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Als ich in mein Zimmer gehe, bleibt Peeta noch, um sich mit Portia zu unterhalten. Zum Glück. Die merkwürdigen Abschiedsworte, die wir austauschen werden, können bis morgen warten. Meine Bettdecke ist aufgeschlagen, aber von dem rothaarigen Avoxmädchen ist nichts zu sehen. Ich wüsste gern ihren Namen. Ich hätte sie fragen sollen. Vielleicht hätte sie ihn aufschreiben können. Oder darstellen. Aber vielleicht hätte ihr das nur eine Strafe eingebracht.

Ich stelle mich unter die Dusche und schrubbe Goldfarbe, Make-up, den Duft der Schönheit von meinem Körper. Alles, was von den Bemühungen des Vorbereitungsteams übrig bleibt, sind die Flammen auf meinen Nägeln. Ich beschließe, sie zu behalten, als Erinnerung daran, wer ich für das Publikum bin. Katniss - das Mädchen, das in Flammen stand. Vielleicht gibt es mir etwas, woran ich mich in den kommenden Tagen festhalten kann.

Ich ziehe ein dickes, kuscheliges Nachthemd an und steige ins Bett. Nach ungefähr fünf Sekunden ist mir klar, dass ich nie und nimmer einschlafen werde. Dabei brauche ich unbedingt Schlaf, denn in der Arena wird jede Sekunde, die ich der Müdigkeit nachgebe, eine Einladung an den Tod sein.

Es nützt nichts. Eine Stunde, zwei, drei vergehen, aber meine Lider wollen einfach nicht schwer werden. Die ganze Zeit denke ich darüber nach, in welchem Gelände sie uns aussetzen werden. Wüste? Sumpf? Eisiges Ödland? Vor allem hoffe ich auf Bäume, die mir ein Versteck, Nahrung und Schutz bieten können. Bäume gibt es oft, denn karge Landschaften sind langweilig und die Spiele dann auch zu schnell vorbei. Aber wie wird das Klima sein? Welche geheimen Fallen haben die Spielmacher aufgebaut, damit keine Langeweile entsteht? Und dann sind da noch die anderen Tribute …

Je mehr ich einzuschlafen versuche, desto unmöglicher wird es. Schließlich bin ich so unruhig, dass ich nicht im Bett bleiben kann. Ich gehe auf und ab, mein Herz rast, mein Atem geht schnell. Mein Zimmer kommt mir vor wie eine Gefängniszelle. Wenn ich nicht bald an die frische Luft komme, werfe ich wieder Sachen durch die Gegend. Ich renne den Flur entlang bis zu der Tür zum Dach. Sie ist nicht nur unverschlossen, sondern sogar bloß angelehnt. Vielleicht hat jemand vergessen, sie zuzumachen, aber das ist egal. Das Energiefeld rings ums Dach verhindert jeden verzweifelten Fluchtversuch. Und ich will ja gar nicht fliehen, nur meine Lunge mit Luft füllen. Ich will den Himmel sehen und den Mond, in der letzten Nacht, in der niemand mich jagt.

Das Dach ist nachts nicht beleuchtet, doch als ich mit nackten Füßen die Steinplatten betrete, sehe ich sofort seine Silhouette, schwarz gegen die nie verlöschenden Lichter des Kapitols. Unten auf den Straßen ist noch einiges los, Musik und Gesang und Autohupen; von alldem habe ich durch die dicken Fensterscheiben in meinem Zimmer nichts mitbekommen. Ich könnte wieder zurückhuschen, ohne mich zu erkennen zu geben; bei dem Lärm würde er mich nicht hören. Aber die Nachduft ist so mild, dass ich es nicht ertrage, in meinen stickigen Käfig zurückzukehren. Und was macht es schon aus? Ob wir miteinander reden oder nicht?

Meine Füße bewegen sich geräuschlos über die Platten. Als ich nur noch einen Meter hinter ihm bin, sage ich: »Du solltest ein bisschen schlafen.«

Er zuckt zusammen, dreht sich aber nicht um. Ich sehe, wie er leise den Kopf schüttelt. »Ich wollte die Party nicht versäumen. Immerhin gilt sie uns.«

Ich stelle mich neben ihn und lehne mich über das Geländer. Die breiten Straßen sind voller tanzender Menschen. Ich versuche, die winzigen Gestalten genauer zu betrachten. »Sind die verkleidet, oder was?«

»Wie soll man das erkennen?«, antwortet Peeta. »Bei den verrückten Sachen, die sie hier tragen. Konntest du auch nicht schlafen?«

»Konnte die Gedanken nicht abstellen«, sage ich.

»Hast du an deine Familie gedacht?«, fragt er.

