»Ich kann das nicht!«
»Film weiter!«
»Ich kann nicht! Das ist obszön! Sie haben sich längst ergeben!«
»Ich weiß. Aber es ist wichtig, daß wir jede Einzelheit festhalten.«
Flynn funkelte ihn an. »Du würdest alles für deine verdammten Quoten tun, wie?«
»So ziemlich viel, ja, aber das hier ist etwas anderes. Die Menschen müssen erfahren, was sich hier zugetragen hat. Was die Löwenstein in ihren Namen getan hat.«
Flynn verzog den Mund zu einer häßlichen Grimasse. Seine Augen füllten sich mit Tränen, doch er filmte weiter, bis zum letzten blutigen Husten und zum letzten zuckenden Leichnam .
Als es endlich vorüber war, setzte er sich in den blutbesudelten Schnee und weinte. Die Kamera schwebte über ihm. Tobias stand vor Flynn und klopfte ihm tröstend auf die Schulter. Er war viel zu wütend, um zu weinen.
»Bartek wird niemals zulassen, daß diese Aufnahmen gezeigt werden«, sagte Flynn schließlich. »Er wird alles herausschnei-den .«
»Den Teufel wird er tun«, widersprach Tobias. »Er wird stolz auf dieses Gemetzel sein. Seine Truppen haben heute einen großartigen Sieg errungen. Den ersten auf der Nebelwelt. Du verstehst eben nicht, wie ein militärischer Verstand funktioniert, Flynn.«
»Und dafür danke ich Gott!« Flynn stand wieder auf und schüttelte Tobias’ Hand ab. Seine Kamera landete wieder auf dem Schulterpolster. Ffolkes trat zu ihnen. An seiner Kampfrüstung klebte Blut, doch es war nicht sein eigenes. Er war blaß im Gesicht. Der Sicherheitsoffizier warf einen Blick auf die erbärmlichen Haufen verstümmelter Leichen, dann sah er Tobias und Flynn beinahe flehentlich an.
»Macht Euch keine Sorgen«, sagte Tobias. »Wir haben alles aufgezeichnet.«
»Das war nicht so geplant«, erklärte Ffolkes mit erstickter Stimme. »Das ist kein Krieg mehr.«
»Doch, das ist es«, widersprach Investigator Razor, und Ffolkes wirbelte herum. Der Investigator trat mit der Stiefelspitze gegen eine der Leichen. »Das hier ist Abschaum. Feinde des Imperiums. Auf der Nebelwelt gibt es keine Unschuldigen.
Allein dadurch , daß sie sich entschlossen haben, hier zu leben, sind sie automatisch Verräter und Kriminelle und zum Tod verurteilt.«
»Und was ist mit den Kindern?« fragte Flynn. »Sie haben sich ihr Leben nicht ausgesucht. Sie wurden hier geboren, weiter nichts!«
Razor sah den Kameramann gelassen an. »Sie wären zu Verrätern erzogen worden. Kann es sein, daß Ihr ein wenig zart besaitet seid, mein Junge?«
»Ja«, antwortete Flynn. »Dafür ganz bestimmt.«
»Macht Euch keine Gedanken, Junge. Das hier ist noch gar nichts im Vergleich zu dem, was in Nebelhafen stattfinden wird. Ich werde Euch noch zum Mann machen, seid unbe-sorgt.«
Er wandte sich ab und ging davon, um weitere Befehle zu erteilen. Die Marineinfanteristen sammelten die Leichen der gefallenen Stadtbevölkerung ein und schichteten sie zu einem großen Haufen in der Mitte der kleinen Stadt auf. Der Haufen wurde stetig größer, und die Soldaten mußten über Leichen klettern, um die Toten immer höher aufzustapeln. Schließlich war es vollbracht. Der gewaltige Leichenberg ragte sogar über die Dächer der brennenden Häuser auf. Razor ließ ihn in Brand stecken. Rauch stieg auf, und der Gestank brennenden Fleisches hing schwer in der Luft.
Für einige der Soldaten war das zuviel. Sie wandten sich ab von den Körpern, die sich in den Flammen krümmten, von dem blutigem Fleisch, das schwarz wurde und riß, und sie überga-ben sich in den weißen Schnee. Ihre Vorgesetzten standen über ihnen und schrien Befehle und Zurechtweisungen. Flynn filmte alles.
