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Er sah mich kommen. Er kletterte auf eine Erhöhung und sprang von dort zum nächsthöheren Stockwerk empor. Ich angelte nach einem Gerüst auf halber Höhe, umklammerte einen Balken, stemmte den linken Fuß dagegen und zog mich hoch, griff nach dem darüberliegenden Träger, zog mich weiter hoch. Als ich mich umsah, konnte ich gerade noch erkennen, wie er wieder ein Stockwerk höher kletterte, also wiederholte auch ich meine Prozedur.

Er war nirgends mehr zu sehen. Daß er noch weiter hochgestiegen war, konnte ich nur vermuten. Ich kletterte auf Verdacht.

Drei Stockwerke höher sah ich ihn erneut. Er saß auf einem behelfsmäßigen Bretterboden, der den Arbeitern, die zum Aufzug wollten, als Sammelstelle diente, und spähte auf mich herab. Wieder wurden seine Augen von dem seltsamen Leuchten erhellt.

Dann eine Bewegung!

Ich klammerte mich fest und hob eine Hand, um meinen Kopf zu schützen, aber das war unnötig.

Das Klappern, Scheppern, Klingeln und Rasseln der Kiste mit Nägeln, Schrauben und was auch immer, die er auf mich herabgeschüttet hatte, erreichte mich, verlor sich weiter unten, bis es endete / endete / endlich endete.

Ich sparte den Atem, den ich normalerweise für Flüche gebraucht hätte, zum Klettern. Kaum war die Luft rein, stieg ich wieder höher. Je höher ich kam, desto stärker zerrte der kalte Wind an mir. Als ich einmal kurz nach unten blickte, sah ich Gestalten auf dem noch immer erleuchteten Dach gegenüber, doch daß sie viel erkennen konnten, vermochte ich mir nicht vorzustellen.

Als ich die Plattform erreichte, von der aus ich bombardiert worden war, befand mein Gegner sich bereits zwei Stockwerke über mir; er schöpfte offensichtlich Atem. Das Aufspüren fiel mir mittlerweile leichter, denn die behelfsmäßig eingezogenen Stockwerke wurden immer seltener; ich befand mich inmitten gerader, klarer Linien, exakter Winkel und ansonsten offenen Raumes, ein Bauabschnitt, so spärlich und klassisch wie ein Theorem Euklids.

Der Wind wurde noch ein wenig kälter und stärker, als ich höher kletterte; die gelegentlichen Windstöße wurden zu einem konstanten Strom. Mit meinen Fingerspitzen konnte ich mittlerweile das konstante, rhythmische Schwingen der gesamten Struktur des Hochhausskelettes spüren. Die einzelnen, isolierten Geräusche der schlafenden Stadt sanken zu einem unterschwelligen Murmeln herab, zu einem Summen und Brummen, das sich schließlich ganz im Heulen des Windes verlor. Die Sterne und der Mond erhellten als einzige Lichtquellen die Struktur, auf der wir uns bewegten. Sämtliche Oberflächen waren trocken; mehr kann ein nächtlicher Kletterer wirklich nicht verlangen.

Ich kletterte verbissen weiter. Höher. Höher. Die beiden Stockwerke hoch, die uns voneinander trennten. Dann noch eines.

Auf der Etage über mir blieb er stehen und starrte herunter. Es gab kein höheres Stockwerk mehr. Wir hatten das Ende erreicht. Daher wartete er.

Ich blieb ebenfalls stehen und erwiderte den Blick.

„Einigen wir uns auf unentschieden?“ rief ich hoch. „Oder muß es unbedingt zum Letzten kommen?“

Keine Antwort. Auch keine Bewegung. Er stand einfach nur oben und beobachtete mich.

Ich umklammerte mit einer Hand die nächsthöhere Strebe.

Mein Kontrahent wurde kleiner. Er hatte sich zusammengekauert und die Muskeln gespannt. Als wollte er springen …

Verdammt! Wenn ich den obersten Stock erreichte, war ich mehrere Augenblicke lang wehrlos. Mein Kopf blieb ungeschützt, zudem hatte ich beim Klettern keine Hand zum Schutz frei.

Ja, diese Chance würde er mit Sicherheit nützen, herabzuspringen und mich anzugreifen.

„Ich glaube, du bluffst“, sagte ich. „Ich komme.“

Ich umklammerte den Träger fester …

Dann gingen mir plötzlich Gedanken durch den Kopf, die ich normalerweise überhaupt nicht kenne: Was ist, wenn du fällst?

