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In Nebelhafen war sie offiziell nur Sergeant bei den Stadtwachen, doch sie hatte auch ihren alten Titel behalten. Hauptsächlich deswegen, weil sich kein Dummer gefunden hatte, der deswegen mit ihr Streit anfangen wollte. In einer Stadt voller gefährlicher und verzweifelter Individuen gab es niemanden, der sich mit Topas anlegte. Nachdem Owen sie jetzt mit eigenen Augen sah, konnte er auch verstehen warum. Ohne sich umzusehen spürte er, wie Hazel neben ihm sich unruhig rührte wie ein Hofhund, der einen Rivalen roch, und so beschloß er, die Dinge ins Rollen zu bringen, bevor sie eine Gelegenheit hatten, ihm aus der Hand zu gleiten.

»Direktor Stahl und Investigator Topas«, begann er freundlich. »Sehr liebenswürdig von Euch, zu so früher Stunde persönlich herzukommen und uns in Empfang zu nehmen. Darf ich Euch meine Begleiter vorstellen…?«

»Wir wissen, wer Ihr seid«, unterbrach ihn Stahl. »Und wärt Ihr nicht die offiziellen Repräsentanten der Untergrundbewegung Golgathas, hätte ich Euch niemals eine Landeerlaubnis erteilt. Ihr macht immer nur Scherereien, und noch mehr Ärger ist wirklich das letzte, was Nebelhafen im Augenblick gebrauchen kann. Nur zu Eurer Information: Wir sind nicht früh auf-gestanden – wir waren noch gar nicht im Bett. Seit dem Erscheinen der Typhus-Marie und dem Ausbruch der Esperseu-chearbeiten die Überlebenden unter uns in Doppelschichten, um die Dinge irgendwie wieder ans Laufen zu bringen. Außerdem habe ich das Chaos nicht vergessen, das Ihr bei Eurem letzten Besuch hinterlassen habt, Todtsteltzer. Ich sollte Euch die Schäden in Rechnung stellen.«

»Wenn ich die Höhe der Landegebühren bedenke, dachte ich eigentlich, sie seien schon enthalten«, erwiderte Owen mit unerschütterliche Ruhe.

»Und bevor du fragst«, mischte sich Hazel ein, »nein, du kriegst diesmal nicht deine inoffiziellen zehn Prozent Anteil an der Fracht, die wir mit uns gebracht haben. Meinetwegen kannst du jetzt lamentieren . Aber wundere dich nicht, wenn ich dir deswegen an die Kehle springe.«

»Gebt nichts um ihre Worte«, beschwichtigte Owen. »Sie ist nun mal, wie sie ist. Aber was, wenn ich fragen dürfte, verschafft uns die Ehre, von Eurem Komitee in Empfang genommen zu werden, wo wir doch allesamt persona non grata sind?

Höflichkeit gegenüber dem Untergrund?«

»Nein«, entgegnete Topas. Ihre Stimme war so kalt wie ein Grab. »Wir wollten einen Blick auf den legendären Rebellen Jakob Ohnesorg werfen, weiter nichts.«

Ohnesorg bedachte sie mit seinem gewinnendsten Lächeln und verbeugte sich formell. »Erfreut, Eure werten Bekanntschaften zu machen, Investigator und Direktor. Seid versichert, daß ich alles in meiner bescheidenen Macht Stehende unternehmen werde, um dafür zu sorgen, daß unsere geschäftlichen Angelegenheiten leise und unauffällig über die Bühne gehen.

Wir werden alle Beteiligten nicht mehr als unbedingt erforderlich stören. Allerdings mache ich keinen Hehl aus meiner Absicht, die Nebelwelt in den Untergrund und auf die Seite der Rebellion zu bringen. Man hat Euch viel zu lange allein in der Kälte gelassen . Es ist wirklich an der Zeit, daß wir alle zusam-menstehen und den Kampf zum Imperium tragen.«

»Großartig«, sagte Stahl ungerührt. »Noch ein verdammter Held . Hier kommen eine Menge Helden durch, wißt Ihr? Sie kommen und gehen, und niemals ändert sich irgend etwas wirklich.«

»Ah«, entgegnete Jung Jakob und grinste breit. »Aber sie sind nicht Jakob Ohnesorg.«

Zu Owens Überraschung erwiderte Direktor Stahl das Grinsen. Unvermittelt trat Johana Wahn vor. »Für den Fall, daß irgend jemand es vergessen haben sollte: Ich bin auch noch da«, sagte sie laut. »Ich repräsentiere die Weltenmutter, Unsere Mutter Aller Seelen.«

