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Die zwölf Wagen füllen den Kreisverkehr des Zentralen Platzes. An den Fenstern der Häuser ringsum drängen sich die angesehensten Bürger des Kapitols. Die Pferde ziehen unseren Wagen genau vor die Residenz von Präsident Snow und wir bleiben stehen. Die Musik endet mit einem Tusch.

Der Präsident, ein kleiner, dünner Mann mit papierweißem Haar, heißt uns von einem Balkon hoch über uns willkommen. Es ist Tradition, während der Rede die Gesichter der Tribute einzublenden. Doch auf den Bildschirmen kann ich sehen, dass sie uns viel mehr Zeit widmen, als uns eigentlich zusteht. Je dunkler es wird, desto schwieriger wird es, den Blick von unseren Flammen abzuwenden. Als die Nationalhymne ertönt, versuchen sie einen schnellen Schwenk zu allen Tributpaaren, aber die Kamera bleibt auf den Distrikt-12-Wagen gerichtet, der ein letztes Mal den Zentralen Platz umkreist und dann im Trainingscenter verschwindet.

Kaum haben sich die Türen hinter uns geschlossen, da umringen uns auch schon die Vorbereitungsteams, deren Lobhudelei auf uns fast nicht zu verstehen ist. Als ich mich umschaue, sehe ich, dass viele der anderen Tribute uns böse Blicke zuwerfen, was meine Vermutung bestätigt, dass wir sie alle überstrahlt haben. Dann sind Cinna und Portia da und helfen uns vom Wagen herunter, wobei sie uns vorsichtig die brennenden Umhänge und Kopfbedeckungen abnehmen. Portia löscht sie mit einem Spray.

Ich merke, dass ich immer noch an Peeta klebe, und zwinge meine steifen Finger, sich zu öffnen. Wir massieren unsere Hände.

»Danke, dass du mich festgehalten hast. Ich war ganz schön wacklig auf den Beinen«, sagt Peeta.

»Davon war aber nichts zu sehen«, sage ich. »Das hat garantiert niemand bemerkt.«

»Ich bin sicher, die haben überhaupt nichts bemerkt außer dir. Du solltest öfter Flammen tragen«, sagt er. »Stehen dir gut.« Und dann lächelt er mich so süß und mit genau dem richtigen Tick Schüchternheit an, dass es mich unvermittelt warm durchströmt.

Eine Alarmglocke schrillt in meinem Kopf. Sei doch nicht dumm. Peeta plant gerade, wie er dich töten kann, sage ich mir. Er versucht dich einzuwickeln, damit du eine leichte Beute bist. Je liebenswürdiger er ist, desto gefährlicher ist er.

Und weil ich das auch kann, stelle ich mich auf Zehenspitzen und küsse ihn auf die Wange. Genau auf seinen Bluterguss.

6

Das Trainingscenter ist in einem turmartigen Gebäude untergebracht, das ausschließlich für die Tribute und ihre Teams errichtet wurde. Hier werden wir bis zum Beginn der eigentlichen Spiele wohnen. Jedem Distrikt steht eine ganze Etage zur Verfügung. Man betritt einfach einen Aufzug und drückt die Nummer des eigenen Distrikts. Kinderleicht zu merken.

Ich bin zweimal im Gerichtsgebäude von Distrikt 12 Aufzug gefahren. Einmal, um nach dem Tod meines Vaters die Medaille in Empfang zu nehmen, und dann gestern, um mich von Familie und Freunden zu verabschieden. Aber der Aufzug dort ist ein dunkles knarrendes Ding, das sich im Schneckentempo bewegt und in dem es nach saurer Milch riecht. Die Wände des Aufzugs hier sind aus Glas, sodass man sehen kann, wie die Leute im Erdgeschoss zu Ameisen schrumpfen, während man selbst in die Höhe schießt. Es ist ein tolles Gefühl und ich bin versucht, Effie Trinket zu fragen, ob wir noch mal fahren können, aber irgendwie kommt mir das kindisch vor.

Effie Trinkets Aufgaben sind mit unserer Ankunft am Bahnhof offenbar nicht beendet. Sie und Haymitch werden uns managen, bis es in die Arena geht. Das hat gewisse Vorteile, denn sie steht wenigstens pünktlich bereit, wenn wir irgendwohin müssen, während Haymitch, seit er im Zug eingewilligt hat, uns zu helfen, nicht mehr aufgetaucht ist. Wahrscheinlich liegt er irgendwo im Delirium. Effie Trinket hingegen scheint auf einem Höhenflug zu sein. Zum ersten Mal betreut sie ein Team, das bei der Eröffnungsfeier der unumstrittene Star war. Sie lobt unsere Kostüme und unseren Auftritt. Außerdem behauptet Effie Trinket, sie kenne jeden, der im Kapitol Rang und Namen hat, und habe uns den ganzen Tag in höchsten Tönen gelobt, um Sponsoren für uns zu gewinnen.

