Schreie und Rufe wurden laut, und Menschen verschwanden unter einstürzenden Häusern, und schon bald gab es nichts mehr außer einem Haufen brennender Trümmer, wo vorher die Straße gewesen war. Die gewaltigen Kampfwagen rückten unaufhaltsam über den Schutt hinweg vor.
Als die Imperialen Sturmtruppen sahen, daß ihre Kampfwagen siegreich waren, formierten sie sich in ihrem Schutz neu, und aus dem anfänglich geordneten Rückzug der Verteidiger wurde schließlich doch noch wilde Flucht. Owen und Hazel blieben stehen und blickten sich um.
Die Kampfwagen rollten mit brüllenden Kanonen auf sie zu, während Nebelhafen Straße um Straße dem Erdboden gleichgemacht wurde. Oben am Himmel schwebten die Barken wie große Sturmwolken. Owen streckte eine Hand nach Hazel aus, und sie ergriff sie. Beide hatten den gleichen Gedanken. Ihre vereinigten Bewußtseine griffen nach draußen und in die Höhe.
Plötzlich machte eine der Antigravbarken mitten in der Luft einen Satz, als wäre sie von einer gewaltigen, unsichtbaren Faust gepackt worden. Die Maschinen brüllten auf und über-hitzten, als eine unheimliche Macht das Schiff aus dem Himmel riß und auf die vorrückenden Kampfwagen schleuderte.
Die gewaltige Explosion zerriß die Nacht, und die aus den ineinander verkeilten Wracks aufschießenden Flammen erleuchteten die nahe gelegenen Straßen . Die Angreifer mußten sich einmal mehr zurückziehen, wollten sie nicht Gefahr laufen, von herabfallendem, geschmolzenem Metall erschlagen und verbrannt zu werden. Die Wrackteile wurden von der Wucht der Explosion Hunderte von Metern weit davon-geschleudert, und doch blieben die Verteidiger davon unberührt. Die Trümmer fielen unmittelbar vor ihnen zu Boden, als würden sie von einer unsichtbaren Macht geschützt. Die Rebellen blieben stehen und drehten sich um, und sie jubelten und feierten das glückliche Geschick, das sie wieder einmal gerettet hatte.
Und niemand außer John Silver wußte, wem sie ihr Leben zu verdanken hatten. Er beobachtete, wie Owen und Hazel aus ihrer Starre erwachten, bemerkte ihre ineinander verschränkten Hände – und grinste anzüglich. Hazel und Owen ließen einander los und mischten sich unter die jubelnde Menge. Silver beobachtete die beiden und fragte sich einmal mehr, wer oder was sie waren, und ob sie – rein theoretisch – irgendwann so mächtig werden konnten, daß sie zu einer noch größeren Gefahr für die Nebelwelt wurden, als es das Imperium je gewesen war. Er setzte sich in Bewegung, um die beiden einzuholen.
Seine Gedanken bedrückten ihn. Gleichzeitig entwickelte er bereits die ersten Pläne, wie er auf eine solche Bedrohung reagieren konnte, sollte es notwendig werden. Und er dachte darüber nach, ob es vielleicht doch ein Fehler gewesen war, dem Todtsteltzer das Leben zu retten.
Er hatte sich stets den meisten anderen Menschen ein wenig überlegen gefühlt, weil diese sich vor Espern fürchteten. Jetzt spürte Silver zum ersten Mal, wie solche Leute sich fühlen mußten. John Silver war nicht mehr oben auf der Spitze. Er war nicht einmal sicher, ob er die Spitze von seiner momentanen Position aus überhaupt noch sehen konnte.
Mitten unter den zurückweichenden Imperialen Stoßtruppen befanden sich Tobias Shreck und sein Kameramann Flynn.
Man hatte die beiden abgesetzt, damit sie Nahaufnahmen der siegreichen Invasion liefern konnten nur, daß die Dinge sich ein wenig anders entwickelt hatten.
Im selben Augenblick, da deutlich wurde, daß die Dinge aus dem Ruder liefen, hatte Leutnant Ffolkes sich an Flyrm gewandt und ihm befohlen, seine Kamera einzuholen und abzu-schalten. Die Liveübertragung war zu Ende, angeblich wegen technischer Schwierigkeiten. Und um deutlich zu machen, wie ernst diese technischen Schwierigkeiten waren, drückte Ffolkes dem Kameramann eine Waffe in den Rücken und hielt sie dort, bis das Gerät wieder sicher auf Flynns Schulter gelandet war.
