Blut. Die gefährlichste der Menschheit bekannte Droge. Extrem suchterzeugend. Seelenzerstörend. Sie kam von den anderen aufgerüsteten Männern, den Wampyren, einer der weniger erfolgreichen Versuche des Imperiums, Terrortruppen zu erschaffen. In den Adern der Wampyre floß synthetisches Blut, das sie stärker, schneller und fast unbesiegbar machte. Schon ein paar Tropfen dieses Blutes konnten einen gewöhnlichen Menschen dazu bringen, sich – zumindest für eine Weile – genauso zu fühlen: gerissen und voller unerschütterlichem Selbstvertrauen. Und genau das brauchte Hazel in letzter Zeit mehr und mehr. Sie war schon einmal von dieser Droge abhängig gewesen, in ihren frühen Tagen auf Nebelwelt. Sie hatte die Sucht besiegt, obwohl der Entzug sie fast das Leben gekostet hätte. Seither hatte sie sich in beinahe jeder Hinsicht verändert, und nur wenige dieser Veränderungen gefielen ihr.
Hazel hatte nie daran gedacht, Rebell zu werden. Sie hatte sich immer nur nach einem behaglichen Leben gesehnt, weiter nichts – nach einem Leben, frei von Hunger und von Gefahr.
Ihre beste Zeit hatte sie als Trickbetrügerin gehabt. Damals hatte sie reiche Blutsauger um ihre unrechtmäßigen Gewinne erleichtert und war in der Nacht verschwunden, bevor ihre Opfer realisieren konnten, daß sie hinters Licht geführt worden waren. Hazel hatte noch nie in ihrem Leben für etwas anderes gekämpft als für Geld. Bar auf die Hand. Sie hatte noch nie jemand anderem als sich selbst vertraut. Und jetzt war sie eine der wichtigsten Figuren der neuen Rebellion. Sie war Zielscheibe für jeden verdammten Kopfgeldjäger und Meuchelmörder des Imperiums, und ständig wurde sie um ihre Meinung oder Vorschläge in Angelegenheiten gefragt, von denen sie nicht die geringste Ahnung hatte.
Zum ersten Mal in ihrem Leben hingen Leben und Zukunft zahlloser Menschen von Hazels Aktionen und Entscheidungen ab – und das bedeutete jede Menge Streß und neue Unsicherheit. Alles , was sie tat oder unterließ, zog Konsequenzen nach sich. Es war unerträglich. Der Druck lastete schwer auf Hazel und verdrängte jeden klaren Gedanken. Bisweilen wurde er sogar derart stark, daß sie weder essen noch schlafen konnte .
Und deshalb hatte sie auch Blut genommen. Zunächst nur einen Tropfen, und nur hin und wieder, wenn es gar nicht anders ging. Die Hadenmänner hatten ihr nur allzu bereitwillig so viel davon gegeben, wie sie wollte. Hazel hatte nicht gefragt, woher es stammte. Und jetzt stand sie im Begriff, auf Nebelwelt zu landen, wo Blut weit verbreitet war.
Hazel wollte nicht wieder süchtig werden. Sie wollte nicht wieder zu einem Plasmakind werden, mit dem einen, alles be-herrschenden Gedanken an das Blut und der verzehrenden Sucht danach und dem Bewußtsein, daß es sie langsam zerstör-te. Hazel widersetzte sich allem, das Macht über sie auszuüben versuchte. Sie hatte die Sucht schon einmal besiegt , und sie würde es wieder tun. Schließlich benötigte sie nur hin und wieder einen Tropfen , weiter nichts. Nur eine klitzekleine Kleinigkeit , damit sie besser mit dem Streß fertig wurde. Sie blickte Owen an , und preßte die Lippen zusammen. Sie wußte , warum die mentale Verbindung zu Owen abgerissen war. Das Blut störte. Es trennte sie voneinander. Hazel konnte es ihm nicht sagen. Owen würde es nicht verstehen.
Plötzlich wurde die Tür der Lounge geöffnet, und Hazels und Owens Mitrebellen auf dieser Mission spazierten herein. Sie redeten demonstrativ kein Wort miteinander, wie immer. Der neue Jakob Ohnesorg – Jung Jakob, wie Owen ihn bei sich nannte – war groß, muskulös und teuflisch hübsch anzusehen mit schulterlangem, dunklem Haar, das stets so aussah, als sei es eben erst dauergewellt worden. Owen mußte ihn nur ansehen, um sich klein und schwächlich zu fühlen. Ohnesorg steckte in einer silber-goldenen Kampfrüstung, als sei er darin geboren worden. Er erweckte den Eindruck von Kraft, Weisheit, Selbstvertrauen und Güte. Ein geborener Führer, ein charisma-tischer Kämpfer, ein Held aus den Legenden und insgesamt ein gutes Stück zu jung für das alles. Er war aus dem Nichts gekommen, genau in dem Augenblick, in dem die Rebellion jemanden wie ihn am dringendsten gebraucht hatte, und Owen traute ihm nicht über den Weg.
