Der Alte Jakob war beauftragt worden, den Bergbauplaneten Technos III aufzuwiegeln, und Hazel und Owen mußten wohl oder übel Jung Jakob in ihrem Team aufnehmen, trotz aller lautstarken Proteste. Jung Jakob hatte alles mit einem gotterge-benen Lächeln über sich ergehen lassen – was ihn in Owens Augen noch weniger vertrauenswürdig erscheinen ließ. Traue niemals einem Mann, der zuviel lächelt, hatte sein Vater stets gesagt. Das ist nicht normal. Nicht in diesen Tagen. Hazel war – wenn das überhaupt ging – noch weniger von dem Neuzugang beeindruckt als Owen, und sie hatte dem Mann auch ins Gesicht gesagt, daß sie ihn für einen Lügner und Hochstapler hielt. Jung Jakob hatte weiter gelächelt und geantwortet, daß er auf eine Gelegenheit hoffe, um ihr seinen Wert beweisen zu können. Hazel hatte daraufhin erwidert, daß sie ihm seinen Finger zu fressen geben würde, sollte er es wagen, sie auch nur anzurühren. Jung Jakob hatte wohlgelaunt gekichert und er-klärt, daß sie sehr hübsch sei, wenn sie wütend wäre. Owen hatte Hazel festhalten müssen, bis der rote Nebel vor ihren Augen wieder verschwunden war.
Der andere Neuzugang war der Esper, der unter dem Namen Johana Wahn bekannt war. Sie hatte sich der Gruppe aufge-drängt, die zur Nebelwelt gehen sollte, mit der Begründung, daß ein Planet, der größtenteils von abtrünnigen Espern bewohnt wurde, sicherlich die letzte Manifestation des ÜberEspers Mater Mundi, die Heilige Mutter Aller Seelen, kennenlernen wollte, die eigenhändig die Große Flucht der Esper aus der Hölle des Wurmwächters ermöglicht hatte. Auf den ersten Blick war Johana durchaus unscheinbar. Sie war klein und blond und besaß ein blasses geisterhaftes Gesicht, das von riesigen blauen Augen beherrscht wurde. Sie hatte einen breiten Mund und ein merkwürdig beunruhigendes Lächeln, das mehr Zähne als Humor zeigte. Ihre Stimme klang rauh und wenig anziehend, denn ihre Kehle hatte unter dem fortwährenden Schreien in den finsteren Zellen von Silo Neun gelitten.
Bevor der Untergrund Johana Wahn als Verdeckte Agentin in die Hölle des Wurmwächters gesandt hatte, war sie nichts weiter als ein ganz gewöhnlicher Esper gewesen. Nachdem Mater Mundi in sie gefahren war, hatte sie sich jedoch über Nacht zu einem Esper mit ganz außergewöhnlichen Kräften entwickelt.
Ihre bloße Gegenwart brachte die Luft ringsum zum Knistern, ein Phänomen, das jeder in ihrer Nähe spürte. Einst war sie nichts weiter als eine schwache Telepathin gewesen, doch nun war sie im Besitz jeder nur denkbaren Esperfähigkeit – eine Begabung, die bisher als unmöglich gegolten hatte. Obwohl natürlich niemand so dumm war, etwas Derartiges in Gegenwart von Johana Wahn zu sagen. Die meisten Leute besaßen genug Verstand, ihr nicht einmal nahe genug dafür zu kommen.
Johana Wahn respektierte Owen und Hazel wegen der Kraft, die sie der Rebellion gegeben hatten. Da ihre Persönlichkeit sich allerdings mitten im Satz von der relativ unauffälligen Johana in den wirklich beunruhigenden Wahn verwandeln konnte, fanden die beiden es andererseits äußerst schwierig, nähere Bekanntschaft mit ihr zu schließen. Immerhin bemühten sich Owen und Hazel um Nachsicht. Schließlich hatte Johana Wahn sich freiwillig gemeldet und in Silo Neun einsperren lassen. Die Hölle des Wurmwächters hätte jedermann zerbrechen können. Was half, war die Tatsache, daß Johana Wahn dem jungen Jakob Ohnesorg ebenfalls nicht traute. Vielleicht nur, weil sie den unablässigen Wettstreit im Heischen um Aufmerksamkeit mißbilligte.
Sie verharrte kurz im Eingang und wartete, bis alle Augen auf sie gerichtet waren, dann stolzierte sie quer durch die Lounge zum letzten freien Sessel und ließ sich darauf nieder wie auf einem Thron. Jung Jakob blieb an der Tür stehen und verfiel in seine natürliche Heldenpose. Johana ignorierte ihn mit großartiger Nonchalance. »Wie lange noch, bis wir landen?« erkundigte sie sich eisig.
