»Wir wollen sie so schnell wie möglich ausschalten«, sagte Owens Urahn. »Es könnte ein Ablenkungsmanöver sein, um der Löwenstein Zeit zur Flucht zu verschaffen.«
»Dürfte ich darauf hinweisen, daß Flynn und ich absolut unparteiisch sind?« rief Tobias von hinten. »Wir stellen für niemanden eine Bedrohung dar!«
»Tötet sie alle!« schnappte der kommandierende Offizier und führte seine Leute in den Kampf.
Johana Wahn schwebte in die Höhe, breitete die Arme aus, und Blitze zuckten aus ihren Händen und streckten das erste Dutzend Leibwachen nieder. Hazel d’Ark schimmerte, und plötzlich gab es ein ganzes Dutzend Hazels. Vielleicht kamen sie aus anderen Zeitlinien, wie Giles behauptet hatte; aber wie auch immer: Sie grinsten voller böser Vorfreude auf den Kampf. Giles teleportierte unter den Wachen hierhin und dorthin. Er streckte Gegner nieder und war wieder verschwunden, bevor er selbst angegriffen werden konnte. Owen grinste und schüttelte den Kopf. Alles Angeber. Er hob das Schwert und fiel in den Zorn; dann stellte er sich den Angreifern mit dem Tod in den Augen entgegen. Zwei Männer und zwei Frauen, die gegen eine Armee in den Krieg zogen, und die schiere Überzahl der Angreifer bedeutete nicht das geringste Problem für sie.
Jedenfalls anfangs nicht.
Die Rebellen bahnten sich mit grimmiger Effizienz ihren Weg durch die feindlichen Wachen, und bald lagen überall Leichen und behinderten die Kämpfenden. Die Rebellen töteten und töteten, und noch immer strömten neue Wachen herbei.
Owen schwang das Schwert mit beiden Händen, und niemand vermochte ihm standzuhalten.
Er war im Zorn, und Kraft und Schnelligkeit rasten durch seinen Adern. Doch so sehr er sich auch bemühte, für jeden niedergestreckten Gegner schienen zwei neue aufzutauchen, um seinem Platz einzunehmen. Sie schwärmten um ihn herum, und griffen ihn aus allen Richtungen zugleich an. Bald schon hatte er nicht mehr genug Raum, um das Schwert zu schwingen, und er konnte nur noch stechen und stoßen. Seine Streiche waren vom Zorn verstärkt, und sie waren noch immer fürchterlich und tödlich; aber mit Feinden zu allen Seiten konnte er sich nicht für einen Augenblick entspannen. Er kämpfte weiter, wirbelte in diese und in jene Richtung, hielt seine Gegner auf Abstand und wußte, daß er ein toter Mann war, falls er langsamer werden oder auch nur einen Augenblick zaudern würde.
Rasche Seitenblicke verrieten ihm, daß es seinen Freunden nicht besser ging. Die Hazels waren voneinander getrennt worden und über die gesamte Ausdehnung der Vorhalle verstreut: aber sie kämpften noch immer wütend. Owen mußte grinsen.
Aus welcher Realität auch immer die verschiedenen Hazels kommen mochten, sie waren allesamt höllische Kämpferinnen.
Eine von ihnen wurde in seine Richtung zurückgedrängt, und Owen war froh zu sehen, das es die echte war. Rasch stellten sie sich Rücken an Rücken und kämpften so weiter. Owen war froh darüber. Hazel und er hatten schon immer ein gutes Team abgegeben.
Owen sah seinen Urahn Giles in einiger Entfernung. Der ursprüngliche Todtsteltzer brüllte seine Schlachtrufe und schwang sein großes breites Schwert wie einen Hammer, und die Wachen, die ihn umringten wie Kampfhunde, hatten alle Mühe, auch nur einen einzigen Schlag gegen ihn zu führen.
Giles hatte aufgehört zu teleportieren. Zwischen den Kämpfenden war nicht mehr genug freier Raum, in den er hätte teleportieren können. In Owen wuchs das Gefühl, daß die Wachen inzwischen noch zahlreicher geworden waren als zu Beginn, trotz all der Toten, die den Boden der Vorhalle bedeckten. Anscheinend brachten sie unablässig Verstärkungen heran. Wie unfair.
Johana Wahn schwebte noch immer in der Luft und war in Blitze gehüllt, doch sie hatte aufgehört, diese auf die Wachen zu schleudern. Owen erkannte den Grund erst, als er sah, wie Leibwächter Dutzende von ESP-Blockern herbeischafften und übereinander stapelten in dem Versuch, Johanas verstärkte Macht durch schiere Zermürbung auszuschalten.
