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Es ist ein wohlbedachtes Erscheinungsbild. Cinna überlässt bei seinen Entwürfen nichts dem Zufall. Ich beiße mir auf die Lippen, während ich versuche, hinter seine Beweggründe zu kommen.

»Ich hätte etwas … Raffinierteres erwartet«, sage ich.

»Ich dachte mir, Peeta würde das hier besser gefallen«, antwortet er vorsichtig.

Peeta? Hier geht es doch nicht um Peeta. Hier geht es um das Kapitol und die Spielmacher und die Zuschauer. Obwohl ich Cinnas Konzept noch nicht durchschaue, erinnert es mich daran, dass die Spiele noch nicht zu Ende sind. Und aus seiner harmlosen Antwort meine ich eine Warnung herauszuhören. Vor etwas, das er nicht einmal gegenüber seinem eigenen Team ansprechen darf.

Wir fahren mit dem Aufzug hinunter auf die Ebene, wo damals das Training stattfand. Es ist üblich, dass die Sieger mit dem Team aus dem Bühnenboden auftauchen. Erst das Vorbereitungsteam, dann die Betreuerin, der Stylist, der Mentor und schließlich der Sieger. Da es in diesem Jahr zwei Sieger mit derselben Betreuerin und demselben Mentor gibt, mussten sie sich etwas anderes einfallen lassen. Wir befinden uns in einem spärlich beleuchteten Areal unterhalb der Bühne. Eine brandneue Metallplatte wurde installiert, um mich hochzufahren. Man sieht noch die kleinen Sägemehlhaufen, riecht die frische Farbe. Cinna und das Vorbereitungsteam ziehen sich zurück, um die eigenen Kostüme anzulegen und ihre Positionen einzunehmen, und ich bleibe allein. In der Dunkelheit sehe ich etwa zehn Meter entfernt eine Behelfswand, hinter der ich Peeta vermute.

Das Lärmen der Menge ist so laut, dass ich Haymitch erst bemerke, als er mich an der Schulter berührt. Vor Schreck mache ich einen Satz. Irgendwie bin ich wohl immer noch halb in der Arena.

»Keine Panik, ich bin’s nur. Lass dich mal anschauen«, sagt Haymitch. Ich strecke die Arme aus und drehe mich einmal. »Nicht übel.«

Kein besonders tolles Kompliment. »Aber?«, sage ich.

Haymitchs Blick mustert den muffigen Raum und er scheint einen Entschluss zu fassen. »Nichts aber. Wie wär’s mit einmal Drücken und Glückwünschen?«

Eine solche Bitte ist zwar ungewöhnlich für Haymitch, aber immerhin sind wir Sieger. Vielleicht ist einmal Drücken in Ordnung. Doch als ich ihm die Arme um den Hals lege, lässt er mich plötzlich nicht mehr los. Während meine Haare seine Lippen verdecken, flüstert er mir sehr schnell und ganz leise ins Ohr.

»Hör zu. Du bist in Schwierigkeiten. Es heißt, im Kapitol sind sie außer sich, weil du sie in der Arena vorgeführt hast. Sie können es nicht ausstehen, wenn sie ausgelacht werden, und jetzt macht sich ganz Panem über sie lustig«, sagt Haymitch.

Obwohl mich großer Schrecken packt, lache ich, als hätte Haymitch etwas Witziges gesagt, denn mein Mund ist für die Kameras gut sichtbar. »Und weiter?«

»Du hast nur eine einzige Verteidigungsstrategie, nämlich dass du so total verliebt warst, dass du nicht wusstest, was du tatest.« Haymitch gibt mich frei und rückt mein Haarband zurecht. »Alles klar, Süße?« Das könnte sich auf alles Mögliche beziehen.

»Alles klar«, sage ich. »Hast du Peeta das auch gesagt?« »Muss ich gar nicht«, sagt Haymitch. »Er macht das ganz von allein.«

»Und ich nicht, oder was?«, sage ich und nutze die Gelegenheit, die knallrote Fliege zurechtzurücken, die Cinna ihm aufgenötigt haben muss.

»Seit wann ist es wichtig, was ich denke?«, sagt Haymitch. »Lass uns jetzt unsere Plätze einnehmen.« Er führt mich auf die Metallscheibe. »Das ist dein Abend, Süße. Genieß ihn.« Er küsst mich auf die Stirn und verschwindet in der Dunkelheit.

Ich ziehe an meinem Kleid und wünsche mir, es wäre länger, damit meine schlotternden Knie bedeckt wären. Irgendwann gebe ich es auf. Ich zittere am ganzen Körper wie Espenlaub. Hoffentlich wird es nur dem Lampenfieber zugeschrieben. Schließlich ist es mein Abend.

