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»Könnten Sie ihn beschreiben?«

Sie wiegte den Kopf hin und her. »Ein älterer, stämmiger Typ mit Pausbacken. Nicht besonders groß, aber sehr gut angezogen. Hat viel die Arme bewegt.«

»Bezirksstaatsanwalt Bradley?«, mutmaßte Garcia und sah Hunter an, der zustimmend nickte.

»Ja«, sagte Amy mit dem Anflug eines Lächelns. »Ich glaube, so hieß er.«

»Was ist mit dem zweiten Besucher, wissen Sie noch was über den?«

Amy durchforstete ihr Gedächtnis. »Der war schlanker und größer.« Sie musterte Hunter. »Ungefähr so groß wie Sie, würde ich sagen, vielleicht auch in Ihrem Alter. Er war sehr attraktiv. Schöne dunkle Augen.«

Garcia machte sich zu allem Notizen. »Sonst noch was, woran Sie sich erinnern können?«

»Ich glaube, er hatte einen kurzen Namen. Ben oder Dan oder Tom oder so ähnlich.« Sie zögerte und schöpfte Atem. »Irgend so was in der Art, aber ich weiß es nicht mehr genau.«

»Amy.« Hunter beugte sich vor und stellte sein leeres Eistee-Glas auf den Couchtisch zwischen ihnen. »Sie haben sich doch bestimmt öfter mit Mr Nicholson unterhalten. Sie haben schließlich viel Zeit mit ihm verbracht.«

»Hin und wieder mal, ganz zu Anfang«, räumte Amy ein. »Aber dann wurde seine Atmung schlechter. Das Sprechen hat ihn sehr angestrengt. Wir haben dann nicht mehr so viel geredet.«

Hunter nickte. »Hat er Ihnen irgendwas gesagt, von dem Sie denken, dass es uns vielleicht weiterhelfen könnte? Über sein Leben? Über einen seiner Fälle? Über eine bestimmte Person?«

Amy schüttelte mit gerunzelter Stirn den Kopf. »Ich war doch bloß seine Krankenschwester. Warum hätte er sich ausgerechnet mir anvertrauen sollen?«

»In den letzten Wochen haben Sie mehr Zeit mit ihm verbracht als irgendjemand sonst. Sogar mehr als seine eigenen Töchter. Können Sie sich wirklich an nichts erinnern?«

Hunter wusste, dass der Wunsch nach Kommunikation tief im Innern eines jeden Menschen verwurzelt war. Reden hat eine heilende Wirkung und wird umso wichtiger, je näher jemand dem Tod ist. Da Amy so viel Zeit mit Nicholson verbracht und sich um ihn gekümmert hatte, war es nur natürlich, dass sie für ihn irgendwann die Rolle eines engen Vertrauten angenommen hatte. Jemand, mit dem er reden, dem er sich offenbaren konnte.

Amys Blick schweifte zum Fenster rechts neben Hunter. »Einmal hat er was gesagt, worüber ich mich gewundert habe.«

»Und was war das?«

Sie schaute nach wie vor aus dem Fenster. »Er hat gesagt, wie seltsam doch das Leben ist. Egal wie viel Gutes man getan oder wie vielen Menschen man geholfen hat, am Ende sind es die Fehler, die einen bis in den Tod verfolgen.«

Weder Hunter noch Garcia sagten ein Wort.

»Ich habe ihm geantwortet, dass kein Mensch frei von Fehlern ist. Er hat gelächelt und gesagt, dass er das weiß. Und dann hat er noch davon gesprochen, dass er sich mit jemandem aussprechen und endlich die Wahrheit sagen wollte.«

»Die Wahrheit worüber?«, fragte Garcia und rutschte bis an die Kante des Sofas vor.

»Das hat er nicht gesagt. Ich habe ihn auch nicht gefragt. Das stand mir nicht zu. Aber es muss ihn auf jeden Fall sehr gequält haben. Er wollte sein Gewissen erleichtern, bevor es zu spät war.«

13

Hunter hatte noch für denselben Nachmittag ein Treffen mit den beiden Töchtern von Derek Nicholson vereinbart. Olivia, die Ältere, der er bereits in Nicholsons Haus begegnet war, hatte ihn gebeten, zu ihr nach Westwood zu kommen. Ihre Schwester Allison würde auch dort sein.

Hunter und Garcia hielten um vier Uhr fünfunddreißig vor Olivias Haus an. Der zweigeschossige Bau war nach Westwood-Maßstäben bescheiden, aber trotzdem größer und teurer als alles, was sich die Mehrheit der Angelinos auch nur erträumen durfte. Sie stiegen die wenigen Backsteinstufen zum Grundstück hinauf und gingen den kurzen Weg durch den gepflegten Vorgarten, in dem bereits die Sommerblumen blühten. Vor der Doppelgarage parkten zwei Autos, ein roter 3er BMW und ein fabrikneu aussehender Ford Edge in Tuxedo-Schwarz.

