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»Schon gut, Owen. Schon gut. Ich verstehe dich. Ich weiß genau, was du durchmachst. Ich habe es am eigenen Leib erfahren. Du wirst nicht sterben. Man nennt es Entzug. Ich bleibe bei dir. Ich weiß noch ganz genau, wie ich mich bei meinem Entzug gefühlt habe, damals, als Plasmakind. Du wirst nicht sterben, Owen. Du wirst dir nur wünschen, tot zu sein.«

Sie setzte sich neben Owen, schlang die Arme um ihn und wiegte ihn wie ein Kind. Ihre Arme waren stark und ruhig. Ein Gefühl von Frieden und Ruhe strömte aus ihr und erfüllte Owen. Sein Zittern und die Muskelkrämpfe ließen allmählich nach und verebbten schließlich ganz. Der Schmerz wich aus ihm wie Wasser, das in einen bodenlosen Abfluß strömt. Das Fieber schwand, und Owens Atem normalisierte sich. Noch immer floß Kraft von Hazel zu ihm. Ihre mentale Verbindung funktionierte endlich wieder. Ihre Gedanken blieben getrennt, denn Hazel hatte eine entschlossene Schranke zwischen sich und Owen errichtet.

Physisch allerdings stimmten sie sich mehr und mehr aufeinander ein, bis sämtliche Nebeneffekte des Zorns verschwunden waren, bis der Schmerz vergangen und Owen wieder er selbst war. Sie saßen noch eine Weile beisammen, und Hazel hielt Owen noch immer in den Armen.

»Wunderbar«, sagte Owen schließlich. »War es für dich genauso schön?«

Hazel lachte und stieß ihn weg. »Du bist wieder gesund, Kerl. Und jetzt mach, daß du auf die Beine kommst . Unten schreien sie laut nach dir

Sie erhoben sich und lächelten sich an. Keiner von beiden wußte so recht, was er als nächstes sagen sollte. »Danke«, meinte Owen schließlich. »Du hast mich gerettet. Ich wäre wahrscheinlich hier gestorben, aber du hast mich davor bewahrt. Ich wußte gar nicht, daß du diese Fähigkeit besitzt.«

»Ich habe eine Menge Fähigkeiten, von denen du nichts ahnst, Todtsteltzer. Und noch ein paar mehr.«

»Das stimmt. Wo steckt Silver?«

»Irgendwo draußen auf der Straße. Er kämpft für seine Stadt.

Ich hätte nie gedacht, daß er ein Held sein könnte, aber das zeigt nur wieder einmal, wie sehr man sich in Menschen täuschen kann.«

»Stimmt«, entgegnete Owen. »Niemand von uns ist vollkommen.«

Mehr an Entschuldigung und Versöhnung würde es nicht geben, und beide wußten es. Deswegen wechselten sie rasch das Thema.

»Du weißt«, sagte Hazel, während sie zur Tür gingen, »daß das jederzeit wieder geschehen kann. Immer dann, wenn du den Zorn zu sehr einsetzt

Owen zuckte die Schultern . »Ich habe nur getan, was nötig war. Der Zorn ermöglicht es.«

»Ich weiß genau, wie es sich anfühlt«, erklärte Hazel. »Bei dir ist es der Zorn, bei mir ist es Wampyrblut.«

Sie traten in den Korridor und blickten sich an. Schließlich lächelte Owen. »Ich schätze, man muß selbst süchtig sein, um einen anderen Süchtigen zu verstehen. Gehen wir runter und spielen wieder einmal die Helden, und beten wir zu Gott, daß die armen Bastarde, die sich auf uns verlassen, niemals herausfinden, daß wir Statuen auf tönernen Füßen sind. Du bist eine echte Freundin, Hazel. Ich weiß nicht, was ich ohne deine Hilfe getan hätte.«

»Jetzt übertreibe mal nicht, Aristo«, entgegnete Hazel. Sie mußte unwillkürlich grinsen.

Nebeneinander gingen sie die Treppe hinab und berührten sich nur ganz leicht.

Unten entdeckten sie, daß es in der gesamten Taverne keinen einzigen Gast mehr gab. Auch das Mobiliar hatte man entfernt.

Die Stühle waren an den Wänden aufgestapelt worden, und der Rat der Stadt Nebelhafen hatte sich um einen großen runden Tisch mitten in der Gaststube versammelt. Die Räte saßen über einem Stadtplan und stritten lauthals und gestikulierten mit Händen und Füßen. In einem ununterbrochenem Strom kamen Leute von der Straße herein und brachten Lektronenterminals, Monitorschirme und andere nützliche Ausrüstung aus dem Technikerviertel, bevor sie wieder nach draußen verschwanden. Läufer kamen und gingen mit neuesten Informationen und blieben nur kurz, bevor sie wieder in der Nacht verschwanden.

