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Hunter schüttelte verständnislos den Kopf. »Ich kann Ihnen nicht ganz folgen.«

»Na ja, bald wird’s hier vor wütenden Cops nur so wimmeln.«

Noch immer war Hunter und Garcia ihre Verwirrung ins Gesicht geschrieben.

»Das Mordopfer«, erklärte Rogers. »Andrew Dupek. Er war einer von uns. Polizist beim LAPD.«

26

Hunter und Garcia zogen sich Latexhandschuhe sowie Plastik-Schuhüberzieher an. Beide zückten ihre Maglites, bevor sie den Steg betraten. Kaum waren sie an Bord, blieb Hunter kurz stehen und schaute sich auf Deck um. Er sah keine Schuhabdrücke, keine Blutstropfen oder Spritzer, keinerlei Anzeichen eines Kampfes.

Garcia telefonierte bereits mit der Einsatzzentrale, damit man ihm von dort eine Kurzfassung von Dupeks Akte aufs Handy schickte. Um die vollständige Akte zu lesen, wäre später noch Zeit.

Von Steuerbord aus konnte Hunter sehen, wie weitere Streifenwagen mit Blaulicht auf den Parkplatz gebraust kamen. Rogers hatte recht, nichts machte einen amerikanischen Polizisten wütender als ein Polizistenmörder. Die Polizeidienststellen in L. A. hatten untereinander ihre Differenzen und stritten sich nicht selten um Zuständigkeiten. Zwischen einigen Dezernaten herrschte offene Feindschaft, und ihre Detectives und Officer konnten sich gegenseitig nicht riechen. Trotzdem rückten alle Cops, alle Dezernate, alle Dienststellen sofort zusammen, wann immer einer aus ihren Reihen einem Gewaltverbrechen zum Opfer fiel. Schneller als sich in Hollywood Gerüchte ausbreiteten, würde der kollektive Zorn auf jedes Polizeirevier in Los Angeles übergreifen.

»Wenn es wirklich derselbe Täter war«, sagte Garcia, nachdem er sein Telefonat beendet hatte, »dann ist die Kacke nicht nur am Dampfen, sondern am Qualmen, Robert. Erst ein Staatsanwalt, und jetzt ein Cop? Wer auch immer der Mörder ist, der traut sich was.«

Garcia hatte recht, und Hunter machte sich keine Illusionen: Der Druck auf sie und die Ermittlungen würde schon bald um ein Hundertfaches steigen. Entsprechend würden die Rufe nach Ergebnissen immer lauter werden.

Als er sich der Kajüte zuwandte, hörte er Schritte draußen auf dem Anleger.

»Ich bin so schnell gekommen, wie ich konnte«, rief Dr. Hove, während sie den drei Uniformierten am Steg ihren Ausweis hinhielt. Ehe sie an Bord kam, zog auch sie Latexhandschuhe und Überzieher an. »Was haben wir? Ist es wirklich derselbe Täter?« Sie nahm ihre kastanienbraunen Haare am Hinterkopf zusammen und band sie zu einem Pferdeschwanz, bevor sie sie unter der OP-Haube versteckte, die sie aus ihrer Tasche gezogen hatte.

Oberste Priorität an einem Tatort hatte grundsätzlich die Spurensicherung, aber Dr. Hove wusste, dass sich Hunter, wenn irgend möglich, gerne einen Eindruck verschaffte, bevor die Leiche abtransportiert oder irgendetwas verändert wurde.

»Wir waren noch nicht unten«, antwortete Hunter. »Wir sind seit gerade mal zwei Minuten hier.«

Genau wie Hunter blieb auch Dr. Hove an Deck erst einmal stehen und sah sich um. Sie hatte ihre eigene Maglite dabei. »Okay, gehen wir runter und sehen uns die Sache mal an.«

Fünf schmale hölzerne Stufen führten hinab in die kleine Kajüte des Boots. Die Tür stand offen, und der schwache Lichtschein von sechs Kerzen flackerte ihnen entgegen. Sie waren fast heruntergebrannt.

Statt den Raum zu betreten, versammelten sie sich auf den letzten beiden Stufen vor der Kajütentür.

Mehrere Sekunden lang sagte niemand ein Wort, während sie versuchten, den grauenerregenden Anblick, der sich ihnen bot, zu verarbeiten. Wie schon am ersten Tatort wusste man auch hier kaum, wo man zuerst hinschauen sollte. Die gesamte Kajüte war in Blut getaucht. Blutlachen bedeckten einen Großteil des Fußbodens, Abrinnspuren zierten die Wände und die wenigen Möbelstücke. Anders als in Nicholsons Schlafzimmer jedoch gab es diesmal auf dem Boden zahlreiche Abdrücke, die wie Fußspuren aussahen.

Ein unangenehm saurer Geruch kam ihnen entgegen. Wie auf eine stumme Absprache hin hoben sie alle die Hand an die Nase.

