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»Ja«, unterbrach sie Owen. »Du hast ja schließlich Silver und das Gift, das er dir zu fressen gibt. Du willst alles, nur nicht erwachsen werden und Verantwortung übernehmen. Nur nicht diejenigen unterstützen, die sich auf dich verlassen. Sich nur nicht um die sorgen, die dich lieben. Du willst Silver: Er gehört dir, Hazel, dir ganz allein. Ich muß raus hier. Ich brauche frische Luft.«

Owen machte auf dem Absatz kehrt und stapfte davon. Krachend warf er die Tür ins Schloß . Er war so wütend, daß er Hazel wahrscheinlich geschlagen hätte, wenn er geblieben wäre, und sie wußten beide, daß sie das niemals vergessen und noch weniger verzeihen würde. Auch hätte er vor lauter Wut John Silver am liebsten auf der Stelle getötet . Owen hatte gehofft, daß er und Hazel… daß sie vielleicht eines Tages…

Doch Owen hatte so vieles gehofft, und nichts davon war je in Erfüllung gegangen. Owen hatte schon so viele Dinge verloren, die ihm etwas bedeutet hatten. Es hätte ihn nicht überraschen dürfen, daß ihm auch die einzige Frau genommen wurde, die er je geliebt hatte.

Er hätte erst gar nicht nach Nebelhafen zurückkehren sollen.

Von Anfang an war alles schiefgelaufen. Es hatte nicht den geringsten Einfluß auf Hazel. Sie ging ihren eigenen Weg, und daran würde sich auch nichts ändern, das wußte Owen. Aber er hatte geglaubt, sie hätte beschlossen, wenigstens eine Weile mit ihm zu gehen. Jederzeit hätte sie mit ihren Sorgen und Nöten zu ihm kommen können – auch mit ihrer verdammten Sucht. Er hätte versucht, sie zu verstehen, und er hätte ihr geholfen. Owen wußte, was Druck bedeutete. Sein ganzes Leben hatte er unter dem Druck gelebt, dem Namen Todtsteltzer gerecht zu werden.

Owen stapfte mit schweren Schritten die Treppe hinunter und schob sich durch die dichtgedrängte Menge im Schankraum.

Einige der Gäste schienen gegen sein rüpelhaftes Verhalten protestieren zu wollen; doch ein Blick in Owens Gesicht reichte aus, um sie davon abzuhalten . Owen stieß die Tür auf und trat hinaus auf die Straße. Die kalte Luft traf ihn wie ein Schlag. Hinter ihm fiel die Tür wieder ins Schloß. Owen lehnte sich gegen die Wand und kämpfte gegen seine Wut an, bis er sich wieder ein wenig beruhigt hatte. Es dauerte einen Augenblick, bis er bemerkte, daß er allein auf der Straße war – was für eine derart geschäftige Stadt wie Nebelhafen ausgesprochen merkwürdig war.

Gesichter beobachteten ihn hinter dunklen Fensterscheiben, als erwarteten sie, daß jeden Augenblick etwas geschah. Owen stieß sich von der Wand ab und trat hinaus auf die Straße; die Hände hatte er auf seine Waffen gelegt. Gefahr lauerte in der Dunkelheit. Er hätte es viel früher bemerkt, wäre er nicht so sehr mit sich selbst beschäftigt gewesen.

Unvermittelt erschienen drei Männer auf der gegenüberliegenden Straßenseite und starrten ihn an. Entweder waren sie herbeiteleportiert, oder – was wahrscheinlicher war – sie hatten sich bis jetzt hinter einem telepathischen Schirm verborgen. Sie sahen nicht sonderlich beeindruckend aus: durchschnittliche Größe, durchschnittliche, leere Gesichter und Fellkleidung, wie sie in Nebelhafen üblich war. Doch in ihnen lauerte eine Macht, die Owen spüren konnte, obwohl ihm ihre Natur noch nicht ganz klar war. Der Mann in der Mitte trat einen Schritt vor. Seine Augen wirkten in dem blassen Gesicht unnatürlich dunkel.

»Ihr habt Feinde, Todtsteltzer. Mächtige Männer, die Euren Tod wollen.«

»Zur Hölle«, erwiderte Owen. »Jetzt habe ich aber Angst!

Was wollt Ihr drei mit mir anstellen? Mich zusammenschla-gen? Seht mal, ich bin im Augenblick wirklich nicht in Stimmung dazu. Warum lauft Ihr nicht einfach weg? Ich gebe Euch fünf Minuten Vorsprung .«

Der Mann lächelte nur und schüttelte den Kopf. »Zeit zu sterben, Todtsteltzer .«

Plötzlich schien der Boden unter Owens Füßen lebendig zu werden, und er verlor das Gleichgewicht. Sofort griff er nach seinem Schwert, und gleichzeitig tat sich vor ihm ein breiter Abgrund auf, und Risse breiteten sich in alle Richtungen aus.

