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Und noch mehr: Vor Hazel öffneten sich unzählige Dimensionen, und andere Versionen ihrer Selbst erschienen nach und nach um sie herum. Sie tauchten stets nur kurz auf, manchmal gerade lang genug, um einen Schwerthieb abzulenken oder einen Angriff zu kontern, den Hazel selbst nicht hätte aufhalten können. Während sie weiterkämpfte, erschienen immer wieder neue, andere Hazel d’Arks und kämpften an ihrer Seite. Einige unterschieden sich kaum merklich vom Original, eine zusätzliche Narbe hier, eine andere Haarfarbe dort. Andere waren vollkommen anders gebaut oder gehörten sogar anderen Rassen oder Spezies an. Eine Hazel besaß eine goldene Hadenmann-Hand wie Owen. Eine war ein Mann, und wenigstens eine schien überhaupt nicht menschlich zu sein, oder zumindest nicht ganz. Hazel lächelte ihnen zu, und sie lächelten zurück.

Gemeinsam mit ihren anderen Ichs drängte sie sich in die vorderste Schlachtreihe, und sie schlossen die größte Lücke in der Stadtmauer und trotzten den Angriffen des Imperiums.

John Silver sah die verschiedenen Hazels Seite an Seite kämpfen und glaubte im ersten Augenblick, eine schlechte Lie-ferung Blut beschere ihm Halluzinationen. So etwas war ihm nach dem Genuß von Wampyrblut noch nie passiert. Erst als eine kahlköpfige Hazel d’Ark in der Ledertracht der Kopfgeldjäger einen Schwertstreich parierte, der Silver sonst unweiger-lich getötet hätte, gestand er sich zögernd ein, daß die verschiedenen Hazels wohl real waren. Er verdrängte die aufkommende Furcht. Nebelhafen war selbst in seinen besten Zeiten ein Ort für Verrückte gewesen, und ausgerechnet heute würde sich daran bestimmt nichts ändern.

Dann sah er Owen Todtsteltzer, der sich einen Weg durch das Kampfgetümmel bahnte und Imperiale Sturmtruppen niedermähte, als wären sie Luft, und Jakob Ohnesorg, der trotzig und unbezwingbar inmitten eines Berges feindlicher Leichen stand. Ein Schauer der Ehrfurcht durchzuckte John Silver. In seinem ganzen Leben hatte er noch nie drei solche Kämpfer gesehen. Er hatte das Gefühl, an der Seite von Göttern zu kämpfen.

Seine Bewunderung hielt nur einen Augenblick, dann wich sie einem Gefühl von Neid. John Silver war ein ganz gewöhnlicher Mann, weiter nichts . Er besaß nur gewöhnliche Kräfte und gewöhnlichen Mut, und er tat, was er konnte, während diese drei Übermenschen sein Bestes wie nichts aussehen ließen. Silver kämpfte weiter , doch ein Teil seines Mutes hatte ihn verlassen.

Der hin und her wogende Kampf spülte ihn nach vorn neben den Todtsteltzer. Der Todtsteltzer warf ihm ein rasches, freundliches Grinsen zu, und Silver bemühte sich, es zu erwidern.

Und in diesem Augenblick bemerkte er das Schwert eines Imperialen, das direkt auf Owens Rücken zielte. Der Todtsteltzer hatte es nicht gesehen. Er war zu sehr mit den beiden Infanteristen beschäftigt, die sich vor ihm aufgebaut hatten. Die Zeit schien langsamer zu werden und schließlich völlig stillzustehen, und Silver hatte das Gefühl, als hätte er alle Zeit der Welt, um sich genau zu überlegen, was er als nächstes tun sollte. Er konnte dem Todtsteltzer eine Warnung zurufen, oder er konnte versuchen, selbst die Klinge aufzuhalten, doch in diesem Augenblick wünschte er sich nur, daß der Todtsteltzer sterben würde: weil er ein Übermensch war, weil er Hazel näher und ihr wichtiger war, als John Silver es jemals sein würde… Es wäre ein Leichtes gewesen, einfach nur dazustehen und zuzusehen, wie die Klinge Owen tötete. Niemand würde ihm hinterher einen Vorwurf machen können. Das Durcheinander war einfach zu groß, und niemand konnte von ihm erwarten, daß er alles sah. Silver zögerte, während er in Gedanken ein Dutzend verschiedener Möglichkeiten durchspielte. Der Tod des verdammten Todtsteltzers würde ihm so viel bringen…

Und dann bewegte sich die Zeit wieder normal, und bereitete allen Spekulationen ein Ende.

Die Klinge raste auf Owens Rücken zu, und Silver schoß vor.

Sein Schwert blockte den Streich ab. Der Aufprall war so heftig, daß ihm die Waffe aus der Hand geprellt wurde und zu Boden polterte. Der Infanterist wandte sich gegen Silver und riß das Schwert zum tödlichen Hieb zurück. Silver warf sich zur Seite, und die Klinge ritzte nur die Haut seines Unterarms.

