»Wofür war das denn?«, fragt er entgeistert.
»Dazu hattest du kein Recht! So was über mich zu sagen!«, schreie ich ihn an.
Die Aufzugtüren öffnen sich wieder und jetzt kommt die ganze Crew heraus, Effie, Haymitch, Cinna und Portia.
»Was ist hier los?«, fragt Effie mit leicht hysterischer Stimme. »Bist du gestürzt?«
»Ja, weil sie mich geschubst hat«, sagt Peeta, während Effie und Cinna ihm aufhelfen.
Haymitch wendet sich an mich. »Geschubst?«
»Das war Ihre Idee, oder? Dass ich vor dem ganzen Land dastehe wie eine Idiotin?«, erwidere ich.
»Es war meine Idee«, sagt Peeta und zuckt zusammen, als er sich die Keramiksplitter aus den Handflächen zieht. »Haymitch hat mir nur dabei geholfen.«
»Ja, Haymitch ist sehr hilfreich. Dir!«, sage ich.
»Du bist wirklich eine Idiotin«, sagt Haymitch empört. »Du denkst also, er hat dich gekränkt? Katniss, der Junge hat dir gerade zu etwas verholfen, das du allein nie und nimmer erreicht hättest.«
»Er hat mich schwach aussehen lassen!«, sage ich.
»Er hat dich begehrenswert aussehen lassen! Blicken wir den Tatsachen doch einmal ins Auge; was das angeht, kannst du jede Hilfe brauchen. Bis er sagte, dass er dich will, warst du so romantisch wie Dreck. Jetzt wollen sie dich alle. Alle reden nur von dir. Die beiden Liebenden aus Distrikt 12, die nicht zusammenkommen können!«, sagt Haymitch.
»Das sind wir aber nicht!«, sage ich.
Haymitch packt mich an den Schultern und drückt mich gegen die Wand. »Na und? Das hier ist alles nur eine riesige Show.
Es geht nur darum, wie du wahrgenommen wirst. Nach deinem Interview hätte ich über dich höchstens sagen können, dass du ganz nett bist, obwohl das an sich schon ein kleines Wunder war. Jetzt kann ich sagen, du bist eine Herzensbrecherin. Oh, oh, oh, was werden die Jungs zu Hause dir schmachtend zu Füßen sinken. Was meinst du, was dir mehr Sponsoren bringt?«
Von dem Weingestank aus seinem Mund wird mir übel. Ich schiebe seine Hände von meinen Schultern, trete einen Schritt zur Seite und versuche Klarheit in meine Gedanken zu bekommen.
Cinna kommt zu mir und legt einen Arm um mich. »Er hat recht, Katniss.«
Ich weiß nicht, was ich denken soll. »Sie hätten mich wenigstens vorher einweihen sollen, damit ich nicht so dumm dastehe.«
»Nein, deine Reaktion war genau richtig. Wenn du davon gewusst hättest, hätte es nicht echt ausgesehen«, sagt Portia.
»Sie macht sich nur Sorgen wegen ihres Freundes«, sagt Peeta schroff und wirft eine blutige Scherbe weg.
Beim Gedanken an Gale brennen meine Wangen erneut. »Ich habe keinen Freund.«
»Egal«, sagt Peeta. »Aber ich wette, er ist pfiffig genug, einen Bluff zu erkennen. Abgesehen davon hast du ja auch nicht gesagt, du würdest mich lieben. Also, was soll’s?«
Ich lasse die Worte wirken. Mein Ärger verraucht. Einerseits denke ich, dass ich benutzt worden bin, andererseits sehe ich es als Chance. Haymitch hat recht. Ich habe mein Interview überlebt, aber was war ich da schon? Ein albernes Mädchen, das sich in einem glitzernden Kleid dreht. Kichernd. Nur einmal hatte ich wirklich etwas zu sagen, nämlich als ich von Prim erzählt habe. Verglichen mit Thresh und seiner ruhigen, gefährlichen Kraft bin ich ein Nichts. Ein albernes, funkelndes Nichts. Halt, nicht ganz, da ist ja immerhin noch die Elf aus dem Training.
Aber jetzt hat Peeta mich zum Objekt seiner Liebe gemacht. Und nicht nur seiner. Er hat gesagt, ich hätte viele Verehrer. Und wenn die Zuschauer wirklich denken, wir wären verliebt … Mir fällt ein, wie stark sie auf dieses Geständnis reagiert haben. Das tragische Liebespaar. Haymitch hat recht, im Kapitol gieren sie nach so was. Plötzlich mache ich mir Sorgen, ob ich richtig reagiert habe.
