Donald Royal hatte sich inzwischen ebenfalls eingefunden.
Er wirkte alt und gebrechlich, doch sein Wille schien ungebrochen. In seiner Begleitung befanden sich Madeleine Skye und Jung Jakob Ohnesorg. Quentin McVey war als Repräsentant der Gilden gekommen. Er war gekleidet wie ein farbenblinder Pfau, ohne jede Spur von Geschmack. Albert Magnus repräsentierte die Kaufleute. Er war ganz in Grau gekleidet, einer Farbe, die zu der seiner Haut paßte, und er sah aus, als wäre er schon eine ganze Weile tot und erst kürzlich wieder ausgegraben worden. Lois Barron sprach für das Diebesviertel. Sie war eine kleine, kompakte Frau, die wirkte, als könne sie eine Blechdose zerkauen und Nägel spucken. Sie besaß einen Händedruck wie eine Schraubzwinge, und Owen mußte sich zusammenreißen, um nicht aufzustöhnen. Der letzte in der Runde war Iain Castle.
Er war der Repräsentant des Technikerviertels, ein humorloser Zwerg mit krummen Schultern.
Sie alle bedachten Owen mit merkwürdigen Blicken, und als er in den großen Spiegel hinter der Theke schaute, verstand er auch warum. Er war von oben bis unten mit Blut und Erbrochenem besudelt, und seine Kleidung sah aus, als wäre jemand darin gestorben. Sein Gesicht war totenbleich, und die Augen lagen so tief in den Höhlen, daß er sich beinahe wunderte, überhaupt etwas sehen zu können. Alles in allem erweckte Owen den Eindruck eines gemeingefährlichen Irren, der endlich den wahren Sinn des Lebens entdeckt hatte und darüber verdammt angewidert war. Hazel hingegen sah aus wie ein Kneipenschläger – aber so sah sie eigentlich immer aus.
Quentin McVey ergriff als erster das Wort. Er schraubte sich ein Monokel ins linke Auge und musterte Owen von oben bis unten. »Laßt diesen Burschen da waschen und schickt ihn dann auf mein Zimmer.«
»Vergeßt es«, erwiderte Owen liebenswürdig. »Ihr könntet mich nicht bezahlen.«
»Ihr hattet schon immer einen Hang zu Grobheiten, Quentin«, bemerkte Lois Barron. »Aber das ist gewöhnlich, sogar für Euch. Meine Güte, dieses heruntergekommen aussehende Pärchen dort soll unsere Verbindung zur Untergrundbewegung von Golgatha sein? Eine Schande! Wenn diese beiden vor meiner Haustür aufgetaucht wären, hätte ich die Hunde auf sie gehetzt .«
»Richtig«, stimmte ihm Magnus zu. »Schafft sie raus. Wir haben viel zu tun. Wenn Golgatha ernst genommen werden will, dann soll es uns gefälligst andere Gestalten als diese dort schicken.«
»Schmeißt sie endlich raus!« keifte Iain Castle, der Zwerg.
»Wir haben keine Zeit für dieses Pack.«
Owen und Hazel streckten ihre mentalen Fühler aus und schlossen sich zusammen. Geheimnisvolle Energien strömten zwischen ihnen hin und her und wurden immer stärker. Ihre Gegenwart wurde plötzlich überwältigend und erfüllte den Raum vom Boden bis unter die Decke und von einer Wand bis zur anderen. Alle Augen waren jetzt auf die beiden gerichtet.
Sie sahen wild und machtvoll aus und so stark, daß sie beinahe übermenschlich wirkten. Die mentale Energie hämmerte auf die umgebende Luft ein wie der Herzschlag eines Riesen. Die Ratsmitglieder verspürten das plötzliche Bedürfnis davonzu-rennen oder auf die Knie zu fallen, doch sie waren an Ort und Stelle gefesselt und zu keiner Regung fähig. Hypnotisiert wie das Kaninchen vor der Schlange.
Neue Energie durchströmte Owen und Hazel und spülte alle Schwäche und Unreinheit weg. Hazels Blutsucht hatte die mentale Verbindung zu Owen schon so lange behindert, daß beide gar nicht mehr gewußt hatten, wie mächtig sie in diesem Zustand waren.
»Hört augenblicklich auf damit!« stieß Cyder trotz der Ehrfurcht hervor, die von ihr Besitz ergriffen hatte und sie gegen die Wand gedrückt hielt. »Wir sind beeindruckt, ganz ehrlich.
Aber jetzt hört endlich auf damit, bevor das Imperium und seine Esper euch entdecken.«
Owen und Hazel zügelten die mentale Energie, und plötzlich waren sie wieder ein ganz gewöhnlicher Mann und eine ganz gewöhnliche Frau. Owen konnte nicht glauben, daß er sich noch wenige Minuten zuvor dem Tod nahe gewähnt hatte.