»Ich will Razor tot sehen«, sagte er schließlich. »Ich schwöre, dafür wird er sterben.«
»Er ist Investigator, Flynn. Gewöhnliche Leute wie du und ich bringen normalerweise keine Investigatoren um.«
»Irgend jemand muß es tun«, entgegnete Flynn. »Solange es noch gewöhnliche Leute gibt.«
Der dichte schwarze Rauch stieg hoch über die Überreste dessen auf, was noch vor kurzer Zeit die Stadt Hartsteinfels mit ihren etwas mehr als zweitausend Einwohnern gewesen war, während die Imperialen Marineinfanteristen in geordneter Formation zu den wartenden Schiffen zurückkehrten und sich auf den Flug nach Nebelhafen vorbereiteten.
Zwei Marineinfanteristen patrouillierten durch die ehemalige Hauptstraße von Hartsteinfels. Zwischen ihnen wanderte eine Flasche Fusel hin und her. Zu beiden Seiten brannten Gebäude, und das gewaltige Krematoriumsfeuer prasselte in der Stadtmitte. Fettiger schwarzer Rauch stieg hoch in den abendlichen Himmel hinauf. Für Kast und Morgan, zwei Karrieresoldaten, war es nichts weiter als ein gewöhnlicher Auftrag. Sie hatten in den Jahren unter Bartek dem Schlächter schon Schlimmeres gesehen und getan. Sie unterschieden sich nicht sehr voneinander, diese beiden Marineinfanteristen. Beide waren groß und muskulös; beide trugen blutbesudelte Kampfrüstungen; beide besaßen breite, gutgelaunte Gesichter und Augen, die schon alles gesehen hatten.
Sie wanderten durch die Stadt und warteten darauf, daß sie an die Reihe kamen, an Bord ihrer Pinasse zu gehen, um nach Nebelhafen zu fliegen. Wer als erster drin war, mußte als letzter raus, wie immer. Bis jetzt hatten sie noch nichts Angenehmes an der Nebelwelt entdeckt. Es war scheißkalt; die Einwohner schossen auf einen, wenn man nicht damit rechnete, und nirgendwo gab es ein gemütliches Plätzchen. Also gingen sie von Haus zu Haus und suchten alles, was nicht bis auf die Grundmauern niedergebrannt war, nach Beute und Fusel ab.
Frauen gab es schließlich nicht mehr.
»Verdammte Scheißgegend«, sagte Morgan.
»Stimmt. Scheißgegend«, bestätigte Kast und beugte sich vor, um eine Zigarette an einem brennenden Türrahmen anzuzünden. »Trotzdem tut es gut, sich die rostenden Knochen mal wieder zu vertreten.«
»Verdammt richtig«, erwiderte Morgan. »Ich dachte, ich würde verrückt. Monatelang immer nur auf den Scheißärschen sitzen und den Scheiß-Grendelplaneten aus dem Orbit beobachten. Das hier ist wenigstens ehrliche Arbeit. Soldatenar-beit.«
Keiner von beiden verlor ein Wort über die Zeit in den Fol-terzellen auf Golgatha, über das Schreien und Schluchzen, während die Imperialen Hirntechs gnadenlos nach Informationen über die durchbrochene Quarantäne gesucht hatten. Es tat einfach gut, wieder frei zu sein und gegen einen richtigen Feind kämpfen zu können. Den Schmerz ein wenig zurückzah-len… Schließlich war das die Methode des Imperiums, oder?
Sie stolperten über den Leichnam einer Frau, der anscheinend übersehen worden war. Der Körper lehnte zusammengesunken in einem Eingang. Die beiden Marineinfanteristen blieben vor der Toten stehen, und ihr blutiger Kopf schien ein kleines Stück nach vorn zu sinken, als nicke sie ihnen grüßend zu. Kast stieß Morgan den Ellbogen in die Rippen.
»Ich glaube, sie mag dich.«
»Wahrscheinlich ist sie sogar noch warm. Werfen wir eine Münze, wer als erster darf?«
»Sicher. Aber wir nehmen eine von meinen. Du betrügst immer.«
Sie warfen eine Münze, und Morgan gewann. Als er sich bückte, um den Leichnam an den Schultern zu packen, fiel der Kopf der Frau herunter und rollte durch den Schnee davon.
Augenblicklich jagten die beiden Marineinfanteristen hinterher.
Lachend improvisierten sie ein Fußballspiel. Der kopflose Leichnam lag vergessen im Hauseingang. Morgan trat den
›Fußball‹ mit einem wohlgezielten Schuß durch eine leere Fen-sterhöhle und vollführte einen triumphierenden Luftsprung .
»Tor! Tor! Siehst du, Kast? Ich hab’s dir gleich gesagt. Ich kann’s immer noch. Ich hätte glatt eine Karriere als Profi ein-schlagen können!«
»Ja, ja, und aus mir hätte glatt ein Unteroffizier werden können, wenn meinen Mutter nicht meinen Vater geheiratet hätte.
Los jetzt, Bewegung. Die Zeit wird allmählich knapp.«