»Ich habe aber sehr geheimnisvoll getan«, sagt sie und blinzelt durch die halb geschlossenen Augen. »Haymitch hat mir nämlich nichts über eure Strategien erzählt. Trotzdem habe ich versucht, aus dem Material, das mir zur Verfügung stand, das Beste zu machen. Wie Katniss sich für ihre Schwester geopfert hat. Wie ihr beide erfolgreich dafür kämpft, die Barbarei in eurem Distrikt zu überwinden.«

Barbarei? Ziemliche Ironie, das aus dem Mund einer Frau zu hören, die uns darauf vorbereitet, abgeschlachtet zu werden. Und woran macht sie unseren Erfolg fest? An unseren Tischmanieren?

»Natürlich haben sie alle ihre Vorbehalte. Weil ihr aus dem Kohledistrikt kommt. Aber ich habe gesagt, und das war sehr klug von mir, ich habe gesagt: >Wisst ihr, wenn man nur genug Druck auf die Kohle ausübt, werden daraus Perlen! <« Effie strahlt uns derart an, dass wir nicht anders können, als sie begeistert für ihre Klugheit zu loben, auch wenn sie sich irrt.

Kohle verwandelt sich nicht in Perlen. Die wachsen in Muscheln. Wahrscheinlich meinte sie, dass Kohle sich in Diamanten verwandelt, obwohl auch das nicht stimmt. Ich habe gehört, dass es in Distrikt 1 eine Maschine gibt, die Grafit in Diamanten verwandeln kann. Aber in Distrikt 12 fördern wir keinen Grafit. Das war ein Teil der Aufgabe von Distrikt 13, bis er zerstört wurde.

Ich frage mich, ob die Leute, bei denen sie den ganzen Tag die Werbetrommel für uns gerührt hat, das wissen oder überhaupt wissen wollen.

»Leider kann ich keine Sponsorendeals für euch machen. Das kann nur Haymitch«, sagt sie finster. »Aber macht euch keine Sorgen, ich werde ihn an den Tisch kriegen, wenn nötig mit Waffengewalt.«

Effie Trinket hat zwar gewisse Schwächen, aber ihre Entschlossenheit muss ich bewundern.

Mein Quartier ist größer als unser ganzes Haus in Distrikt 12. Es ist ebenso vornehm eingerichtet wie der Waggon im Zug und verfügt dabei über so viele automatische Vorrichtungen, dass ich bestimmt nicht die Zeit haben werde, sie alle auszuprobieren. Allein die Dusche hat ein Bedienfeld mit mehr als hundert Wahlmöglichkeiten, bei denen man Temperatur, Wasserdruck, Seifen, Shampoos, Öle und Massageschwämme einstellen kann. Wenn man auf eine Matte steigt, schalten sich Heizlüfter ein, die den Körper trocken pusten. Anstatt mit den Knoten in meinem nassen Haar zu kämpfen, lege ich einfach die Hand auf einen Kasten, der einen Luftstrom über meine Kopfhaut aussendet und das Haar in kürzester Zeit entwirrt, scheitelt und trocknet. Wie ein glänzender Vorhang fließt es auf meine Schultern herab.

Den Wäscheschrank programmiere ich auf ein Outfit nach meinem Geschmack. Auf mein Kommando zoomen die Fenster die gewünschten Stadtteile heran und wieder weg. Ich brauche nur den Namen eines Gerichts von einer gigantischen Speisekarte in ein Sprachrohr zu flüstern und im Handumdrehen steht es heiß und dampfend vor mir. Ich gehe durch den Raum, esse Gänseleber und lockeres Brot, bis es an der Tür klopft. Effie ruft mich zum Abendessen.

Gut. Ich habe nämlich einen Bärenhunger.

Als wir das Speisezimmer betreten, stehen Peeta, Cinna und Portia auf einem Balkon und schauen auf das Kapitol hinab. Ich bin froh, die Stylisten zu sehen, besonders als ich höre, dass Haymitch auch dazustoßen wird. Eine Mahlzeit nur mit Effie und Haymitch würde in einer Katastrophe enden. Außerdem geht es heute Abend nicht nur ums Essen, sondern auch darum, eine Strategie zu entwerfen, und Cinna und Portia haben bereits bewiesen, wie wertvoll sie sind.

Ein stiller junger Mann in weißer Tunika reicht uns langstielige Gläser mit Wein. Erst will ich ablehnen, aber abgesehen von dem selbst gemachten Zeug, das meine Mutter uns bei Husten verabreicht, habe ich noch nie Wein getrunken, und wann werde ich je wieder die Gelegenheit dazu bekommen? Ich trinke ein Schlückchen der säuerlichen, herben Flüssigkeit und denke insgeheim, dass sie mit ein paar Löffeln Honig besser schmecken würde.