Выбрать главу

Rasch wurde deutlich, daß der Rat die große, muskelbepackte Gestalt mit dem hübschen Gesicht weitaus höher schätzte als Owen und Hazel.

»Und wer zur Hölle seid Ihr?« fragte Castle und kletterte auf einen Stuhl, um über die Köpfe der anderen sehen zu können.

»Ich kenne sein Gesicht«, sagte McVey. »Ich bin sicher, ich habe dieses Gesicht schon einmal gesehen.«

Donald Royal lächelte. »Erlaubt mir, Euch einen guten alten Freund vorzustellen. Der einzig wahre Jakob Ohnesorg.«

Die Ratsmitglieder starrten sprachlos und aus weit aufgerissenen Augen auf den Berufsrebellen, und plötzlich sprangen alle wie ein Mann auf und drängten sich um Jung Jakob, schüttelten ihm die Hand, klopften ihm auf die Schultern und erzählten, wie überglücklich sie wären, daß er in der Stunde ihrer Not gekommen sei, um sie zu retten. Ohnesorg lächelte und nickte bescheiden, jeder Zoll ganz der Held und die geborene Legende. Owen wandte sich zu Hazel um.

»Ich könnte kotzen.«

»Das hast du bereits getan. Versuch wenigstens, mich nicht zu treffen.«

Schließlich waren es die Ratsmitglieder überdrüssig , Ohnesorg immer und immer wieder zu erzählen, welch ein Retter er in ihren Augen war, und ihn zu ständigem höflichem Nicken und zurückhaltender Zustimmung zu nötigen. Sie führten ihn zu dem großen runden Tisch, um ihm die Karte von Nebelhafen zu zeigen. Stahl zog Ohnesorg zu sich heran und erklärte ihm die Lage. Owen und Hazel schoben sich auf die andere Seite. Sie waren fest entschlossen, sich nicht einfach abschieben zu lassen. Stahl ignorierte sie trotzdem und konzentrierte sich ganz und gar auf Ohnesorg.

»Genau, Jack. Diese Karte zeigt alle vier Viertel von Nebelhafen, von Stadtrand zu Stadtrand. Die Stadt ist von hohen Mauern umgeben, aber sie werden nicht lange halten. Sie waren nie dazu gedacht, mehr als einheimische Raubtiere abzuhalten. Eine Kriegsmaschine geht wahrscheinlich einfach durch sie hindurch. Und gegen Antigravschlitten oder Imperiale Barken sind sie sowieso nutzlos. Hier oben im Norden liegen Händlerviertel und das Viertel der Gilden, und unten im Süden befinden sich die beiden Viertel der Techniker und der Diebe.

Der Autumnusfluß fließt durch alle mit Ausnahme des Technikerviertels. Wir haben die Leichter auf dem Fluß eingesetzt, um Menschen zu evakuieren und Nachrichten zu transportieren, weil unsere Kommunikationssysteme ausgefallen und die Straßen von Menschen und Barrikaden verstopft sind. Einer unserer wenigen Notfallpläne, der mehr als nur einen Dreck wert ist. Alle anderen setzen Esper voraus, und unsere Esper sind nicht mehr in der Lage, am Kampf teilzunehmen. Was auch immer das Imperium einsetzt, es hat so gut wie jeden in den Wahnsinn getrieben, der auch nur über eine Spur von ESP verfügt. Ein paar unserer stärksten Telepathen halten noch durch, aber niemand weiß, wie lange. Die Überreste der Espervereinigung haben sich den gegnerischen Luftstreitkräften ent-gegengeworfen, aber sie haben uns lediglich etwas mehr Zeit verschafft, und das ist alles. Wir haben Läufer eingesetzt, die uns pausenlos mit Informationen versorgen; aber wenn wir eine Nachricht erhalten, ist meistens schon alles vorbei. Ich wünsche mir nichts sehnlicher als wenigstens ein einziges funktionierendes Kommunikationssystem, doch die Läufer sind alles, was uns geblieben…«

»Nicht mehr!« sagte eine neue Stimme vom Eingang her. Al-le Köpfe fuhren herum, und dort stand sie höchstpersönlich und machte einen selbstzufriedenen Eindruck: Johana Wahn. In ihrer Begleitung befanden sich Chance und ein gutes Dutzend seiner Kinder aus dem Abraxus. Die Kinder waren wach und standen mehr oder weniger sicher auf den Beinen, doch ihre Augen waren wild und nervös.

Die meisten der Anwesenden erschauerten unwillkürlich beim Anblick der wahnsinnigen Kinder in ihren schlecht sitzenden, heruntergekommenen Kleidern.

»Also schön«, sagte Magnus mit seiner kalten grauen Stimme. »Wer zur Hölle seid Ihr, Frau, und warum habt Ihr dieses… Gesocks hergebracht?«

»Mein Name ist Johana Wahn, und ich bin die letzte Manifestation der Mater Mundi, der Weltenmutter . Also paßt auf, was Ihr sagt, oder ich verwandle Euch in ein kleines hüpfendes Etwas. Diese Kinder hier sind möglicherweise die letzten Esper von ganz Nebelhafen, die nicht durch die neue Waffe des Imperiums verrückt geworden sind – weil sie selbst unter normalen Bedingungen schon dem Wahnsinn verfallen sind. Die restlichen Kinder haben überall in der Stadt Stellung bezogen. Es ist nicht ganz einfach, mit ihnen zu arbeiten, aber wenn Ihr Euch daran gewöhnt habt, steht Euch wieder ein funktionierendes Kommunikationssystem zur Verfügung.