Und zum ersten Mal dämmerte es Owen, daß er vielleicht doch nicht weiter kommen wurde als bis in diesen Vorhof der Hölle. Er hatte so viele Hindernisse überwunden und war einen so weiten Weg gegangen; doch selbst jemand wie er hatte seine Grenzen. Selbst ein Mann im Zorn konnte nicht gegen eine ganze Armee bestehen. Owen erinnerte sich, wie alles angefangen hatte, vor gar nicht allzu langer Zeit: wie er auf Virimonde vor einer übermächtigen Bande seiner eigenen verräterischen Wachen gestanden hatte und im Begriff gewesen war zu sterben. Vielleicht schloß sich hier der Kreis. Nur, daß Hazel diesmal nicht imstande sein würde, ihn zu retten. Sie steckte genauso tief in Schwierigkeiten wie Owen selbst. Es erschien ihm verrückt, daß er nach allem, was er durchgestanden hatte, am Ende doch noch von einem Haufen bewaffneter Leibwächter zur Strecke gebracht werden sollte, und zwar allein deswegen, weil es so viele waren.
Er griff tief in sein Innerstes und suchte nach der Kraft, mit deren Hilfe er auf der Nebelwelt einen ganzen Turm zum Einsturz gebracht hatte, doch er fand nichts. Keine Antwort folgte seinem Ruf, ganz gleich, wie verzweifelt er auch suchte. Und er hatte nicht die geringste Ahnung, was der Grund dafür war.
Er war jetzt durch und durch naßgeschwitzt, und er mußte ununterbrochen blinzeln, um zu verhindern, daß ihm der Schweiß in die Augen lief. Er atmete schwer, und ihm schien, als wäre er nicht mehr ganz so schnell wie zu Anfang. Nach und nach kamen einige vereinzelte Schläge der Wachen durch.
Nur ein kleinerer Schnitt hier und dort, den er in seinem Zorn kaum spürte; doch eine Wunde war eine Wunde und Blut war Blut. Und genügend Blutverlust würde ihn langsamer machen, trotz des Zorns. Außerdem würde der Zorn nicht ewig vorhal-ten. Von einem bestimmten Punkt an würde die Flamme, die doppelt so hell brannte, Owen verzehren. Genau wie auf der Nebelwelt. Er kämpfte und hieb und stach und wehrte aus allen Richtungen Angriffe ab. Er war ein Todtsteltzer, und ringsum fielen und starben die Leibwachen der Eisernen Hexe.
Er hörte Hazel knurren und grunzen, und er spürte sie in seinem Rücken, wenn sie zurückweichen mußte, und so wußte er, daß sie noch immer bei ihm war. Auf der gegenüberliegenden Seite der Vorhalle erblickte er eine zweite Hazel mit dunkler Haut und Korkenzieherlocken. Sie fiel ganz plötzlich unter einem Dutzend Schwerthieben gleichzeitig, und so lange und angestrengt Owen auch hinsah, sie kam nicht wieder hoch. Giles war gegen eine Wand zurückgewichen und blutete aus einem Dutzend Wunden. Aus einem langen Schnitt an der Schläfe strömte Blut über sein Gesicht. Von Johana Wahn war nirgends eine Spur zu sehen.
Und dann schrie Hazel mit einem Mal voller Schmerz und Entsetzen hinter ihm auf und taumelte ihm schwer in den Rük-ken, bevor sie auf die Knie sank. Owen wirbelte herum und schwang das Schwert mit aller Macht, und die Wachen wichen vor ihm zurück. Hazel saß zusammengesunken zu seinen Füßen.
Sie hatte eine tiefe Bauchwunde erlitten. Das Schwert hatte sie fallengelassen, und sie bemühte sich, die große klaffende Wunde mit um den Leib geschlungenen Armen zusammenzuhalten, doch das Blut floß unaufhörlich weiter. Schon bald saß sie in einer großen Lache ihres eigenen Blutes.
Owen erkannte, daß Hazel tödlich getroffen war. Er wollte ihren Namen rufen, doch er schien nicht genug Atem zu haben.
Er fiel aus dem Zorn, und sein Schwertarm sank. Die Wachen stürzten heran.
Und mit einemmal stiegen die ganze Wut und die Angst in Owen hoch und entfachten seine Kräfte aufs neue. Von einem Augenblick zum anderen wurde er von einer blendenden Energie erfüllt, die er kaum beherrschen konnte . Er ergab sich in sie hinein, und sie schoß brüllend aus ihm hervor wie eine unaufhaltsame Flutwelle. Die Wachen in seiner unmittelbaren Umgebung wurden in einem einzigen Augenblick verschlungen, und noch immer schoß weitere Energie aus ihm hervor und starben weitere Wachen. Die Überlebenden wollten sich um-wenden und fliehen, doch die seltsame Macht war binnen Sekunden über ihnen, und sie tötete alle ohne jede Gnade. Innerhalb weniger Augenblicke war jede einzelne Leibwache in der Vorhalle tot, und nur Giles, Johana, Tobias und Flynn und eine Handvoll Hazels standen noch. Owen brachte die Kräfte zum Versiegen und warf einen Blick auf die ungezählten Toten, und es war ihm völlig egal.