Das einzelne rote Auge erlosch, und die Kamera war aus. Tobias protestierte, doch niemand hörte auf ihn. Er hatte nichts anderes erwartet, aber er mußte protestieren, weil man sonst vielleicht denken würde, er wäre mit den Jahren weich geworden. Weder Tobias noch Flynn zweifelten auch nur eine Sekunde daran, daß Ffolkes die Waffe benutzt hätte.
Der Sicherheitsoffizier schäumte vor Wut über die Niederlage der Imperialen Sturmtruppen, und er erweckte ganz den Eindruck, als würde er seine Wut an jedem abreagieren, der dumm genug war, ihm in den Weg zu kommen.
Und so kam es, daß Tobias und Flynn sich zusammen mit den Sturmtruppen zurückzogen, bis Ffolkes den Befehl erhielt, sich irgendwo anders unbeliebt zu machen. Nach seinem Verschwinden filmten sie ein paar großartige Szenen mit der ab-stürzenden Barke und mußten anschließend rennen wie die Teufel, als geschmolzenes Metall wie glühender Hagel aus dem Himmel fiel.
Während sie durch den Schnee außerhalb der Stadtmauern in vorübergehende Sicherheit trotteten, bemühten sich Tobias und Flynn um einige Interviews von den geschlagenen Sturmtruppen, doch sie gaben ihr Vorhaben rasch wieder auf. Die negati-ven Antworten hatten sich rasch von obszönen Flüchen zu Morddrohungen gesteigert.
»Ich frage mich, wohin sie uns als nächstes schicken«, sagte Flynn nach einer Weile.
»Irgendwohin, wo die Dinge sich ein ganzes Stück besser entwickeln, sollte man jedenfalls meinen«, entgegnete Tobias.
»Immer vorausgesetzt, es gibt einen solchen Ort.«
»Den gibt’s bestimmt. Wenn du mich fragst, hatten die Verteidiger hier lediglich einen Haufen Glück, das ist alles.«
»Ich weiß nicht«, sagte Flynn. »Wie groß waren die Chancen, daß eine Imperiale Barke ausgerechnet auf die Imperialen Kampfwagen stürzt?«
Tobias blickte Flynn an. »Was willst du damit andeuten?
Glaubst du, die Rebellen haben sie irgendwie zum Absturz gebracht? Vergiß es. Die Rebellen besitzen keine Waffen, die so etwas könnten. Und wenn du meinst, das sei das Werk von Espern gewesen, dann laß dir sagen, daß selbst der berüchtigte Esper Investigator Topas keine Barke zum Absturz bringen könnte. Esper sind einfach nicht stark genug für so etwas.
Selbst ohne Legion, das sie nach und nach in den Wahnsinn treibt.«
»Wir sind hier auf der Nebelwelt, und du redest über Nebelhafen«, widersprach Flynn. »Ich habe alles mögliche über Nebelhafen gehört. Freiwillig wäre ich niemals hierhergekommen .«
»Sicher, Nebelhafen steckt voller Überraschungen«, gestand Tobias. »Hast du gesehen, wer die Rebellen angeführt hat? Es war Jakob Ohnesorg, und er sah ganz genauso aus wie in den alten Holos. Aber wenn das Jakob Ohnesorg sein soll, wen haben wir dann als Anführer der Rebellen auf Technos III gesehen? Der Mann sah viel älter und mitgenommener aus. Ich kann nicht glauben, daß er in so kurzer Zeit von Technos III nach hier gekommen sein soll. Jedenfalls nicht, ohne daß das Imperium Wind davon bekommen hätte.«
»Vielleicht ist einer von beiden ein Doppelgänger?« vermutete Flynn. »Oder ein Klon.« Er verzog das Gesicht. »Gleichgültig, wer oder was dieser Ohnesorg ist – es gibt eine Menge, was man uns verschwiegen hat.«
»Was genaugenommen nichts Neues ist«, bemerkte Tobias.
»Wenn wir ihm wieder begegnen, können wir ihn vielleicht um ein Interview bitten. Ich könnte jeden Preis dafür verlangen.
Garantiert beste Sendezeit.«
»Die herrschenden Schichten würden dir niemals gestatten, so etwas auszustrahlen. Sonst wären sie bald nicht mehr die herrschenden Schichten.«