Jetzt, mit Hazel an seiner Seite, hatte er das Gefühl, als könne er es mit einer ganzen Armee aufnehmen. Anscheinend gab es noch immer einiges von dem zu enträtseln, was das Labyrinth des Wahnsinns mit ihnen gemacht hatte.
»Beruhigt euch«, sagte Hazel gelassen an die Adresse der Rats Versammlung. »Ich glaube kaum, daß irgendein Esper uns entdecken könnte. Was auch immer die Ursache für unsere Macht sein mag – ganz bestimmt ist es kein ESP.«
Die Ratsmitglieder warfen sich bedeutsame Blicke zu, und einige von ihnen wirkten noch aufgebrachter als zuvor. Owen erkannte mit einemmal, daß sie genauso viel Angst vor ihm und Hazel verspürten wie vor dem verdammten Imperium. Für den Augenblick jedenfalls. Das Imperium war wenigstens ein bekannter Gegner. Owen trat mit beruhigend ausgestreckten Händen vor und gab sich Mühe, so zu tun, als bemerke er nicht, daß sie alle zusammenzuckten und vor ihm zurückwichen.
»Ruhig Blut, Leute«, sagte er. »Wir sind hier, um Euch zu helfen. Dies ist Eure Stadt, und Ihr müßt uns schon sagen, wie wir Euch am besten bei der Verteidigung helfen können.«
Unvermittelt trat Donald Royal vor und schaute Owen tief in die Augen. Sein Blick war fest und entschlossen. »Ja. Ihr seid ein Todtsteltzer. Ich kann es an Euren Augen sehen. Verdammt, es tut gut, wieder einen Todtsteltzer bei sich zu haben.
Eure Familie hatte schon immer die Gabe, die Dinge in ihrem Sinn zu bewegen. Ich kannte Euren Vater und Euren Großvater, mein Junge. Gute Männer, alle beide, auf ihre eigene Art und Weise. Wenn das hier alles vorbei ist, werde ich Euch ein paar Geschichten über sie erzählen, die Ihr wahrscheinlich nicht in den Familienannalen findet. Es tut gut, Euch hier zu haben und zu sehen, daß Ihr die Tradition Eures Clans fort-setzt.«
»Spart diesen Alte-Zeiten-Mist für später auf!« unterbrach ihn Castle. »Welche Art von Hilfe bringt Ihr, Todtsteltzer?
Wollt Ihr vielleicht nach draußen gehen und die Imperialen Sturmtruppen zu Tode beeindrucken? Meinetwegen kann Euch das ESP oder Juju oder was auch immer zu den Ohren herauskommen, aber damit haltet ihr keine angreifende Armee auf.
Sicher hat Golgatha nicht nur Euch beide hergeschickt, um seine besten Wünsche auszudrücken. Wir brauchen Waffen, Sprengstoff und Ausrüstung.«
»Wir haben eine ganze Schiffsladung Projektilwaffen und Kisten mit Munition mitgebracht«, erwiderte Owen gelassen.
»Während wir hier reden, müßten sie schon verteilt werden.
Das ist alles.«
»Projektilwaffen?« fragte Magnus ungläubig. »Was sollen diese verdammten Antiquitäten gegen Antigravbarken mit Disruptorkanonen nutzen?«
»Laßt Euch überraschen«, antwortete Hazel. »Außerdem habt Ihr Owen und mich. Wir wiegen eine ganze Armee auf.«
»Oh, wunderbar!« höhnte Lois Barron. »Ein ehemaliger Aristo und eine ehemalige Piratin mit aufgeblasenem ESP und Anfällen von Größenwahn! Als hätten wir davon nicht schon genug! Warum erschießen wir uns nicht einfach alle selbst?
Soll das Imperium doch sehen, wie es unsere Leichen wegräumt!«
»Wenn Ihr nicht aufhört zu jammern, erschieße ich Euch höchstpersönlich«, fauchte Royal. »Diese beiden sind bestimmt nicht größenwahnsinnig. Ihr habt ihre Macht am eigenen Leib gespürt.«
»O ja, wir sind anders«, bestätigte Owen.
»Soviel ist sicher«, stimmte ihm Hazel zu. »Außerdem haben wir auch immer noch Johana Wahn. Wenn ich nur wüßte, wo sie im Augenblick steckt.«
»Ich glaube nicht, daß wir dem Rat jetzt schon von ihr erzählen sollten«, sagte Owen. »Sie würden sich nur neue Sorgen machen.«
»Wenn Ihr diesen beiden hier nicht vertrauen wollt, gibt es da immer noch mich«, meldete sich Jung Jakob Ohnesorg zu Wort.
Alle Augen richteten sich auf ihn. Er hatte so lange geschwiegen, daß sie seine Anwesenheit völlig vergessen hatten.