dem ersten Blick auf die gegenwärtige Staffage des Imperialen Hofs zweifelte er ernsthaft, ob das überhaupt noch möglich war. Der Hof war ein Spiegel des seelischen Zustands Ihrer Majestät, und wie es schien, waren beide zur Hölle gefahren.

Schließlich erreichten die drei den Thron. Flammengeysire schossen zur Decke hinauf wie Feuerbrunnen; aber sie waren merkwürdig lautlos und tauchten die Löwenstein und ihren Thron in ein satanisches Licht. Die Jungfrauen drängten sich am Fuß des Eisernen Throns. Sie waren wachsam und gereizt, und ihre stählernen Klauen waren deutlich unter den Fingernägeln zu sehen. Sie starrten die Neuankömmlinge aus ihren hungrigen künstlichen Augen an und knurrten. Hinter dem Thron standen reglos und mit gezückten Schwertern die brennenden Engel von Löwensteins Leibwache. Die Imperatorin hätte sich sicher und behütet fühlen müssen, doch sie erweckte einen vollkommen anderen Eindruck. Sie saß nach vorn ge-beugt auf der Vorderkante ihres Throns und starrte grimmig auf den Holoschirm, der vor ihrer Nase schwebte und durch die wenigen noch vom Imperium kontrollierten Kommunikationskanäle ständig neue Lageberichte lieferte. Die Eiserne Hexe mußte hilflos mit ansehen, wie ihr Imperium ringsum zerfiel.

Schwejksam, Frost und Stelmach blieben vor ihr stehen und verneigten sich tief, und sie erwiderte ihren Gruß mit einem herablassenden Wink. Als sie nach einer ganzen Weile geruhte, sich umzudrehen und die drei anzusehen, da waren ihre Augen weit und drohten aus den Höhlen zu quellen, und ihr Lächeln war merkwürdig starr, als hätte sie ganz vergessen, wie man so etwas zustande brachte.