»Heilige Muttergottes«, flüsterte Garcia. Sein starrer Blick war auf etwas am hinteren Ende der Kajüte gerichtet. »Diesmal hat er ihm den Kopf abgeschnitten.«

27

Die anderen folgten Garcias Blick.

Neben der Küchenecke im hinteren Teil der Kajüte saß auf einem Holzstuhl eine nackte männliche Leiche. Sie hatte weder Kopf noch Arme und war über und über mit Blut bedeckt. Ihre Knie waren leicht angewinkelt, so dass sich die Waden unterhalb des Stuhls befanden. Die Füße waren an den Knöcheln abgetrennt worden.

Hunter sah den Kopf als Erster. Er stand hinter einer Topfpflanze auf einem niedrigen Tischchen. Der Mund war weit offen, als wäre er im Begriff gewesen, einen letzten Entsetzensschrei auszustoßen. Die milchig eingetrübten Augen waren in ihre Höhlen gesunken, was darauf hindeutete, dass Dupek seit mindestens einer Stunde tot war. Doch der Ausdruck in ihnen war noch immer lebendig: starr, ungläubig, angsterfüllt. Hunter folgte der Blickachse und stieß auf das, wovor sie sich alle gefürchtet hatten: eine neue Skulptur, geschaffen aus den Gliedmaßen des Toten. Sie stand in einer Ecke auf der Frühstückstheke.

Garcia und Dr. Hove brauchten eine Weile, bis sie sie entdeckt hatten.

»Ach du Scheiße!«, entfuhr es Garcia. Der Strahl seiner Taschenlampe glitt über die Skulptur.

»Die Antwort auf meine Frage von eben lautet dann wohclass="underline" Ja, es ist derselbe Täter«, murmelte Hove.

Hunter richtete seine Maglite auf den Fußboden, und nacheinander betraten sie den Raum, wobei sie darauf achteten, die Blutlachen weitestgehend zu meiden. Plötzlich nahm Hunter ein seltsames, beißendes Aroma in der Luft wahr. Er kannte es, aber der Cocktail an Gerüchen in der Kajüte machte es ihm unmöglich, es zu identifizieren.

»Können wir Licht anmachen, Doc?«, fragte Garcia.

»M-hm.« Sie nickte.

Garcia betätigte den Schalter an der Wand.

Die Deckenlampe flackerte zweimal, bevor sie anging. Sie spendete nur unwesentlich mehr Helligkeit als die Kerzen.

Dr. Hove ging gleich hinter der Tür in die Hocke. Ihre Aufmerksamkeit galt der ersten großen Blutlache. Sie tippte mit der Spitze des Zeigefingers hinein und rieb sie dann gegen den Daumen, um die Viskosität zu prüfen. Der strenge, metallische Geruch des Blutes brannte ihr in der Nase, doch sie blieb gefasst. Sie richtete sich wieder auf und ging an den Wänden entlang zum Stuhl, auf dem die kopflose, verstümmelte Leiche saß.

Hunters Interesse wiederum galt dem Couchtisch, auf dem der Täter den Kopf des Toten platziert hatte. Nackte Angst spiegelte sich in Dupeks Zügen, und die blutigen Schlieren in seinem Gesicht sahen aus wie Kriegsbemalung. Hunter beugte sich vor, um in den Mund zu schauen. Anders als beim ersten Mordopfer hatte der Täter Dupek nicht die Zunge herausgeschnitten. Zwar war sie tief nach hinten in den Schlund gerutscht, so dass sie fast die Mandeln berührte, aber sie war noch da. Dupeks linke Gesichtshälfte wies eine schwere Verletzung auf. Am Kiefer war eine offene Fraktur zu erkennen, dort stach ein fünf Millimeter breiter, blutiger Knochensplitter durch die Haut.

»Die Totenstarre hat noch nicht eingesetzt«, meldete die Rechtsmedizinerin. »Ich würde sagen, er ist seit weniger als drei Stunden tot.«

»Der Täter wollte, dass wir das Opfer möglichst schnell finden«, gab Hunter zurück.

Das brachte ihm einen fragenden Blick von Dr. Hove ein.

»Der Officer, der als Erster am Tatort war, sagte, es sei sehr laute Rockmusik auf der Stereoanlage gelaufen.«

»Hat der Täter sie eingeschaltet?«

»Wer sonst?«, fragte Garcia. »Er wollte, dass jemand auf das Boot aufmerksam wird. Es war ja klar, dass früher oder später jemand herkommen und sich beschweren würde.«

»Genau.« Hunter ging zurück zum Kajüteneingang. Es war genau, wie Officer Rogers gesagt hatte: Auf einem Stuhl neben der Tür lag eine schlanke schwarze Fernbedienung. »Der Officer meinte, Song drei sei auf Repeat gelaufen.«