Der dumpfe Modergeruch unter der Bühne nimmt mir den Atem. Feuchtkalter Schweiß rinnt mir von der Stirn und ich werde das Gefühl nicht los, dass jeden Augenblick die Bohlen über mir einstürzen und ich lebendig unter den Trümmern begraben werde. Als ich die Arena verließ, als die Fanfaren erschollen, da dachte ich, ich wäre gerettet. Von jenem Augenblick an. Für den Rest meines Lebens. Aber wenn es stimmt, was Haymitch sagt, und warum sollte er lügen, dann war ich noch nie im Leben an einem gefährlicheren Ort.

Das hier ist viel schlimmer, als in der Arena gejagt zu werden. Dort konnte ich sterben und Schluss. Ende der Geschichte. Aber hier könnten Prim, meine Mutter, Gale, die Leute aus Distrikt 12, alle, die mir etwas bedeuten, bestraft werden, falls ich die Komödie von dem liebestollen Mädchen nicht überzeugend spiele, die Haymitch mir so eindringlich ans Herz gelegt hat.

Ich habe also noch eine Chance. Komisch, als ich in der Arena die Beeren hervorholte, dachte ich nur daran, wie ich die Spielmacher überliste, nicht, wie meine Handlungen im Kapitol ankommen würden. Aber die Hungerspiele sind ihre Waffe und keiner soll sie schlagen können. Im Kapitol werden sie nun also so tun, als hätten sie die ganze Zeit alles im Griff gehabt. Als hätten sie das ganze Ereignis gesteuert, bis hin zu dem doppelten Selbstmord. Und das funktioniert natürlich nur, wenn ich mitspiele.

Und Peeta … Wenn es schiefgeht, wird auch Peeta darunter leiden. Aber was hat Haymitch gesagt, als ich ihn fragte, ob er Peeta die Lage ebenfalls erklärt habe? Damit Peeta versteht, dass er unbedingt so tun muss, als wäre er hoffnungslos in mich verliebt?

»Muss ich gar nicht. Er macht das ganz von allein.«

Was soll das heißen? Dass er mir im Mitdenken wieder mal voraus ist? Und begreift, in welcher Gefahr wir uns befinden? Oder … dass er bereits hoffnungslos verliebt ist? Ich weiß es nicht. Ich habe noch nicht mal angefangen, meine Gefühle für Peeta zu sortieren. Es ist zu kompliziert. Was ich im Rahmen der Spiele getan habe. Im Gegensatz zu dem, was ich aus Wut auf das Kapitol getan habe. Oder weil es auf die Leute in Distrikt 12 wirken sollte. Oder einfach deshalb, weil es das einzig Vernünftige war. Oder was ich getan habe, weil Peeta mir wichtig war.

All diese Fragen werde ich zu Hause entwirren müssen, in der friedlichen Stille des Waldes, wo niemand zusieht. Bestimmt nicht hier, wo aller Augen auf mich gerichtet sind. Ein Luxus, den ich noch lange nicht genießen werde. Denn jetzt beginnt der gefährlichste Teil der ganzen Hungerspiele.

27

Die Hymne dröhnt in meinen Ohren, dann höre ich, wie Caesar Flickerman die Zuschauer begrüßt. Ob er weiß, wie wichtig es ist, von jetzt an jedes Wort richtig zu wählen? Bestimmt. Ganz sicher wird er uns helfen wollen. Die Menge applaudiert, als die Vorbereitungsteams präsentiert werden. Ich stelle mir vor, wie Flavius, Venia und Octavia herumspringen und lächerliche Verbeugungen machen. Todsicher haben sie keine Ahnung. Dann hat Effie ihren Auftritt. Wie lange hat sie wohl auf diesen Augenblick gewartet? Ich hoffe, sie kann ihn genießen, denn so töricht Effie sein kann, für bestimmte Dinge hat sie einen sicheren Instinkt; sie muss zumindest einen Verdacht haben, dass wir in Schwierigkeiten sind. Portia und Cinna ernten riesigen Jubel - verdientermaßen, denn sie waren genial, ein umwerfendes Debüt. Jetzt verstehe ich, warum Cinna sich für dieses Kleid entschieden hat. Ich soll so mädchenhaft und unschuldig wie möglich wirken. Als Haymitch erscheint, bricht ein Getrampel los, das mindestens fünf Minuten anhält. Immerhin hat er eine Premiere vorzuweisen. Er hat nicht nur einen, sondern zwei Tribute durchgebracht. Was wäre, wenn er mich nicht rechtzeitig gewarnt hätte? Würde ich mich anders verhalten? Die Sache mit den Beeren an die große Glocke hängen, auf Kosten des Kapitols? Nein, ich glaube nicht. Aber gut möglich, dass ich längst nicht so überzeugend wäre, wie ich jetzt sein muss. Jetzt und hier. Denn in diesem Augenblick hebt mich die Scheibe auf die Bühne.