Als ich zur Tür ging, sagte er noch: „Ich werde eine Möglichkeit finden.“
Ich blieb auf der Schwelle stehen.
„Sie“, sagte ich, „und der Fliegende Holländer.“
Ich schloß die Tür sehr sanft hinter mir.
2
Episoden und Fragmente, Zeitscherben und Bruchstücke. Wie …
„Du machst keine Witze?“
„Ich fürchte, nein.“
„Ich würde sagen, der Grund ist nur allzu offensichtlich“, sagte sie. Sie wich mit weit aufgerissenen Augen zu der Tür zurück, durch die wir gerade gekommen waren.
„Nun, was auch immer passiert sein mag, es ist geschehen. Wir räumen nur auf und …“
Sie öffnete die Tür, ihr langes, liebliches Haar tanzte, als sie wild den Kopf schüttelte.
„Weißt du, ich muß das alles erst noch einmal überdenken“, sagte sie, womit sie in den Korridor hinausging.
„Ach, komm schon, Ginny. Das ist doch nichts Ernstes.“
„Wie schon gesagt, ich denke darüber nach.“
Sie schloß die Tür langsam.
„Soll ich dich später anrufen?“
„Ich glaube nicht.“
„Morgen?“
„Ich sag’ dir was, ich werde dich anrufen.“
Klick.
Teufel. Sie hätte sie ebensogut zuschlagen können. Ende von Phase eins meiner Suche nach einem neuen Zimmergefährten. Hal Sidmore, der das Apartment einige Zeit mit mir geteilt hatte, hatte vor einigen Monaten geheiratet. Er fehlte mir, denn er war ein guter Kumpel gewesen, ein ausgezeichneter Schachspieler, ein exzellenter Stadtkenner sowie ein wahrer Tausendsassa, was unzählige andere Kleinigkeiten anbelangte. Ich wollte jemand anders als nächsten Zimmergefährten haben. Ich hatte geglaubt, diese undefinierbare Qualität in Ginny gefunden zu haben, damals, spät in der Nacht, als ich den Funkturm hinter dem Pi-Phi-Haus erklettert hatte, wo sie in ihrer Wohnung im dritten Stock ihrer Hausarbeit nachgegangen war. Danach waren die Dinge etwas ins Schwimmen gekommen. Ich hatte sie am Boden getroffen, danach hatten wir einen Monat viele Dinge gemeinsam getan; ich hatte sie gerade soweit gehabt, einen Wohnungswechsel für das kommende Semester ins Auge zu fassen. Und nun das.
„Verdammt!“ rief ich, wobei ich einen Ordner wegkickte, der vom Regal zu Boden gefallen war. Zwecklos, jetzt hinter ihr herzulaufen. Nur immer mit der Ruhe. Laß sie alles überdenken. Rede morgen noch einmal mit ihr.
Irgend jemand hatte meine Wohnung buchstäblich verwüstet, hatte rein alles durchwühlt. Man hatte sogar die Möbel verrückt und die Kissenbezüge abgezogen. Ich seufzte, als ich es bemerkte. Schlimmer als am Morgen nach der wildesten Party. Was für eine verdammte Zeit, einzubrechen und zu plündern. Ich war zwar nicht der beste Nachbar, aber ich war auch nicht der schlechteste. So etwas war mir zuvor noch niemals zugestoßen. Und nun, als es geschah, da mußte es zum allerfalschesten Zeitpunkt geschehen; woraufhin meine arme, erschrockene Gefährtin schnurstracks das Weite suchte. Und zudem – etwas mußte ja wohl fehlen.
Ich bewahrte etwas Kleingeld in der obersten Schublade meines Schreibtisches im Schlafzimmer auf. Einen größeren Betrag hatte ich in einem Stiefel verborgen, der in einer Ecke stand. Ich hoffte, der Vandale hatte sich mit dem Geld in der Schublade begnügt. Denn das Geld war ja sicher der Hauptgrund für dies alles.
Ich ging nachsehen.
Mein Schlafzimmer befand sich in einem besseren Zustand als mein Wohnzimmer, aber es hatte auch sein Teil abbekommen. Das Bettzeug war herausgerissen und die Matratze aufgeschlitzt. Zwei der Aktenordner waren offen, aber unberührt. Ich ging zum Schreibtisch und öffnete die oberste Schublade.
Alles war an seinem Platz, sogar das Geld. Ich ging in die Ecke zu meinem Stiefel; auch dieses Bargeld war noch da, wo ich es verborgen hatte.
„Hier ist Besuch für Sie. Und nun geben Sie es her“, sagte eine vertraute Stimme hinter mir, die ich in diesem Zusammenhang aber nicht einordnen konnte.