»Na, herzlichen Glückwunsch«, sagte Topas. »Ihr seid schon die zehnte diesen Monat. Es scheint der beliebteste Trickbetrug von ganz Nebelhafen zu sein. Vielleicht deswegen, weil so viele Leute verzweifelt daran glauben möchten. Wärt Ihr nicht bei Jakob Ohnesorg, hätte ich Euch schon aus Prinzip ins Ge-fängnis geworfen. Also haltet Euch besser bedeckt und macht keinen Ärger, ja? Habt Ihr mich verstanden?«

Plötzlich erstrahlten Johanas Augen mit einem inneren Licht wie die Fernscheinwerfer eines Wagens. Freie Energie knisterte und funkte in der Luft ringsum, als sich die Macht in ihr regte. Ihre Gegenwart erfüllte die Luft wie die Flügel eines riesigen Vogels und drängte alle Umstehenden zurück. Irgend etwas lebte tief in Johana Wahn, mächtig und gewaltig und vielleicht nicht ganz menschlich, und es stand im Begriff zu erwachen. Gideon Stahl zog eine Pistole. Investigator Topas öffnete den Mund, um zu singen. Owen und Hazel warfen sich auf Johana Wahn und drückten sie zu Boden. Die Macht in ihr schlug nach den beiden – und wurde von einer noch größeren Macht zur Seite gelenkt und besiegt einer Macht, die noch nicht fokussiert und trainiert war, die aber trotzdem mehr als ausreichte, um einen einfachen Esper zum Verstummen zu bringen, der nur im Vorübergehen von etwas Gewaltigem be-rührt worden war. Die Gegenwart zerbrach wie ein Spiegel und war verschwunden.

Owen und Hazel rollten Johana Wahn aufs Gesicht und drückten es in den Dreck des Landeplatzes. Owen setzte sich auf sie – nur für den Fall – und grinste Stahl und Topas an.

»Achtet nicht auf Johana«, erklärte er. »Das Reisen bekommt ihr nicht. Wenn Ihr sie erst näher kennengelernt habt, ist sie nur noch unausstehlich.«

Stahl schnaufte und steckte die Pistole wieder ein. Topas runzelte die Stirn. »Irgend etwas ist geschehen«, sagte sie. »Ich habe kaum etwas bemerkt, aber Ihr beide habt irgend etwas mit ihr angestellt. Hinter Euch steckt mehr, als auf den ersten Blick zu erkennen ist, Owen Todtsteltzer.«

»Das wird schon so sein«, gab Stahl ihr recht. »Willkommen auf Nebelwelt, Leute. Haltet diese Esperfrau an der kurzen Leine, oder ich werde ihr einen Maulkorb anlegen lassen. Der Mann, der hinter uns im Nebel lauert, nennt sich John Silver.

Er ist gegenwärtig der Leiter der Raumhafensicherheit. Er wird während Eures Aufenthalts ein Auge auf Euch werfen und sich die größte Mühe geben, Euch Ärger zu ersparen, wenn er jemals eine Pension sehen möchte. Ich wünsche Euch alles erdenkliche Glück bei der Erledigung Eurer Aufträge und falls etwas schiefgeht, dann will ich nichts darüber hören. Macht Euch nicht die Mühe, vorbeizukommen und Auf Wiedersehen zu sagen, bevor Ihr wieder verschwindet. Und jetzt, wenn Ihr uns bitte entschuldigen würdet? Topas und ich haben noch andere Dinge zu erledigen.«

Und mit diesen Worten machten die beiden auf dem Absatz kehrt und verschwanden im alles verhüllenden Nebel. John Silver starrte ihnen wütend hinterher, stieß einen unflätigen Fluch aus und vollführte eine noch unflätigere Geste, bevor er zu den Neuankömmlingen trat und sich mit knappem Lächeln vorstellte. »Nehmt es nicht persönlich«, sagte er. »Das machen sie mit jedem so. Meist aus gutem Grund, aber so ist die Nebelwelt nun einmal. Hallo Hazel! Schön, dich wiederzusehen.«

»Auch schön, dich zu sehen, du alter Pirat!« entgegnete Hazel grinsend. Sie trat vor und umarmte Silver . Owen war fast schockiert. Hazel gehörte normalerweise nicht zu der Sorte Mensch, die sich mit anderen verbrüderte . Er nutzte die Gelegenheit, um den Kopf des Leiters der Raumhafensicherheit genauer zu betrachten. Silver war groß und breitschultrig, mit scharfen, jugendlichen Gesichtszügen, und er steckte in einem dicken, exquisit geschneiderten Pelzmantel, über dem der purpurne Umhang der Esper wehte. An der Hüfte baumelte ein einfaches Kurzschwert in einer abgenutzten Lederscheide, doch Owen zweifelte nicht eine Sekunde daran, daß der Mann unter seinen Fellen auch noch ein oder zwei Pistolen versteckt hatte.