Zusammen mit Hazel hatte Owen vor einiger Zeit in der Stadt Nebelhafen nach dem legendären Berufsrebellen Jakob Ohnesorg gesucht. Sie hatten einen gebrochenen alten Mann gefunden, der sich vor seiner Vergangenheit versteckt hatte, und sie hatten ihn aus seinem Loch gezerrt, weil die Rebellion den Namen brauchte, wenn schon nicht den Mann. Ohnesorg hatte neben ihnen gekämpft, war mit ihnen durch das Labyrinth des Wahnsinns gegangen, hatte sich zusammen mit ihnen einer gewaltigen Übermacht Imperialer Truppen gestellt und hatte gemeinsam mit Owen, Hazel und den anderen gesiegt. Owen hatte an ihn geglaubt, und er war stolz darauf gewesen, ihn einen Freund nennen zu dürfen. Der alte Mann hatte gerade angefangen, wieder zu der Legende von einst zu werden, als plötzlich dieser junge Riese auf der Bildfläche erschienen war und behauptet hatte, der echte Jakob Ohnesorg zu sein – mit dem Ergebnis, daß Owen nun nicht mehr wußte, wem von beiden er Glauben schenken sollte.
Jung Jakobs letzte Schlacht hatte zwei Jahre zuvor auf der Winterwelt Vodyanoi IV stattgefunden. Wie üblich hatte er eine Menge Lärm veranstaltet und eine Armee aus Anhängern ausgehoben – allerdings nur, um einmal mehr in den Hintern getreten zu werden, als er sich plötzlich gut ausgebildeten Imperialen Stoßtruppen gegenübergesehen hatte. Seine Freunde hatten ihn im letzten Augenblick herausgeschmuggelt, und so war er nicht zugegen gewesen, als seine Anhänger niedergemetzelt oder gefangengenommen worden waren. Seine Rebellion hatte wieder einmal verloren, doch die Legende hatte überlebt.
Hätte nur der alte Jakob Ohnesorg nicht dagegengehalten, daß alles gelogen gewesen sei. Nach seiner Version hatte er seine letzte Schlacht auf Eisfels geschlagen, und zwar schon mehrere Jahre zuvor, und seine Streitkräfte hatten eine schändliche Niederlage erlitten. Er selbst war von Imperialen Truppen gefangengenommen worden. Er hatte lange Zeit in Verhörzellen zugebracht, war gefoltert worden, und die Imperialen Hirntechs hatten ihn einer gründlichen Gehirnwäsche unterzogen, bis es seinen Freunden eines Tages gelungen war, in sein Ge-fängnis einzudringen und ihn zu befreien. Sie hatten ihn in die Sicherheit der Nebelwelt geschmuggelt, wo Jakob Ohnesorg seinen Namen und seine Legende aufgegeben hatte, um fortan als graues Gesicht in der Menge zu leben, versteckt und sicher vor Bittstellern oder Verantwortung.
Allerdings… Jakob Ohnesorg, der Berufsrebell, war während dieser Zeit auf verschiedenen Welten aktiv in Erscheinung getreten. Also: Wer erzählte die Wahrheit, und wer log? Wer war der Echte Jakob Ohnesorg? Der ältere Jakob gab zu, daß die Imperialen Hirntechs während der Monate seiner Gefangenschaft ganze Arbeit an ihm geleistet und seine Gedanken und Erinnerungen manipuliert hatten, während sie seinen Willen Tag für Tag ein weiteres Stück brachen. Vielleicht hatten sie ihm auch nur eingeimpft, er sei der berühmte Berufsrebell gewesen; während er in Wirklichkeit nur ein Niemand war, den das Imperium geformt hatte, um als gebrochener Mann für Propagandazwecke herzuhalten. Wie bei so vielen anderen Dingen auch, so wußte Owen auch in diesem Fall nicht mehr, was er glauben sollte und was nicht. Wenigstens besaß der Alte Jakob mehr oder weniger das richtige Alter, während Jung Jakob aussah, als wäre er höchstens Ende Zwanzig. Er war in Höchstform. Zweifellos hätten die vielen Jahre der Rebellion einige Spuren bei ihm hinterlassen müssen, und zwar trotz seines – wie er behauptete – ausgiebigen Gebrauchs von Regenerationsmaschinen. Der Untergrund hatte sich außerstande gesehen, sich für den einen oder anderen zu entscheiden. Der Alte Jakob nahm für sich in Anspruch, der Mann mit der Erfahrung zu sein. Jung Jakob hingegen sah um einiges überzeugender aus. Also war der Untergrund darin übereingekommen, für den Augenblick beide Jakobs zu akzeptieren, und hatte sie auf getrennte Missionen geschickt, damit sie sich in Aktion beweisen konnten.