Blut rann über Silvers Arm. Der Soldat holte zu einem weiteren Streich aus. Silver sammelte das Blut aus seiner Wunde in der hohlen Hand und schleuderte es dem Angreifer in die Augen. Geblendet zögerte der Mann für den Bruchteil einer Sekunde, und das reichte John Silver, um sich nach seinem Schwert zu bücken und den Angreifer zu erledigen.

All das geschah in kaum mehr als einer Sekunde . Owen Todtsteltzer bemerkte nichts von alledem. Er war mit seinen eigenen Problemen beschäftigt. Silver raffte seine fünf Sinne zusammen und nahm den Kampf wieder auf. Für einen ge-wöhnlichen Sterblichen hatte er sich gar nicht so schlecht geschlagen. Und wenn in dieser Schlacht schon Götter kämpften, dann war John Silver froh, wenigstens auf ihrer Seite zu stehen.

Die Wogen der Schlacht spülten ihn von Owen Todtsteltzer fort, der sich gerade einen Weg durch einen Berg von Leichen bahnte, um wieder an Hazels Seite zu kämpfen. Es dauerte einen Augenblick, bis Owen bemerkte, daß es nicht die Hazel war, die er kannte, und noch einen weiteren, bis er entdeckte, daß es eine ganze Reihe von Hazel d’Arks zu geben schien.

Und dann rief plötzlich jemand in den hinteren Reihen der Angreifer: »Rückzug!« Andere Stimmen nahmen den Ruf auf, allesamt Imperiale Sturmtruppen, und plötzlich schmolz die Zahl der Angreifer vor Owen zusammen. Alles wandte sich zur Flucht. Wohin Owen auch blickte, überall war es das gleiche Bild. Die Überreste der riesigen Streitmacht lösten sich auf, und alle rannten um ihr Leben. Der unbewegliche Fels in der Brandung, die Verteidiger Nebelhafens, hatte die Wucht des Angriffs gebrochen. Rasch verwandelte sich der Rückzug in eine panische Flucht, und innerhalb weniger Sekunden war niemand mehr da, der kämpfen wollte. Die Verteidiger stießen heisere Jubelrufe aus. Owen drehte sich zu Hazel um und blinzelte verwundert, als er entdeckte, daß sie nur noch eine Person war. Sie erwiderte seinen Blick mit einem breiten Grinsen, und Owen beschloß, keine Fragen zu stellen. Noch nicht. Außerdem war er nicht sicher, ob er die Antwort überhaupt hören wollte.

Die Verteidiger riefen seinen und Hazels Namen, aber lauter noch den von Jakob Ohnesorg. Er war ihr Held. Sie salutierten vor ihm mit erhobenen Schwertern, und ihre Augen leuchteten vor Bewunderung. Sie wären ihm selbst in die Hölle gefolgt.

Und in diesem Augenblick eröffneten die Imperialen Kampfwagen das Feuer aus den Disruptorkanonen. Nun da sie nicht länger befürchten mußten, die eigenen Leute zu treffen, konnten sie gefahrlos schießen . Die Energiewaffen rissen blutige Lücken in die dicht gedrängten Reihen der Verteidiger, die sich daraufhin zur Flucht wandten. Ohnesorgs Stimme erhob sich über den allgemeinen Lärm.

»Halt, meine Freunde! Wir können diese Maschinen schlagen!«

Owen schob sich durch die Menge und packte Ohnesorg am Arm. »Seid Ihr verrückt? Ihr könnt doch nicht im Ernst glauben, daß wir mit Schwertern gegen die Imperialen Disruptorkanonen kämpfen können! Wir müssen uns zurückziehen und eine neue Verteidigungsstellung finden!«

»Er hat verdammt recht«, sagte Hazel, die plötzlich an Owens Seite stand. »Was Ihr vorhabt, ist reiner Selbstmord, Ohnesorg.«

»Bitte verzeiht«, erwiderte Jung Jakob. »Ihr habt natürlich vollkommen recht. Ich habe mich für einen Augenblick hinreißen lassen.«

»Na prima«, sagte Owen. »Dann haltet jetzt die Klappe und lauft.«

Die Verteidiger zogen sich vor den angreifenden Kampfwagen zurück, doch es war eine geordnete Bewegung, keine wilde Flucht. Sie strömten durch die engen Straßen und Gassen Nebelhafens in dem sicheren Bewußtsein, daß die gewaltigen Maschinen ihnen nicht würden folgen können. Die Kanonen der Wagen schwenkten von einer Seite zur anderen in dem Bemühen, eine Gruppe von Rebellen zu finden, die einen Schuß wert war, doch die Verteidiger hatten ihre Lektion gelernt, und sie teilten sich in immer kleinere Gruppen auf, während sie sich weiter zurückzogen. Und so eröffneten die Imperialen Kampfwagen schließlich das Feuer auf die Gebäude und Häuser am Stadtrand, und Schauer von Ziegelsteinen und Mörtel flogen durch die Luft, während die Überreste in Flammen aufgingen.