»Jetzt fangt nicht auch noch so an«, beschwerte sich Owen.
»Selbst mit dem neuen Antrieb dauert es noch eine gewisse Zeit, um von einer Seite des Imperiums zur anderen zu gelangen.«
»Tatsächlich befinden wir uns schon seit gut zwanzig Minuten im Orbit um Nebelwelt«, raunte Ozymandius in seinem Ohr.
»Was?« brauste Owen unhörbar auf. »Warum hat mir die KI des Schiffs nichts davon gesagt?«
»Du hast sie nicht dazu aufgefordert. Schließlich ist sie nicht annähernd so komplex wie meine Wenigkeit.«
»Und warum hast du mir nicht gesagt, daß wir angekommen sind?«
»Wer, ich? Ich bin tot, oder hast du das vergessen? Es liegt mir fern, mich aufzudrängen, wenn meine Gegenwart nicht erwünscht ist.«
Owen unterdrückte einen resignierten Seufzer und blickte zu seinen Kameraden. »Wie es scheint, befinden wir uns zur Zeit in einem Orbit um unser Ziel. Bisher wurden wir nicht beschossen. Hazel, Ihr kennt diese Leute am besten von uns. Öffnet einen Kommunikationskanal, und findet heraus, welchen exorbitanten Preis sie diesmal für unsere Landung verlangen.«
Hazel grunzte wenig begeistert und stemmte sich aus ihrem Sessel . Sie ließ sich Zeit, und wegen des Gewichts der vielen Projektilwaffen, die sie ständig mit sich herumschleppte, kostete es sie einiges an Mühe. Ohne ersichtliche Eile schlenderte sie zu den Kommunikationsinstrumenten und setzte einen Ruf an die Raumüberwachung von Nebelhafen ab. Es gab nur eine einzige Stadt und einen einzigen Raumhafen auf der Nebelwelt, und das war Nebelhafen. Ein wilder und verwirrender Ort, den man nicht ohne Einladung besuchte – wie das Imperium bereits mehrmals schmerzhaft herausgefunden hatte.
Während Hazel mehr oder weniger geduldig darauf wartete, daß ihr jemand antwortete, blickte sich Owen unter seinen Kameraden um. Er rutschte unruhig in seinem Sessel hin und her, als er bemerkte, daß Johana Wahn ihn schon wieder beobachtete. Ihr ESP ließ sie ahnen, welch gewaltigen Veränderungen in Owen und Hazel vorgegangen waren; doch es reichte nicht aus, um ihr zu verraten, was für Veränderungen das waren. Johana Wahn spürte, daß Hazel und Owen auf eine eigene Weise genauso mächtig waren wie sie selbst. Sie schien sich nicht schlüssig darüber zu sein, ob sie sich fürchten oder ob sie beeindruckt oder eifersüchtig sein sollte. Owen hatte ihre Unsicherheit ausgenutzt und sie dazu überredet, unauffällig den Geist Jung Jakobs zu sondieren und herauszufinden, was sich darin verbarg.
Zu ihrer beider Überraschung hatte sich herausgestellt – jedenfalls soweit es Johanas ESP betraf –, daß es keinen Geist gab. Das bedeutete entweder, daß Jung Jakob eine erstaunlich mächtige mentale Abschirmung besaß, oder… Bisher waren sie nicht auf ein entweder oder gestoßen, das ihnen auch nur halbwegs gefiel.
Owen wich Johanas brennendem Blick aus. Als gäbe es nicht schon genug Dinge, die ihm Sorgen bereiteten.
»Hallo, Sonnenschreiter II«, erklang eine müde Stimme aus dem Lautsprecher des Kommunikationspaneels . »Hier spricht John Silver, Leiter der Raumüberwachung von Nebelhafen.
Hört auf, Eure Ausrüstung zu justieren. Ich habe das visuelle Signal schon wieder verloren. Wenn ich den Piraten in die Finger kriege, der uns diese Schrottsysteme verkauft hat! Ich werde ihm einen doppelten Palstek in die Beine knoten! Willkommen zu Hause, Hazel! Stiehl keine wertvollen Sachen und versuch, diesmal niemand Wichtigen umzubringen, ja? Du kannst dein Schiff landen, wo immer du willst; der Raumhafen ist so gut wie leer. Heutzutage gibt es nicht gerade viel Verkehr in unsere Richtung.«
»Verstanden«, antwortete Hazel. »Laß den Kopf nicht hängen, John. Wir haben den Frachtraum gerammelt voll mit wirklich netten Überraschungen für dich, als da wären: mehr Projektilwaffen und Munition und Sprengstoff, als du dir mit Gewalt sonst wo hinstecken kannst. Genau das, was du brauchst, um Imperialen Spionen und Störenfrieden dein Mißvergnügen deutlich zu machen .«