Hunter drückte auf die Klingel. Sie mussten fast eine Minute warten, bis Olivia ihnen die Tür aufmachte. Sie trug ein schwarzes knielanges Kleid ohne Ärmel und schwarze Schuhe. Die Haare hatte sie zu einem schlichten, konservativen Pferdeschwanz frisiert. Sie verbarg ihr Gesicht hinter einer dicken Schicht Make-up, doch die Zeichen einer schlaflosen und durchweinten Nacht waren deutlich zu erkennen.

Beim Anblick von Hunter und Garcia füllten sich ihre Augen sofort wieder mit Tränen, allerdings ließ sie es nicht so weit kommen, dass sie überquollen.

»Vielen Dank, dass Sie mit dem Gespräch einverstanden waren, Ms Nicholson«, sagte Hunter.

»Ich habe Ihnen doch gesagt«, antwortete sie und setzte ein tapferes Lächeln auf, »dass Sie mich Olivia nennen sollen. Bitte, kommen Sie herein.«

Sie ging ihnen voran in einen elegant und geschmackvoll eingerichteten Empfangsbereich. Die schönen Möbel zusammen mit Vasen voller Blumen schufen eine angenehme Atmosphäre. Olivia führte sie weiter bis ins erste Zimmer auf der rechten Seite – ihr Arbeitszimmer. Es war groß, und die Südseite wurde vollständig von einer riesigen Bücherwand eingenommen. Die Einrichtung war nicht weniger stilvoll als in der Halle, doch die Stimmung – im denkbar krassen Gegensatz zu draußen, wo der wolkenlose Himmel und die Sonne jedem ein Lächeln ins Gesicht zauberten – war ernst. Das Zimmer wirkte dunkel und beklemmend, ein Eindruck, der durch die geschlossenen Fenster und zugezogenen Vorhänge noch verstärkt wurde. Das einzige Licht kam von einer Stehlampe in der Ecke.

Neben einem wuchtigen Partnerschreibtisch stand eine Frau von etwa Ende zwanzig. Auch sie war ganz in Schwarz gekleidet. Beim Eintreten der beiden Detectives drehte sie sich um.

Allison Nicholson war außergewöhnlich schön, aber sehr dünn. Sie hatte glatte, schulterlange schwarze Haare und tiefdunkle, seelenvolle Augen, deren Blick viel wissender war, als man bei einer Frau ihres Alters vermutet hätte. Auch ihre Augen waren vom Weinen gerötet.

»Das ist meine Schwester Allison«, stellte Olivia sie vor.

Allisons Blick geisterte zwischen Hunter und Garcia hin und her, doch sie kam ihnen nicht entgegen. Kein Angebot zum Händeschütteln.

»Ally, das hier sind die Detectives Hunter und Garcia«, sagte Olivia und ging zu ihrer Schwester.

»Wir bedauern Ihren Verlust sehr«, erklärte Hunter. »Uns ist klar, wie schwer es für Sie beide sein muss, und wir sind Ihnen dankbar dafür, dass Sie sich die Zeit nehmen. Wir werden Sie auch nicht lange aufhalten.« Er holte sein schwarzes Notizbuch aus der Tasche. »Wenn wir Ihnen nur ein paar kurze Fragen stellen dürften?«

Das Schweigen der beiden war Anlass für Hunter, fortzufahren.

»Sie beide haben Ihren Vater vergangenen Samstag besucht, ist das richtig?«

»Ja«, antwortete Olivia.

»Können Sie sich noch daran erinnern, um wie viel Uhr Sie angekommen sind und wann Sie ihn wieder verlassen haben?«

»Ich war vor Ally da«, sagte Olivia. »Ich hatte am Nachmittag noch ein paar Sachen zu erledigen. Wir eröffnen gerade einen neuen Laden.«

Hunter wusste, dass Olivia die Eigentümerin von Healthy Eats war, einer Kette von Naturkostläden mit mehreren Filialen in der Stadt und im näheren Umkreis von Los Angeles. Allison hingegen war in die Fußstapfen ihres Vaters getreten. Sie war Staatsanwältin.

»Ich war so gegen halb fünf oder fünf da«, fuhr Olivia fort. »Ally …«

»Ich bin gegen Viertel nach fünf gekommen«, kam Allison ihrer Schwester zu Hilfe.

Hunter wartete.

»Wir haben mit Dad zusammengesessen, so wie meistens, und uns unterhalten. Oder es zumindest versucht«, fuhr Allison fort. »Am Wochenende kocht Levy normalerweise immer für uns.« Sie deutete mit einem Nicken auf ihre Schwester. »Manchmal helfe ich ihr.« Sie schüttelte den Kopf. »Ich bin nicht gerade ein Meister am Herd.«