»Hör auf, Hazel«, sagte Owen. »Keine von euch beiden wird diesen Kampf gewinnen. Und keine von euch beiden wird nachgeben. Ihr seid zu gleichwertig. Laßt voneinander ab, und wir machen mit dem weiter, weswegen wir hergekommen sind.«
Hazel dachte über Owens Worte nach. Sie legte die Stirn in Falten, und Schweiß rann über ihre Schläfen. »Ach, zur Hölle«, sagte sie schließlich. »Wir können es ja später noch einmal versuchen, wenn wir mehr Zeit haben. Was sagst du dazu, Investigator? Ich höre auf, wenn du auch aufhörst.«
»Niemals«, erwiderte Frost. »Ich bin Investigator. Das Imperium hat mich zu dem gemacht, was ich bin . Ich werde niemals aufgeben und niemals weichen . Tötet mich, wenn Ihr könnt, Rebellin!«
»Es muß nicht so enden«, sagte Owen.
»Doch, es muß!« fauchte Frost. »Das ist mein Leben. Mein Sinn. Meine Bestimmung. Ich werde niemals aufgeben. Ich kann einfach nicht. Tötet mich, wenn Ihr könnt.«
Hazel senkte das Schwert. »Ich kann nicht. Nicht so jedenfalls.«
»Aber ich«, sagte Kit Sommer-Eiland, und mit einer Bewegung, die so schnell war, daß niemand zu reagieren vermochte, bevor es zu spät war, zog er einen verborgenen Dolch und schleuderte ihn mit aller Kraft. Frost hatte sich bei seinen Worten zu ihm umgedreht, und das Messer traf sie an der Kehle.
Ein dicker Blutschwall schoß aus der Wunde und floß in Strömen über ihre Brust. Frost ließ das Schwert fallen und umklammerte mit beiden Händen ihren Hals. Blut quoll zwischen ihren Fingern hervor. Sie wollte das Messer herausziehen und setzte sich dann plötzlich, als sämtliche Kraft aus ihr wich. Mit einem Satz war Schwejksam an ihrer Seite und hielt sie in den Armen. Sie zitterte unkontrolliert, und er drückte sie an sich.
Frost wirkte schockiert und verwirrt, als könne sie nicht glauben, was mit ihr geschehen war.
»Wie dumm, auf diese Weise zu sterben«, murmelte sie mit schwerer Stimme. Ein feiner roter Nebel von Blut sprühte aus ihrem Mund. »Mir ist kalt. So kalt.«
»Ich bin bei dir«, sagte Schwejksam. »Ich bin bei dir.«
»Ich hätte nie gedacht… daß es eines Tages so enden wür-de.«
»Still«, sagte Schwejksam. »Spar deine Kräfte, bis wir einen Arzt herbeigeschafft haben.«
»Nein«, widersprach Frost. »Wir haben uns niemals belogen, Kapitän. Fangt nicht jetzt damit an.«
»Dann heile dich selbst! Ich habe es auch getan.«
»Zu spät, Kapitän. Dazu ist es viel zu spät.«
»Du warst ein guter Soldat«, sagte Schwejksam mit brechender Stimme. »Der beste, den ich je kannte, bis zum Ende.«
»Selbstverständlich. Ich bin Investigator. Johan…«
»Ja?« fragte Schwejksam, doch dann entwich ihr ein letzter Seufzer, und sie atmete nicht mehr. Schwejksam drückte sie an sich. »Guter Soldat. So ein guter Soldat.« Irgendwann ließ er sie los und erhob sich wieder. Seine Uniform war voll von ihrem Blut. Er sah den Sommer-Eiland an, der seinen Blick grinsend erwiderte .
»Warum?« fragte Schwejksam. »Warum ausgerechnet sie und nicht ich?«
»Ihr habt meinen David getötet«, antwortete Kit. »Jetzt wißt Ihr, was ich gefühlt habe. Wollt Ihr vielleicht versuchen, mich zu töten, alter Mann?«
»Nicht jetzt«, sagte Schwejksam. »Es hat genug Blutvergießen gegeben. Außerdem hätte sie niemals aufgegeben. Bleibt mir einfach eine Weile aus den Augen, Killer.«
Er drehte sich zu Owen und Hazel um, als wüßte er nicht, was er als nächstes tun sollte. Stelmach und Frost waren tot, und er hatte sich von seiner Imperatorin losgesagt. Es schien unmöglich, daß sein gesamtes Leben in so kurzer Zeit so gründlich zerstört worden war.
»Es tut mir leid wegen Investigator Frost«, sagte Owen.
»Manchmal ist es unmöglich, daß alle gewinnen.«
»Du hast sie geliebt, nicht wahr, Kapitän?« fragte Hazel.