Ich selbst bin hier, um Euch zu schützen – für den Fall, daß das Imperium herausfindet, wo Ihr seid. Ich besitze die Kräfte der Mater Mundi, und ich bin ein mehr als ebenbürtiger Gegner für alles, was das Imperium Euch entgegenwerfen kann. Fühlt Ihr Euch nicht gleich alle ein wenig sicherer?«

»Vielleicht würde ich das tatsächlich«, antwortete Donald Royal. »Vielleicht, wenn ich es nicht ausgerechnet aus dem Mund einer Frau gehört hätte, die den Namen Johana Wahn trägt.«

»Gut gemacht, Johana«, unterbrach Jung Jakob Ohnesorg die drohende Konfrontation. »Ich wußte, daß Ihr es bis zu uns schaffen würdet. Und jetzt wollen wir uns um diese Kinder kümmern, bevor wir weitermachen. Die armen Kleinen sehen aus, als hätten sie einen weiten, beschwerlichen Weg hinter sich.«

Leute wimmelten durcheinander und brachten den Kindern heiße Getränke und Decken, auf denen sie sich ausbreiten konnten, während Chance im Weg stand und mißtrauisch darauf achtete, daß seinen Kindern nichts geschah. Johana Wahn wandte sich der Theke zu und orderte einen ungewöhnlich starken Cocktail. Sie schien der Auffassung, daß die Kinder jetzt nicht mehr in ihre Verantwortlichkeit fielen. Wie immer hatte Johana Wahn auch heute eine recht eigenwillige Vorstellung von Prioritäten, und wie immer stand sie selbst ganz oben auf dieser Liste. Die Kinder hatten sich kaum hingelegt, da versteiften sich alle gleichzeitig auf ihren improvisierten Betten und verdrehten die Augen nach hinten.

»Machen sie das öfters?« erkundigte sich Lois Barron.

»Haltet den Mund«, entgegnete Chance. »Sie sehen gerade irgend etwas.«

»Sie sind da«, sagte eines der Kinder mit leiser, verträumter Stimme. »Die Stadtmauer im Südwesten ist gefallen. Imperiale Fußtruppen strömen hindurch. Die Wölfe sind im Stall.«

»Scheiße!« fluchte Stahl. »Ich hatte gehofft, daß uns ein wenig mehr Zeit bleiben würde. Chance, wie zuverlässig sind Eu-re Schutzbefohlenen?«

»Wenn es um die Gegenwart geht – hundert Prozent. Was die Zukunft betrifft…«

»Schon gut, ich weiß, ich weiß.« Stahl dachte angestrengt nach. »Bringt die Läufer wieder auf die Beine. Mir ist ganz egal, wie müde sie sind. Ich brauche sie, um Verstärkungen zusammenzurufen für das, was von der Stadtmauer noch übrig ist.«

»Nicht nötig, die Läufer zu belästigen«, widersprach Jung Jakob Ohnesorg. »Laßt sie ausruhen, sie sind fix und fertig.

Gebt mir ein paar Männer; ich führe eine Streitmacht zur Mauer, um die Angreifer aufzuhalten.«

Und damit war die Versammlung beendet. Alles rief durcheinander und brüllte Befehle und Anweisungen. Albert Magnus erklärte sich bereit, Ohnesorg zur nächsten Milizgruppe zu führen und von dort aus zur Stadtmauer. Ohnesorg klopfte ihm auf die Schulter und nannte ihn einen guten Mann, und Magnus wäre beinahe errötet . Sie eilten zur Tür hinaus, und Hazel und Owen eilten hinter ihnen her. Johana Wahn machte sich schmollend daran, Chance beim Versorgen der Kinder zu helfen und das zu interpretieren, was sie sahen. Sie schien die Tätigkeit für unter ihrer Würde zu halten, führte sie aber trotzdem aus, um zu zeigen, daß sie bereit war zu helfen.

Cyder nahm Katze beiseite und schrieb in einer stillen Ecke mehrere Botschaften, die er abliefern sollte. Wenn die Imperialen Truppen tatsächlich bereits in der Stadt waren, dann wollte sie sichergehen, daß ihr Besitz in Sicherheit war. Nur weil vor der Tür gerade ein Krieg tobte, hieß das noch lange nicht, daß man sich nicht mehr um seinen Besitz kümmern durfte. Katze runzelte die Stirn, doch dann zuckte er die Schultern. Er konnte einfach nicht nein sagen, was Cyder betraf. Und als einer der besten Diebe und Dachläufer Nebelhafens standen seine Chancen, weder entdeckt noch aufgehalten zu werden, besser als die der meisten anderen. Nebelhafens Meer aus ineinander überge-henden Dächern und Giebeln war für ihn vertrautes Territorium. Also grinste er Cyder beruhigend an, küßte sie zum Abschied, küßte sie noch einmal, um ihr Glück zu wünschen, und küßte sie ein drittes Mal, weil es ihm so gut gefiel, bevor er aus dem nächsten Fenster nach draußen verschwand, die Wand hinauf und über die Dächer. Leichten Schrittes eilte er durch den Schnee. Woher sollte er auch wissen, daß er niemals wieder in den Schwarzdorn zurückkehren würde?