Cinna hebt die Augenbraue. Sei ehrlich. »Sie meinen, nachdem ich meine Angst überwunden hatte, bei lebendigem Leib zu verbrennen?«, frage ich.
Großer Lacher. Ein echter, aus dem Publikum.
»Ja. Fang da an«, sagt Caesar.
Cinna, mein Freund, das muss ich dir sowieso mal sagen. »Ich hab gedacht, dass Cinna genial ist und dass es das umwerfendste Kostüm ist, das ich je gesehen habe, und ich konnte gar nicht glauben, dass ich es trug. Und ich kann auch nicht glauben, dass ich dies hier trage.« Ich hebe meinen Rock hoch und breite ihn aus. »Ich meine, schauen Sie sich das an!«
Während das Publikum Ah und Oh ruft, sehe ich, wie Cinna eine winzige Bewegung mit dem Finger macht. Ich weiß, was er sagen will. Dreh dich für mich.
Ich drehe mich einmal im Kreis und die Reaktion kommt sofort.
»Oh, mach das noch mal«, sagt Caesar, also hebe ich die Arme und drehe mich und drehe mich und lasse den Rock fliegen, bis das Kleid mich umzüngelt wie Flammen. Die Menge jubelt. Als ich stehen bleibe, greife ich nach Caesars Arm.
»Nicht aufhören!«, sagt er.
»Ich muss, mir ist schwindlig!« Ich kichere sogar, was ich vielleicht noch nie in meinem Leben getan habe. Aber das Lampenfieber und das Gedrehe zeigen ihre Wirkung.
Caesar legt beschützend den Arm um mich. »Keine Sorge, ich halte dich fest. Ich kann doch nicht zulassen, dass du in die Fußstapfen deines Mentors trittst.«
Großes Gejohle, während die Kameras Haymitch suchen, der mit seinem Hechtsprung von der Bühne Berühmtheit erlangt hat. Er winkt gutmütig ab und zeigt zurück auf mich.
»Keine Sorge«, versichert Caesar der Menge. »Bei mir ist sie in Sicherheit. So, jetzt zu deiner Trainingsbewertung. Elfi, verrat uns doch mal, was da drinnen passiert ist.«
Ich werfe den Spielmachern auf dem Balkon einen kurzen Blick zu und beiße mir auf die Lippe. »Ähm … ich kann nur sagen, dass es wohl eine Premiere gewesen sein dürfte.«
Die Kameras halten auf die Spielmacher, die kichern und nicken.
»Du spannst uns echt auf die Folter«, sagt Caesar, als ob er wirklich leiden würde. »Mehr Einzelheiten, wenn ich bitten darf.«
Ich wende mich zum Balkon. »Soll ich?«
Der Spielmacher, der in die Punschschale gefallen ist, ruft: »Um Gottes willen, nein.«
»Danke«, sage ich. »Tut mir leid. Meine Lippen sind versiegelt.«
»Dann lass uns zu dem Augenblick bei der Ernte zurückkehren, als der Name deiner Schwester ausgerufen wurde«, sagt Caesar. Er wirkt jetzt eher gedämpft. »Du hast dich freiwillig an ihrer statt gemeldet. Kannst du uns von ihr erzählen?«
Nein. Euch allen nicht. Aber Cinna vielleicht. Ich glaube nicht, dass ich mir die Traurigkeit auf seinem Gesicht nur einbilde. »Sie heißt Prim. Sie ist erst zwölf. Und ich liebe sie mehr als alles auf der Welt.«
Auf dem Zentralen Platz könnte man in diesem Moment eine Stecknadel fallen hören.
»Was hat sie hinterher zu dir gesagt?«, fragt Caesar.
Sei ehrlich. Sei ehrlich. Ich schlucke schwer. »Sie hat gesagt, ich soll unbedingt versuchen zu gewinnen.« Gebannt lauschen die Zuschauer auf jedes meiner Worte.
»Und was hast du geantwortet?«, hakt Caesar behutsam nach.
Aber statt Wärme spüre ich, wie eine eisige Starre meinen Körper überfällt. Meine Muskeln spannen sich an, wie beim Töten. Als ich spreche, klingt meine Stimme eine Oktave tiefer: »Ich habe es ihr geschworen.«
»Das glaube ich«, sagt Caesar und drückt mich. Das Signal ertönt. »Tut mir leid, unsere Zeit ist um. Viel Glück, Katniss Everdeen, Tribut aus Distrikt 12.«
Der Applaus ertönt noch lange, nachdem ich mich gesetzt habe. Ich suche Cinna, um mich zu beruhigen. Er hält unauffällig die Daumen hoch.