Ich wandte mich um und sah Paul Byler, Professor der Geologie, der eben aus meinem Wandschrank herauskam. Seine Hände waren leer, aber er benötigte auch keine Waffe, um furchteinflößend auszusehen. Er war zwar nicht groß, aber dafür kräftig gebaut, seine Muskelberge hatten mir immer imponiert. Er war Australier; seine Laufbahn hatte als Bergbauingenieur begonnen, mit harter Arbeit, später hatte er dann in Geologie und Physik abgeschlossen und ein Lehramt bekommen.
Aber ich war mit diesem Mann immer bestens ausgekommen, sogar nachdem ich Geologie als Hauptfach wieder aufgegeben hatte. Ich kannte ihn schon seit mehreren Jahren. Ich hatte ihn schon seit mehreren Wochen nicht mehr gesehen, da er Urlaub machte. Ich hatte nicht gewußt, daß er überhaupt in der Stadt war.
Daher: „Paul, was ist denn los?“ fragte ich. „Sagen Sie mir bloß nicht, Sie hätten das alles angerichtet.“
„Der Stiefel, Fred. Geben Sie mir einfach den Stiefel.“
„Wenn Sie knapp bei Kasse sind – ich leihe Ihnen gerne was Sie brauchen …“
„Den Stiefel!“
Ich gab ihn ihm. Ich stand da, während er mit der Hand hineinfuhr und das Geldbündel herausholte. Er schnaufte, dann warf er mir beides wieder zu. Ich ließ alles fallen, denn er hatte mich in der Magengrube erwischt.
Bevor ich auch nur den kürzesten Fluch ausstoßen konnte, hatte er mich auch schon an den Schultern gepackt, zerrte mich herum und ließ mich dann in den Sessel beim Fenster fallen, wo die Vorhänge sanft im Wind wehten.
„Ich will Ihr Geld nicht, Fred“, sagte er, wobei er mich anstarrte. „Ich möchte nur etwas, das Sie haben und das mir gehört. Und nun geben Sie mir besser eine ehrliche Antwort. Wissen Sie, wovon ich spreche, oder nicht?“
„Ich habe keinen blassen Schimmer“, antwortete ich. „Ich habe nichts von Ihnen. Sie hätten einfach anrufen – und mich danach fragen können. Und nicht hier hereinplatzen und …“
Er schlug mich. Nicht gerade hart, aber gerade energisch genug, um mich zum Schweigen zu bringen.
„Fred“, sagte er. „Schweigen Sie. Schweigen Sie und hören Sie mir zu. Antworten Sie, wenn ich Ihnen eine Frage stelle. Das ist alles. Sparen Sie sich Ihre Kommentare für später. Ich bin in Eile. Ich weiß, daß Sie lügen, denn ich habe bereits mit Ihrem Ex-Zimmergefährten Hal gesprochen, und der sagte, Sie hätten es. Er hat es hiergelassen, als er auszog. Was ich suche, ist eines meiner Modelle des Sternsteins, das er nach einer Poker-Party in meinem Labor mitnahm. Erinnern Sie sich?“
„Ja“, sagte ich. „Wenn Sie mich einfach angerufen hätten und mich gefragt …“
Wieder schlug er mich. „Wo ist es?“
Ich schüttelte den Kopf, teilweise, weil es weh tat, teilweise als Verneinung.
„Ich … ich weiß es nicht“, sagte ich.
Er hob die Hand.
„Warten Sie! Ich kann alles erklären! Er hatte dieses Ding, das Sie ihm gaben, auf dem Schreibtisch, er benützte es als Briefbeschwerer. Ich bin sicher, er hat es mitgenommen – zusammen mit seinem anderen Kram –, als er auszog. Ich habe es schon mehrere Monate nicht mehr gesehen. Da bin ich mir ganz sicher.“
„Nun, dann lügt einer von euch beiden“, sagte er. „Und Sie sind derjenige, den ich an der Hand habe.“
Wieder hob er die Hand, aber dieses Mal war ich vorbereitet. Ich duckte mich und trat ihm in den Unterleib.
Es war spektakulär. Fast der Mühe wert, stehenzubleiben und zuzusehen, da ich vorher noch nie jemandem in den Unterleib getreten hatte. Kalt und rational hätte ich ihm nun als nächstes ins Genick schlagen müssen, während er noch so gebeugt dastand, vorzugsweise mit dem Ellbogen. Aber ich war nicht in kalter und rationaler Stimmung.
Um der Wahrheit die Ehre zu geben, ich hatte Angst vor dem Mann, Angst davor, ihm nahe zu kommen. Da ich nur wenig Erfahrung mit in den Unterleib getretenen Personen hatte, wußte ich natürlich auch nicht, wann er sich wieder aufrichten und mir nachjagen würde.