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„Ja. Speicher scheint großen Gefallen an mir gefunden zu haben. Er möchte mich gerne als Wirt.“

„Eine einmalige Gelegenheit.“

„Richtig. Wenn ich einwillige, kann ich wahrscheinlich alle Wunder der Galaxis sehen. Lehne ich ab, kann ich auf der Erde alle außerirdischen Kulturen studieren.“

„Warum sollten Sie sich auf die Theorie beschränken, wenn Sie die Praxis haben können?“

„Ich habe mir Gedanken über die immense Geschwindigkeit des Fortschritts gemacht. Vor einer Weile waren wir hier, nun sind wir da. Alles andere ist ein klein wenig unreal – die Distanz zwischen diesem Turm und dem letzten. Hier oben bemerke ich, hinunterblickend, zum ersten Mal, daß meine Turmspitzen immer näher zusammenrücken. Das Tempo der Veränderungen hat eine meßbare Geschwindigkeit erreicht. Alles dort unten wird immer hektischer und immer absurder. Sie sagten mir damals, wenn mir das einmal bewußt werde, solle ich den Brandy nicht vergessen.“

„Richtig. Das habe ich. Hier.“

Ich drückte meine Zigarette aus. Ich erinnerte mich an den Brandy, trank einen Schluck.

„Wäre die Entfernung nicht so gewaltig“, sagte er, „dann könnte man der Zeit wirklich ins Antlitz speien.“ Er nahm die Flasche wieder an sich. „Ja, all das sagte ich damals, und es stimmte auch. Für mich.“

„Und wohin führt es uns?“ fragte ich. „Zum Gipfel einer nur schwer zu erklimmenden Treppe, von der wir wissen, daß schon andere oben sind. Sie betrachten uns als aufstrebende Welt – als Barbaren. Wahrscheinlich haben sie sogar recht. Entziehen wir uns der Wahrheit nicht. Wir werden zum Gipfel der Treppe geprügelt. Wenn ich den Job annehme, dann werde ich das Ausstellungsstück sein, nicht Speicher.“

„Statistisch gesehen“, sagte er, „war es wenig wahrscheinlich, daß wir uns an der Spitze der Leiter befinden würden, ebenso wenig wie ganz unten. Ich glaubte zu jedem Zeitpunkt das, was ich gesagt habe, manches sogar heute noch. Aber Sie dürfen dabei die Umstände nicht vergessen. Ich sprach vom Ende einer Karriere, nicht vom Anfang, und ich sprach alle Gedanken aus, die einem bei einem solchen Anlaß durch den Kopf gehen. Mittlerweile habe ich neue Erkenntnisse gewonnen. Viele Erkenntnisse. Wie etwa Professor Kuhns Bemerkungen über die Struktur der industriellen Revolution – eine gewaltige neue Idee taucht auf und zerschmettert das alte Weltbild vollkommen, danach muß alles wieder von Grund auf neu aufgebaut werden. Nach einer Weile sieht das Bild dann wieder ganz ordentlich aus, abgesehen von einigen Rissen und Sprüngen vielleicht. Und dann wirft wieder jemand einen Stein durchs Fenster. So hat sich das immer für uns abgespielt. In den letzten Jahren kamen die Steinwürfe nur immer häufiger. Wir haben kaum mehr Zeit zum Aufräumen, geschweige denn zum Neuaufbau. Das verwirrt den Intellekt natürlich. Was auch immer wir sind, wir unterscheiden uns von denen dort draußen. Das ist nur natürlich. Kein Mensch ist dem anderen gleich. Wenn es sonst auch keine Gründe gibt, nur deswegen haben wir etwas beizutragen. Das werden wir ganz einfach herausfinden müssen. Wir müssen den gegenwärtigen Steinhagel überleben, denn andere haben das auch getan. Wenn wir das können, dann sind wir das Überleben wert. Es war nicht falsch von mir, der erste und Beste sein zu wollen, aber es war falsch, der einzige sein zu wollen. Das Dumme mit euch Anthropologen ist, bei allem Geschwätz über kulturellen Relativismus, daß ihr durch die Evolution selbst auf eine höhere Warte gehoben werdet und auf alle älteren Kulturen herunterblicken könnt. Nun wird man eben eine Weile auf uns herunterblicken, auch auf unsere Anthropologen. Ich vermute, das hat Sie härter getroffen, als Sie zuzugeben bereit sind, da es zudem um Ihr Spezialgebiet geht. Lernen Sie etwas daraus, mehr will ich nicht sagen. Wenigstens Bescheidenheit. Wir stehen an der Schwelle einer neuen Renaissance, wenn ich die Zeichen richtig deute. Aber eines Tages wird der Steinhagel aufhören, dann können wir mit dem Wiederaufbau beginnen. Wir werden wieder Gelegenheit bekommen, uns auf uns selbst zu besinnen. Wer wird uns Gesellschaft leisten, wenn dieser Tag gekommen ist?“