Ich zögerte – es war aber auch eine zu dumme Angelegenheit. Wer dachte schon an so etwas? Natürlich wußte ich genau, daß ich fallen konnte. Das war mir schon mehrmals passiert, mit den unterschiedlichsten Resultaten. Aber natürlich macht man sich darüber nicht bewußt Gedanken bei solchen Aktivitäten.

Es ist sehr, sehr tief. Hast du dich je gefragt, was für Gedanken dir durch den Kopf gehen könnten, kurz bevor die Lichter ausgehen?

Ich glaube, das hat sich jeder einmal gefragt, bei der einen oder anderen Gelegenheit. Solche Probleme sind aber in Wirklichkeit kaum der Rede wert, Gedanken daran sind etwas, was man ruhigen Gewissens auf dem Altar geistiger Gesundheit opfern sollte.

Schau hinab. Wie tief? Wie viele Meter bis dort unten? Was fühlt man bei einem solchen Fall? Spürt man ein Kribbeln in den Fingerspitzen, in den Zehen, in den Fäusten, den Knöcheln?

Natürlich. Aber wieder …

Schwindelanfälle! Sie überfluteten mich, Woge um Woge. Ein Gefühl, das ich noch niemals zuvor mit solcher Intensität gespürt hatte.

Fast gleichzeitig erkannte ich die Quelle meines Unbehagens. Es hätte schon einer großen Naivität bedurft, nicht dahinterzukommen.

Mein kleiner bepelzter Freund sandte die Panikgedanken aus, um das Gefühl der Akrophobie in mir zu erwecken.

Aber manche Dinge müssen einfach tiefer gehen als das Physische oder das Somatopsychische. Zumindest jene kleinen Mystizismen, die meine einzige Religion ausmachen. Ich beharre darauf, daß es nicht so einfach ist, Liebe in Haß zu verwandeln oder Sicherheit in Furcht, daß es nicht so einfach ist, die Früchte eines Lebens in einem einzigen, irrationalen Augenblick über Bord zu werfen.

Ich hämmerte mit den Fäusten gegen den Pfahl. Ich biß meine Lippe blutig. Ich hatte Angst. Ich, Fred Cassidy, hatte Angst vor dem Fallen. Angst vor dem Klettern.

Fallen, fallen … Nicht das sanfte Schweben eines Blattes oder eines Stücks Papier, sondern das Hinabdonnern eines schweren Körpers … Die einzigen Interferenzen sind wahrscheinlich die Pfeiler unseres Gerüsts Hier ein blutiger Abdruck, dort ein weiterer Wahrscheinlich lassen sich nur anhand solcher Spuren Stürze rekonstruieren Wie bei den Bäumen, an die sich deine nicht allzu fernen Vorfahren furchtsam klammerten

Das genügte. Er hatte mir gegeben, was ich gewollt hatte, worauf ich die ganze Zeit schon hoffte. Ein Objekt außerhalb meines Selbst, auf das ich mich voll konzentrieren konnte. In seinen Angriff auf mich hatte sich eine Schmähung gegenüber der ganzen menschlichen Rasse eingeschlichen. Damit hatte Sibla mich damals schon ungeheuer aufgebracht, als ich in Merimees Wohnung gewesen war. Mehr brauchte ich nicht.

„Schon gut“, sagte ich. „Dieselben Vorfahren haben Dingen wie dir nur so zum grausamen Spaß die Gliedmaßen einzeln abgerissen, um nachzusehen, ob ihr wirklich immer auf den Füßen landet, wenn ihr fallt. Ein sehr altes Spiel. Aber es wurde seit Jahrhunderten nicht mehr gespielt. Ich werde es im Namen meiner Väter wieder einführen. Für die alten Anthropoiden mit ihren krummen Daumen!“

Ich steigerte mich bewußt in eine kalte Wut hinein, ließ meinem Zorn freien Lauf.

Ich umklammerte den Balken. Ich zog mich hoch.

Ich sah kurz nach oben, zog mich voran, sah wieder hoch, ging weiter. Ein seltsamer Triumph durchströmte mich angesichts seiner Unentschlossenheit. Ich hatte seinem geistigen Bombardement standgehalten. Als ich seine Etage erreicht hatte, zog ich den Kopf ein und umklammerte mit beiden Händen eine waagerechte Strebe, weit genug auseinander, daß ich mich bei einem Angriff immer noch mit einer festhalten konnte.