Sie waren die Augen und Ohren des Rats, nachdem die Kommunikationssysteme nicht mehr funktionierten . Wenigstens waren die Menschen in Nebelhafen daran gewöhnt zu improvi-sieren.

Die Inhaberin des Schwarzdorns beobachtete das Durcheinander aus der Sicherheit der langen Holztheke am anderen En-de des Gastraums. Cyder besaß ein strahlendes Lächeln, das ihre Augen manchmal nicht erreichte. Dünne Narben wie Sor-genfalten zogen sich über eine Hälfte ihres Gesichts. Sie war früher die härteste und fleißigste Hehlerin von ganz Nebelwelt gewesen. Inzwischen war sie eine höchst ehrenwerte Bürgerin, Besitzerin einer beliebten, profitablen Taverne und wenn man den Worten ihres alten Freundes John Silver glauben durfte – auf dem besten Weg, einen Sitz im Rat der Stadt zu erhalten.

So etwas gibt es auch nur auf der Nebelwelt, hatte Owen gesagt. Glaub nicht alles, was man dir erzählt, hatte Hazels Antwort gelautet.

Neben Cyder stand der junge Katze und nippte an einem Bier. Katze – Cyders Kumpan, Liebhaber und gelegentlicher Sündenbock. Cyder war bekannt dafür, nicht gerade zimperlich zu sein. Katze besaß ein blasses, jugendliches Gesicht, das von dunklen, wachen Augen beherrscht wurde und von Pockennarben, die wie Tätowierungen aussahen. Er steckte in einem weißen Thermoanzug, der sowohl im ständigen Nebel als auch im Schnee gleichermaßen gute Tarnung bot. Katze war groß, geschmeidig und taubstumm, und er war wahrscheinlich der beste Dieb, den die Nebelwelt je gesehen hatte.

Angeblich hatte er sich aus dem Geschäft zurückgezogen, jetzt, da Cyder genug Geld hatte, um für ihn zu sorgen aber Dachläufer mit seinen Qualitäten waren stets gefragt, und Katze liebte seine Arbeit.

Owen und Hazel gingen zur Theke, und Cyder begrüßte sie mit einem mürrischen Gesicht. »Ich weiß nicht, warum ich euch überhaupt aufgenommen habe«, sagte sie. »Jedesmal, wenn ihr in meinem Leben auftaucht , geht alles vor die Hunde und meine Taverne verwandelt sich in einen Trümmerhaufen.

Ich würde eine Versicherung gegen euch abschließen , wenn ich nur jemanden finden könnte, der so dumm ist und die Police unterschreibt. Seht euch doch nur an, was jetzt schon wieder geschieht! Ich bin Zuschauer in meinem eigenen Laden! Ich habe gutes Geld verdient, bis der verdammte Rat meine Gäste hinausgeworfen hat. Die Ratsmitglieder sind viel zu beschäftigt, um ans Trinken zu denken. Wer bezahlt mir meinen Ver-dienstausfall?«

»Entspannt Euch«, beruhigte sie Owen. »Ich habe ein paar Geschäftspartner in der Stadt, die mit Freuden dafür aufkommen werden. Nun, genaugenommen nicht gerade mit Freuden, aber sie werden es trotzdem tun. Sie wissen nämlich, daß ich sie an den Knien köpfe, falls sie sich weigern. Und das meine ich wörtlich.«

»Was ist hier überhaupt los?« fragte Hazel, nachdem sie und Cyder sich flüchtig über die Theke hinweg umarmt und die Luft in der Nähe der Wangen geküßt hatten.

»Wir organisieren den Widerstand«, antwortete Cyder und schenkte sich einen ziemlich großen Drink ein. »Bis das Imperium uns findet, heißt das; aber das wird noch eine Weile dauern. Hoffentlich. Offiziell wissen nur die Ratsmitglieder selbst von dieser Versammlung hier, aber wir brauchen mehr und mehr Leute, die uns helfen, und irgendwann wird ganz bestimmt jemand reden. Irgend jemand redet immer irgendwann.

Bis dahin gibt sich der Rat die größte Mühe, den Widerstand zu organisieren und die Schäden und die Zahl der Todesopfer möglichst gering zu halten.«

Stahl bemerkte schließlich, daß Owen und Hazel eingetroffen waren. Er winkte den beiden, zu ihm zu kommen, und stellte sie den übrigen Ratsmitgliedern vor, die nicht im geringsten beeindruckt waren – weswegen Owen beschloß, sich ebenfalls unbeeindruckt zu zeigen. Was im übrigen nicht besonders schwer war.