»Hast du es ihr je gesagt?«
»Sie hätte nicht gewußt, was sie mir darauf antworten soll«, antwortete Schwejksam. »Sie war ein Investigator.«
Es gab nichts mehr zu sagen, und so wandten sich alle wieder einmal zur Löwenstein auf ihrem Eisernen Thron um. Sie funkelte die Rebellen herausfordernd an. All ihre Champions waren tot oder besiegt; aber sie gab sich immer noch nicht geschlagen. Es war ein vollkommener Augenblick der Konfrontation, und er schien sich endlos hinzuziehen. In der Hölle war es sehr still geworden. Die Engelswachen waren tot; die Jungfrauen waren wieder zu Menschen geworden, und selbst die holographischen Illusionen rührten sich nicht mehr, als warteten sie gespannt auf das, was als nächstes geschehen würde.
Owen trat langsam vor, bis er allein am Fuß des Eisernen Throns stand. Er hatte einen weiten Weg hinter sich, bis er an diesem Ort angekommen war. Jetzt stand er der Frau gegenüber, die sein Leben zerstört und ihm alles genommen hatte, was er je besessen oder geliebt hatte. Wegen ihr war er durch das Imperium geirrt, ständig auf der Flucht vor den Bluthunden auf seinen Fersen, und hatte sich seines Lebens nicht mehr sicher gefühlt. Und wegen ihr war er zu etwas geworden, von dem er immer noch nicht sicher war, ob er es guthieß – die Art von Mann, die er nach dem Willen seiner Familie schon immer hatte werden sollen, ein Kämpfer und Krieger . Und doch – jedesmal, wenn er schwankte, mußte er nichts weiter tun als sich das Bild des jungen Mädchens ins Gedächtnis zu rufen, das verkrüppelt von Owens Schwert im niedergetrampelten Schnee von Nebelhafen in seinem eigenen Blut gelegen und hilflos vor sich hin geweint hatte, bis Owen ihm den Gnadenstoß versetzt hatte. Es war Zeit, das alles zu beenden. Jetzt. Er nickte der Imperatorin beinahe vertraulich zu.
»Es ist vorbei, Löwenstein. Zeit zu gehen. Steht auf von Eurem Thron.«
»Nein!« rief Giles. »Noch nicht. Es ist nicht eher vorbei, als bis ich es sage. Geh weg vom Thron, Owen. Das ist nicht dein Augenblick, sondern meiner.«
Alle drehten sich nach dem ursprünglichen Todtsteltzer um.
Der alte Krieger in seinen Barbarenfellen, der legendäre Held aus weit zurückliegenden Jahrhunderten, stand gelassen ein wenig abseits von den anderen und hielt das Schwert in der Hand. Er lächelte sie an, und irgend etwas in seinem Lächeln ließ sie erschauern. Giles hob die Klinge und führte sie zum Ansatz seines Söldnerzopfes. Er säbelte mit Leichtigkeit durch das dicke Haar und hielt den Zopf einen Augenblick lang nachdenklich in der Hand, bevor er ihn achtlos zur Seite warf.
»Das war’s«, sagte er ruhig. »Nie mehr Söldner. Nie mehr für die Ideale anderer kämpfen. Endlich bin ich wieder mein eigener Herr. Ich bin wieder der Todtsteltzer, und ich werde die Krone ergreifen. Genau so, wie es immer geplant war. Ich werde der Imperator sein und die Dinge wieder richten. Ich bin der einzige, der weiß, was getan werden muß, um das Imperium wieder zu dem zu machen, was es einmal war. Ich kann es wieder stark machen, bevor die Fremdwesen oder die Hadenmänner oder Shub sich gegen uns erheben und die Menschheit vernichten können. Die Menschen werden mir folgen. Sie hatten schon immer eine Schwäche für Helden und Legenden. Ich werde das alte Imperium wiedererstehen lassen, genau so, wie es vor tausend Jahren war, bevor die Fäulnis sich ausgebreitet hat. Keine Klone und keine Esper und keine anderen geneti-schen Abarten mehr. Das Imperium war stets als ein Imperium der Menschen gedacht, und nichts anderes.«
Er lächelte Owen väterlich zu. »Es war mir immer vorherbe-stimmt, Owen. Ich wußte damals, vor 943 Jahren, als ich in Stasis ging, daß ich langfristig planen mußte. Ich mußte aus der Zeit verschwinden, so daß ich mit meiner Rückkehr warten konnte, bis die Dinge sich wieder zu meinen Gunsten gewandelt hatten. Und die ganze Zeit über beobachteten die Monitore in meiner Festung die Ereignisse und hielten ständigen Kontakt mit meinem Clan. Sie planten und intrigierten und formten die Ereignisse nach meinem Willen und bereiteten alles auf meine Rückkehr vor. Dein Vater war mein letzter Kontakt, Owen. Er war ein äußerst geschickter Agent. Er brachte die abschließenden Vorbereitungen ins Rollen: Er unterstützte die Rebellen auf der Nebelwelt, gründete das Abraxus-Informationszentrum und plante bereits eine Reise nach Shandrakor, um mich zu wekken. Doch da beging er einen Fehler und lenkte im falschen Augenblick die Aufmerksamkeit auf sich, und die Imperatorin schickte ihren Mörder Kid Death, um den Intrigen deines Vaters ein für allemal ein Ende zu bereiten.