Blutrotes Licht strahlte hell aus der Tiefe, und mit einemmal war die Luft erfüllt vom Gestank von Schwefel und verbranntem Fleisch. Die schmerzerfüllten Schreie unzähliger Menschen drangen von tief unten herauf.

Der Untergrund erzitterte aufs neue, und während Owen noch um sein Gleichgewicht kämpfte, wurde er nach vorn geschleudert. Er taumelte auf den roten Abgrund zu und auf das, was tief unten in dem Höllenloch lauerte. Owen spürte eine unerträgliche Hitze, und der Schweiß lief ihm in Strömen über das Gesicht. Seine Felle schwärzten sich und rauchten in der Hitze, und die nackte ungeschützte Haut auf Gesicht und Händen rötete sich und fing höllisch an zu schmerzen, während er unaufhaltsam auf den breiten Riß mitten in der Straße zustol-perte . Am Rand des Abgrunds verharrte er und kämpfte verzweifelt gegen einen Sturz an . Ringsum kochte die purpurne Luft . Die Schreie und der Gestank waren überwältigend. Lange Stahlketten schossen aus dem Spalt herauf. An ihren Enden saßen Morgensterne mit langen Stacheln, die durch Owens Kleidung drangen und tief in seinem Fleisch versanken. Owen schrie entsetzt auf, als die Ketten sich mit einemmal strafften und ihn langsam, aber gnadenlos in den unendlichen Abgrund des Höllenlochs zerrten.

Doch selbst jetzt, am äußersten Rand der Verdammnis, gab Owen noch nicht auf. Er spannte seine Muskeln an, und die Ketten rissen. Die Enden peitschten zurück in die Tiefe. Hitze schoß empor. Die Luft war heiß genug, um ihn zu Asche zu verbrennen, doch Owen trotzte ihr. Langsam bildete sich ein Gedanke in seinem Kopf: Ich glaube das alles nicht. Nichts davon. Überhaupt nichts. Im gleichen Augenblick war das Höllenloch verschwunden, das Feuer erloschen, und die Straße lag wieder kalt und dunkel da, und alles war wie immer. Owens Lungen sogen sich voll mit kalter, köstlicher Luft, und er funkelte die drei Männer auf der anderen Straßenseite an.

»Projektive Telepathie«, sagte er leise. »Stark genug, um je-de beliebige Illusion ins Bewußtsein eines normalen Mannes zu pflanzen und ihn davon zu überzeugen, daß es real sei. Und wenn sein Bild in der Illusion stirbt, dann stirbt er gleich mit.

Eine ziemlich seltene Begabung im Imperium, doch auf einer Welt voller Esper ist es wahrscheinlich nichts Ungewöhnliches.

Schön, meine Herrn. Ihr habt Euer Bestes gegeben. Darf ich Euch jetzt meine Künste demonstrieren?«

Plötzlich ballten sich über den Männern Sturmwolken zusammen, und ein Blitz fuhr herab und traf den Telepathen in der Mitte. Die elektrische Entladung tötete ihn im Bruchteil einer Sekunde und riß die beiden anderen von den Beinen. Ein weiterer Blitz, und der zweite Angreifer war tot. Der letzte Überlebende floh stolpernd durch Schnee und Matsch und starrte Owen aus entsetzten Augen an.

»Die Blitze sind nicht echt! Ich glaube nicht, daß sie echt sind!«

»Wie Ihr meint«, erwiderte Owen. »Aber ich versichere Euch, daß Ihr Euch irrt seid. Einem Gewitter ist es gleich, ob Ihr an es glaubt oder nicht. Und ich gebe mich nicht mit Illusionen ab.«

Der Esper schluckte mühsam. »Wenn Ihr mich verschont, verrate ich Euch, wer meine Auftraggeber sind.«

»Ich weiß, wer Eure Auftraggeber sind«, entgegnete Owen.

»Ich schätze, die Lektion, die ich diesen ehrenwerten Geschäftsmännern erteilt habe, war noch nicht hart genug. Vielleicht wird Euer Tod sie überzeugen.«

»Aber… aber ich ergebe mich! Ich gebe auf!«

»Ich kenne kein Erbarmen mit gedungenen Mördern.«

Der Esper schlug erneut mit seinen Illusionen zu; doch sie wirbelten lediglich den Bruchteil einer Sekunde wie bleiche Geister um Owen herum, bevor sie sich auflösten, ohne seinen mentalen Schild auch nur angekratzt zu haben . Der Esper starrte voller Angst auf Owen.

»Ihr habt drei von uns überwunden! Das ist völlig unmöglich.