»Nein«, gebe ich ein bisschen schuldbewusst zu. »Ich muss die ganze Zeit an morgen denken. Was natürlich sinnlos ist.« Im Licht von unten kann ich jetzt sein Gesicht sehen, wie unbeholfen er die bandagierten Hände hält. »Tut mir wirklich leid wegen deiner Hände.«

»Spielt keine Rolle, Katniss«, sagt er. »Ich war sowieso nie ein Anwärter auf den Sieg bei diesen Spielen.«

»So darfst du nicht denken«, sage ich.

»Und warum nicht? Es ist die Wahrheit. Ich kann nur hoffen, dass ich mich nicht blamiere, und …«Er zögert. »Und was?«, sage ich.

»Ich weiß nicht, wie ich es ausdrücken soll. Nur … Ich möchte als ich selbst sterben. Verstehst du, was ich meine?«, fragt er. Ich schüttele den Kopf. Als was sollte er sonst sterben, wenn nicht als er selbst? »Ich möchte nicht, dass sie mich da drin verändern. Mich in eine Art Monster verwandeln, das ich nicht bin.«

Ich beiße mir auf die Lippe, weil ich mich so klein fühle. Während ich darüber nachgrübele, ob es wohl Bäume geben wird, kämpft Peeta darum, seine Identität zu wahren. Sein reines Ich. »Heißt das, du wirst niemanden töten?«, frage ich.

»Nein, wenn die Zeit kommt, werde ich sicherlich töten wie die anderen auch. Ich kann nicht kampflos untergehen. Ich wünsche mir nur, mir würde etwas einfallen, wie … wie ich dem Kapitol zeigen kann, dass sie mich nicht besitzen. Dass ich mehr bin als eine Figur in ihren Spielen«, sagt Peeta.

»Aber das bist du nicht«, erwidere ich. »Keiner von uns. So funktionieren die Spiele.«

»Okay, aber abgesehen von dem System bist da immer noch du, bin da ich«, beharrt er. »Begreifst du das nicht?«

»Ein bisschen. Nur … Sei nicht beleidigt, aber wen kümmert das, Peeta?«, sage ich.

»Mich. Ich meine, was soll mich jetzt sonst noch kümmern?«, fragt er aufgebracht. Er starrt mich mit seinen blauen Augen an, er will eine Antwort.

Ich weiche einen Schritt zurück. »Kümmere dich um das, was Haymitch gesagt hat. Dass wir am Leben bleiben sollen.«

Peeta lächelt mich traurig und spöttisch an. »Okay. Danke für den Tipp, Süße.«

Es ist wie ein Schlag ins Gesicht. Dass er Haymitchs herablassenden Kosenamen benutzt. »Hör zu, wenn du die letzten Stunden deines Lebens damit verbringen möchtest, einen edlen Tod in der Arena zu planen, bitte sehr, das musst du selber wissen. Ich für meinen Teil möchte meine in Distrikt 12 verbringen.«

»Würde mich nicht überraschen, wenn’s so wäre«, sagt Peeta. »Grüß meine Mutter, wenn du es nach Hause schaffst, ja?«

»Kannst dich drauf verlassen«, sage ich. Dann drehe ich mich um und gehe hinein.

Den Rest der Nacht verbringe ich in einem mehr oder weniger tiefen Halbschlaf, während ich mir überlege, was für beißende Bemerkungen ich Peeta Mellark morgen an den Kopf werfen werde. Peeta Mellark. Wir werden sehen, ob er auch noch so hochmütig ist, wenn es um Leben oder Tod geht. Wahrscheinlich wird er sich in einen dieser rasenden Tribute verwandeln, die versuchen, das Herz der Leute zu essen, die sie getötet haben. Vor ein paar Jahren hat es mal so einen Jungen aus Distrikt 6 gegeben, Titus hieß er. Er war vollkommen durchgeknallt und die Spielmacher mussten ihn mit Elektroschockwaffen betäuben, um die Körper der Spieler zu bergen, die er getötet hatte - er hätte sie sonst aufgegessen. In der Arena gibt es zwar keine Regeln, aber Kannibalismus kommt bei den Zuschauern im Kapitol nicht besonders gut an, also haben sie versucht, ihn zu unterbinden. Es wurde gemutmaßt, dass die Lawine, die Titus schließlich ausschaltete, eigens ausgelöst worden war, damit nicht womöglich ein Wahnsinniger als Sieger übrig blieb.

Am nächsten Morgen sehe ich Peeta nicht. Cinna kommt vor Morgengrauen zu mir, gibt mir ein schlichtes Hemd, das ich anziehen soll, und führt mich aufs Dach. Das endgültige Ankleiden und die Vorbereitung finden in den Katakomben unter der Arena statt. Ein Hovercraft taucht aus dem Nichts auf, wie damals in den Wäldern, als ich zusah, wie das rothaarige Mädchen gefangen wurde, und eine Leiter wird heruntergelassen. Ich platziere Hände und Füße auf den unteren Sprossen und komme mir sofort vor, als wäre ich festgefroren. Eine Art Strom lässt mich an der Leiter haften, während ich sicher nach oben befördert werde.