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»Was soll das heißen?«, frage ich. Ich bin mir nicht sicher, was unsere gegenwärtige Methode ist. Vor den anderen Tributen mittelmäßig zu erscheinen ist alles, was ich von unserer Strategie noch weiß.

Haymitch zuckt die Achseln. »Peeta möchte von jetzt an Einzelcoaching.«

9

Verrat. Das ist das Erste, was ich empfinde, aber das ist lächerlich. Ein Verrat setzt voraus, dass vorher Vertrauen da war. Und Vertrauen war nicht Teil der Abmachung zwischen Peeta und mir. Wir sind Tribute. Aber der Junge, der einst Prügel riskierte, um mir Brot zu geben, der mich im Wagen gestützt hat, der mich in der Sache mit dem rothaarigen Avoxmädchen gedeckt hat, der dafür gesorgt hat, dass Haymitch von meinen Jagdkünsten erfuhr … War da etwas in mir, das nicht anders konnte, als ihm zu vertrauen?

Auch ich bin erleichtert, nicht länger heucheln zu müssen, wir wären Freunde. Die zarte Bindung, die wir törichterweise vielleicht zugelassen haben, ist offenbar durchtrennt worden. War auch höchste Zeit. In zwei Tagen beginnen die Spiele und Vertrauen wird dann nur noch eine Schwäche sein. Was auch zu Peetas Entschluss geführt haben mag - ich vermute, es hat damit zu tun, dass ich ihn im Training ausgestochen habe -, ich sollte dafür dankbar sein. Vielleicht hat er akzeptiert, dass es besser ist, so früh wie möglich anzuerkennen, dass wir Gegner sind. »Gut«, sage ich. »Und wie geht’s jetzt weiter?« »Jeder von euch hat vier Stunden mit Effie für die Präsentation und vier mit mir für den Inhalt«, sagt Haymitch. »Du fängst mit Effie an, Katniss.«

Ich kann mir zwar erst nichts vorstellen, was Effie mir beibringen könnte und was vier Stunden dauert, aber sie beschäftigt mich dann doch bis zur letzten Minute. Wir gehen in mein Zimmer, wo sie mich in ein bodenlanges Kleid und hochhackige Schuhe steckt, andere, als ich während des eigentlichen Interviews tragen werde, und gibt mir Anweisungen, wie ich gehen soll. Die Schuhe sind das Schlimmste. Ich habe noch nie Schuhe mit Absätzen getragen und kann mich nicht daran gewöhnen, auf den Fußballen durch die Gegend zu staksen. Aber Effie läuft die ganze Zeit damit herum, und wenn sie das schafft, will ich es auch schaffen. Das Kleid wirft ein anderes Problem auf. Es wickelt sich immer wieder um meine Schuhe, sodass ich es instinktiv hochraffe, aber da stürzt sich Effie wie ein Falke auf mich, schlägt mir auf die Hände und brüllt: »Nicht über die Knöchel!« Irgendwann kann ich endlich einigermaßen laufen, aber es stehen immer noch richtig Sitzen, Körperhaltung - offenbar neige ich dazu, den Kopf einzuziehen -, Blickkontakt, Handbewegungen und Lächeln auf dem Programm. Beim Lächeln geht es hauptsächlich darum, mehr zu lächeln. Effie lässt mich hundert banale Sätze aufsagen, die mit einem Lächeln anfangen, mit einem Lächeln enden oder von einem Lächeln unterbrochen werden. Als wir zum Mittagessen gehen, zucken meine Wangenmuskeln, so überbeansprucht sind sie.

»Hm, ich habe mein Bestes gegeben«, sagt Effie und seufzt. »Denk dran, Katniss, die Zuschauer sollen dich mögen.«

»Aber du glaubst nicht daran?«, frage ich.

»Nicht, wenn du sie die ganze Zeit so wütend anstarrst. Warum hebst du dir das nicht für die Arena auf? Stell dir lieber vor, du wärst unter Freunden«, sagt Effie.

»Sie wetten darauf, wie lange ich überleben werde!«, platze ich heraus. »Das sind nicht meine Freunde!«

»Du musst einfach so tun als ob!«, blafft Effie mich an. Dann fasst sie sich und strahlt mich an. »So, siehst du? Ich lächele dich an, obwohl ich mich über dich ärgere.«

»Ja, sehr überzeugend«, sage ich. »Ich geh jetzt essen.« Ich schleudere meine Pumps weg und stampfe ins Esszimmer, wobei ich den Rock bis zu den Oberschenkeln hochziehe.

Peeta und Haymitch wirken gut gelaunt, deshalb gehe ich davon aus, dass die Inhaltssitzung gegenüber dem Vormittag mit Effie eine Steigerung bringen wird. Aber da habe ich mich gewaltig geirrt. Nach dem Mittagessen nimmt Haymitch mich mit in den Salon, führt mich zum Sofa und schaut mich dann eine Weile mit gerunzelter Stirn an.