»Nachdem er gesagt hat, dass er mich liebt, habt ihr da gedacht, ich könnte auch in ihn verliebt sein?«, frage ich.
»Ich ja«, sagt Portia. »Die Art, wie du vermieden hast, in die Kameras zu schauen, das Erröten.«
Die anderen pflichten ihr bei.
»Du bist ein Glückskind, Süße. Die Sponsoren werden Schlange stehen für dich«, sagt Haymitch.
Jetzt schäme ich mich wegen meiner Reaktion. Ich zwinge mich dazu, es vor Peeta einzugestehen. »Entschuldige, dass ich dich geschubst habe.«
»Macht nichts«, sagt er achselzuckend. »Obwohl es eigentlich nicht statthaft ist.«
»Wie geht’s deinen Händen?«, frage ich.
»Wird schon wieder«, sagt er.
In der Stille, die folgt, wehen köstliche Düfte aus dem Speiseraum zu uns herüber. »Kommt, lasst uns zu Abend essen«, sagt Haymitch. Wir folgen ihm und setzen uns an den Tisch. Aber Peeta blutet doch zu stark und Portia führt ihn hinaus, damit er behandelt wird. Wir anderen machen uns über die Rosenblüten-Cremesuppe her. Als wir fertig sind, kommen die beiden zurück. Peetas Hände sind verbunden. Jetzt habe ich natürlich ein schlechtes Gewissen. Morgen gehen wir in die Arena. Er hat mir einen Gefallen getan und ich habe ihm eine Verletzung eingebrockt. Muss ich ihm eigentlich immer etwas schuldig sein?
Nach dem Abendessen sehen wir uns im Salon die Wiederholung an. Ich finde mich aufgeputzt und oberflächlich, wie ich mich kichernd in meinem Kleid drehe, obwohl die anderen mir versichern, ich sei charmant. Peeta ist wirklich charmant und als verliebter Junge schließlich umwerfend. Und da bin ich, errötend und verwirrt, von Cinna schön gemacht, begehrenswert durch Peetas Geständnis, tragisch durch die Umstände und, nach allem, was man hört, unvergesslich.
Als die Hymne zu Ende ist und der Bildschirm sich verdunkelt, wird es still im Zimmer. Morgen bei Sonnenaufgang werden wir geweckt und für die Arena vorbereitet. Die eigentlichen Spiele beginnen erst um zehn, deshalb stehen viele Bewohner des Kapitols erst spät auf. Aber Peeta und ich müssen früh raus. Wir wissen nicht, wie weit es bis zu der Arena ist, die für die diesjährigen Spiele vorbereitet wurde.
Ich weiß nur, dass Haymitch und Effie uns nicht begleiten werden. Sie siedeln ins Hauptquartier der Spiele über, wo sie hoffentlich wie verrückt Sponsoren anwerben und eine Strategie ausarbeiten, wie und wann uns die Geschenke überreicht werden können. Cinna und Portia werden uns bis zu dem Punkt begleiten, an dem wir in die Arena geworfen werden. Doch vorher müssen wir uns noch endgültig voneinander verabschieden.
Effie nimmt uns beide bei der Hand und mit echten Tränen in den Augen wünscht sie uns alles Gute. Dankt uns dafür, dass wir die besten Tribute waren, die sie je sponsern durfte. Und dann, weil Effie eben Effie ist und offenbar nicht anders kann, als etwas Schreckliches zu sagen, fügt sie hinzu: »Es würde mich gar nicht wundern, wenn ich nächstes Jahr endlich einen annehmbaren Distrikt zugeteilt bekäme!«
Dann küsst sie uns auf die Wange und eilt hinaus, überwältigt von dem aufwühlenden Abschied oder vielleicht auch nur von der möglichen Beförderung.
Haymitch verschränkt die Arme und mustert uns.
»Noch einen letzten Tipp?«, fragt Peeta.
»Wenn der Gong ertönt, macht, dass ihr da wegkommt. Dem Gemetzel am Füllhorn seid ihr zwei nicht gewachsen. Haut einfach ab, legt so viel Strecke wie möglich zwischen euch und die anderen und sucht eine Wasserquelle. Kapiert?«
»Und danach?«, frage ich.
»Am Leben bleiben«, sagt Haymitch. Den gleichen Rat hat er uns schon im Zug gegeben, aber diesmal ist er nicht betrunken und er lacht auch nicht. Und wir nicken bloß. Was wäre dem noch hinzuzufügen?