Während des ersten Teils von Peetas Interview bin ich noch völlig benommen. Trotzdem bekomme ich mit, dass er die Zuschauer von Anfang an auf seiner Seite hat; ich höre sie lachen und jubeln. Er spielt mit dem Bäckersohnimage und vergleicht die Tribute mit dem Brot aus ihrem jeweiligen Distrikt. Dann erzählt er eine Anekdote über die Gefahren, die in den Duschen des Kapitols lauern. »Sagen Sie, dufte ich immer noch nach Rosen?«, fragt er Caesar und dann beschnüffeln sie sich gegenseitig und reißen das Publikum zu Begeisterungsstürmen hin. Ich gerate noch einmal ins Blickfeld, als Caesar ihn fragt, ob er zu Hause eine Freundin hat.
Peeta zögert, dann schüttelt er nicht sehr überzeugend den Kopf.
»Ein hübscher Junge wie du. Es muss ein besonderes Mädchen geben. Komm schon, wie heißt sie?«, sagt Caesar.
Peeta seufzt. »Ja, es gibt da dieses eine Mädchen. Ich bin schon in sie verliebt, seit ich denken kann. Aber ich bin mir ziemlich sicher, dass sie bis zur Ernte nicht mal wusste, dass es mich gibt.«
Sympathiebekundungen aus der Menge. Unerwiderte Liebe, das können sie nachempfinden.
»Hat sie einen anderen?«, fragt Caesar.
»Ich weiß nicht, aber viele Jungs stehen auf sie«, sagt Peeta.
»Soll ich dir sagen, was du tun musst? Du gewinnst und kehrst nach Hause zurück. Dann kann sie dich nicht abblitzen lassen, was?«, sagt Caesar aufmunternd.
»Ich glaube, das wird nicht hinhauen. Gewinnen … das funktioniert nicht in meinem Fall«, sagt Peeta.
»Wieso nicht?«, fragt Caesar verblüfft.
Peeta wird rot wie eine Tomate und fängt an zu stottern: »Weil … weil … Wir sind zusammen hier.«
Teil 2
Die Spiele
10
Einen Augenblick lang halten die Kameras auf Peetas bekümmerte Augen, während seine Worte auf mich wirken. Dann sehe ich mein Gesicht, der Mund halb geöffnet in einer Mischung aus Überraschung und Protest, riesengroß auf jedem Bildschirm, während mir klar wird: Mich! Er meint mich! Ich presse die Lippen zusammen, starre auf den Boden und hoffe, so die Gefühle zu verbergen, die in mir aufwallen.
»Oh, das ist wirklich verdammtes Pech«, sagt Caesar und er klingt ehrlich betrübt. Die Menge murmelt zustimmend, sogar ein paar entsetzte Rufe sind zu hören.
»Es ist nicht gut«, stimmt Peeta zu.
»Na, ich glaube, keiner kann es dir verdenken. Es dürfte schwer sein, sich nicht in diese junge Dame zu verlieben«, sagt Caesar. »Und sie hat nichts davon gewusst?«
Peeta schüttelt den Kopf. »Bis eben nicht.«
Ich erlaube mir einen kurzen Blick zum Bildschirm, nur so lange, um zu sehen, dass die Röte auf meinen Wangen unverkennbar ist.
»Würden Sie sie nicht auch zu gern noch einmal herholen, um ihre Erwiderung zu hören?«, fragt Caesar die Zuschauer. Die Menge schreit ihre Zustimmung. »Aber leider müssen wir uns an die Regeln halten und Katniss Everdeens Zeit ist vorbei.Nun, ich wünsche dir alles Gute, Peeta Mellark, und ich denke, ich spreche für ganz Panem, wenn ich sage, unsere Herzen sind bei dir.«
Das Getöse der Menge ist ohrenbetäubend. Mit seiner Liebeserklärung an mich hat Peeta uns andere allesamt weggewischt. Als sich die Zuschauer endlich wieder beruhigt haben, bringt er ein leises »Danke« hervor und kehrt an seinen Platz zurück. Wir erheben uns für die Hymne. Um den erforderlichen Respekt zu bezeugen, muss ich den Kopf heben und so darf ich mit ansehen, wie alle Bildschirme Peeta und mich zeigen, durch wenige Schritte voneinander getrennt, die in den Köpfen der Zuschauer niemals überbrückt werden können. Ein tragisches Paar.
Aber ich weiß es besser.
Nach der Hymne gehen die Tribute im Gänsemarsch zurück ins Foyer des Trainingscenters und zu den Aufzügen. Ich sorge dafür, dass ich mit einem anderen Aufzug fahre als Peeta. Die Menge hält unser Gefolge von Stylisten, Mentoren und Anstandsdamen auf, sodass wir nur einander als Gesellschaft haben. Keiner sagt ein Wort. Mein Aufzug lädt nacheinander vier Tribute ab, dann bin ich allein und die Türen öffnen sich im zwölften Stock. Peeta ist gerade aus seinem Aufzug gekommen, da stürze ich mich schon auf ihn und schubse ihn kräftig gegen die Brust. Er verliert das Gleichgewicht und fällt gegen einen hässlichen Kübel mit künstlichen Blumen. Der Kübel kippt um und zerbricht in tausend Stücke. Peeta landet in den winzigen Scherben, sofort fließt Blut aus seinen Händen.