»Was ist?«, frage ich schließlich.

»Ich überlege, was ich mit dir anstellen soll«, sagt er. »Wie wir dich präsentieren sollen. Liebreizend? Reserviert? Wild? Im Moment strahlst du wie ein Stern. Du hast freiwillig den Platz deiner Schwester eingenommen. Durch Cinna hast du unvergesslich ausgesehen. Du hast die höchste Trainingswertung. Die Leute sind fasziniert, aber keiner weiß, wer du bist. Der Eindruck, den du morgen machst, wird darüber entscheiden, wie viele Sponsoren ich dir besorgen kann«, erklärt Haymitch.

Da ich mein Leben lang die Interviews mit den Tributen angeschaut habe, weiß ich, dass da etwas dran ist. Egal, ob witzig, brutal oder exzentrisch - wer Eindruck auf die Menge macht, der hat ihr Wohlwollen.

»Wie geht Peeta vor? Oder darf ich das nicht fragen?«

»Einnehmend. Er hat einen natürlichen, selbstironischen Humor«, sagt Haymitch. »Wohingegen du, wenn du den Mund aufmachst, eher mürrisch und feindselig rüberkommst.«

»Stimmt gar nicht!«, sage ich.

»Bitte. Ich weiß nicht, wo du dieses fröhliche Lockenköpfchen auf dem Wagen hergeholt hast, aber ich habe es weder vorher noch nachher wiedergesehen«, sagt Haymitch.

»Dabei haben Sie mir so viele Anlässe gegeben, fröhlich zu sein«, entgegne ich.

»Aber mir musst du doch nicht gefallen. Ich werde dich nicht sponsern. Also tu so, als war ich das Publikum«, sagt Haymitch. »Begeistere mich.«

»Na gut!«, fauche ich. Haymitch übernimmt die Rolle des Interviewers, und ich versuche, seine Fragen auf gewinnende Art zu beantworten. Aber es geht nicht. Ich bin zu sauer auf Haymitch wegen seiner Worte und weil ich jetzt auch noch Fragen beantworten soll. Dabei kann ich nur an eins denken, nämlich wie ungerecht die ganze Sache ist, diese Hungerspiele. Warum hüpfe ich herum wie ein dressierter Hund, bemüht, Leuten zu gefallen, die ich hasse? Je länger das Interview dauert, desto mehr scheint mein Zorn hochzukommen, bis ich ihm die Antworten regelrecht ins Gesicht spucke.

»Okay, das reicht«, sagt er. »Wir müssen einen anderen Dreh finden. Du bist nicht nur feindselig, ich weiß auch immer noch nichts über dich. Ich hab dir fünfzig Fragen gestellt und immer noch keinen Schimmer von deinem Leben, deiner Familie, davon, was dir wichtig ist. Sie wollen etwas über dich erfahren, Katniss.«

»Aber ich will das nicht! Die nehmen mir schon meine Zukunft! Sie sollen nicht auch noch das kriegen, was mir in der Vergangenheit wichtig war!«, sage ich.

»Dann lüg! Denk dir was aus!«, fordert Haymitch.

»Ich kann nicht gut lügen«, sage ich.

»Dann musst du’s eben lernen, und zwar schnell. Du hast den Charme einer toten Nacktschnecke«, sagt Haymitch.

Aua. Das tut weh. Sogar Haymitch muss gemerkt haben, dass er zu grob war, denn seine Stimme wird weicher. »Ich hab da eine Idee. Versuch, auf bescheiden zu machen.«

»Bescheiden«, wiederhole ich.

»Dass du es einfach nicht fassen kannst, dass ein kleines Mädchen aus Distrikt 12 es so weit gebracht hat. Das alles ist mehr, als du dir je hättest träumen lassen. Erzähl von Cinnas Kleidern. Wie nett die Leute sind. Wie die Stadt dich verzaubert. Wenn du schon nicht über dich selbst reden willst, mach wenigstens den Zuschauern Komplimente. Dreh einfach den Spieß um, okay?! So, und nun zeig mal, was du kannst!«

Die nächsten Stunden sind quälend. Sofort ist klar, dass ich gar nichts kann. Ich bemühe mich, frech zu sein, aber dafür bin ich nicht arrogant genug. Für Wildheit bin ich offenbar zu »verletzlich«. Ich bin nicht geistreich. Nicht witzig oder sexy. Und auch nicht geheimnisvoll.

Am Ende der Sitzung bin ich niemand. Irgendwo bei geistreich hat Haymitch angefangen zu trinken und ein gemeiner Unterton hat sich in seine Stimme geschlichen. »Ich geb’s auf, Süße. Beantworte einfach die Fragen und konzentrier dich darauf, dass die Zuschauer nicht mitbekommen, wie sehr du sie verachtest.«