Er schwieg. Dann: „Sie sind gekommen, um bei mir Rat zu suchen“, sagte er. „Ich habe Ihnen vielleicht mehr erzählt, als Sie hören wollten. Aber Sie waren mir schon immer ein guter Freund und Kamerad. Daher trinke ich nun auf Sie und auf die Zeit, die an mir vorübergegangen ist. Klettern Sie weiter. Mehr sage ich nicht mehr. Klettern Sie immer weiter. Immer ein bißchen höher.“

Ich genehmigte mir noch einen Schluck. Danach starrte ich hinüber zum Nachbargebäude. Ich zündete mir eine Zigarette an.

„Warum betrachten wir die Uhr?“ fragte ich.

„Wegen des mitternächtlichen Läutens. Es wird jeden Moment soweit sein, denke ich.“

„Die Moral präsentiert sich sehr drastisch. Außerdem ist das Timing perfekt.“

Er kicherte.

„Ich habe nichts geplant, Fred“, versicherte er. „Zudem habe ich Ihnen meine Moral bereits mitgeteilt. Ich möchte das Schauspiel einfach nur genießen. Auch die Dinge an sich können interessant sein.“

„Stimmt. Tut mir leid. Vielen Dank auch.“

„Es ist soweit“, rief er.

Zu beiden Seiten der Uhr öffneten sich Kläppchen. Aus einem kam ein geharnischter Ritter heraus, aus dem anderen ein buckliger Narr. Der eine hatte ein Schwert, der andere einen Stab bei sich. Sie gingen aufeinander zu, der Ritter stolz aufgerichtet, der Narr hinkend oder hüpfend – ich war mir nicht ganz sicher. Nachdem sie am Ende ihres Weges angekommen waren, machten sie um neunzig Grad kehrt und strebten dem Glockenstuhl zu. Dort angekommen, hob der Ritter sein Schwert und tat den ersten Schlag. Der Klang der Glocke war tief und weich. Augenblicke später schwang der Narr seinen Stab gegen die zweite. Der Ton war härter, die Lautstärke etwa gleich.

Ritter, Narr, Ritter, Narr … Die Gestalten waren uns sehr nahe, daher hörten wir die Schläge ebenso gut wie den Hall der Glocken. Narr, Ritter, Narr, Ritter … Sie beendeten den alten Tag und läuteten gleichzeitig den neuen ein. Der Narr tat den letzten Schlag.

Danach schienen sie sich einen Augenblick lang anzustarren, dann gingen sie, wie in stummer Übereinstimmung, auseinander und wieder auf ihre angestammten Türchen zu. Die Tore schlossen sich hinter ihnen, sogar die Echos erstarben.

„Leute, die nicht auf die Kathedralen klettern, versäumen die besten Shows“, sagte ich.

„Sparen Sie sich ihre verdammte Moral für später auf,“ sagte er. Dann: „Auf dich, Kassiopeia!“

„Und auf die Plejaden“, endete ich.

Bruchstücke und Fragmente. Verloren im Hilbert-Raum. Hervortretend zur Beschreibung Langsamer Symphonien & der Architektur der beharrlichen Passion …

Er betrachtet die See, wie er sie noch nie zuvor gesehen hat, auf der Spitze des hohen Turms von Cheslerei in Ardel, am Ufer des Meeres mit dem kryptischen Namen. Irgendwo sammelt Paul Byler Kunstgegenstände ferner Planeten, mit denen er sich ausgiebig befaßt. Ira Enterprises, eine Gesellschaft, deren Direktor Albert Cassidy ist, steht im Begriff, Filialen auf vierzehn Planeten zu eröffnen. Ein Buch mit dem Titel The Retching of the Spirit, von einem unbekannten, Traven vergleichbaren Autor, in dem ein Mädchen, ein Zwerg und ein Esel die Hauptrollen spielen, hat gerade Bestsellerstatus erreicht. La Gioconda verbindet auch weiterhin Kritik mit einer gesunden Portion Humor und traditioneller Scharfzüngigkeit. Dennis Wexroth liegt mit einem gebrochenen Bein im Krankenhaus, die Folge eines Sturzes bei dem Versuch, die Mensa zu besteigen.

An diese und viele andere Dinge denkt er, während er den nächtlichen Himmel betrachtet. Er resümiert seine Vergangenheit.

Charv hatte gesagt: „Du rauchst zuviel, weißt du. Vielleicht kannst du dir das bei dieser Reise abgewöhnen oder es wenigstens eindämmen. Wie auch immer, ich wünsche dir viel Spaß. Denn nur durch Spaß und ehrliche Arbeit dreht sich die Welt.“