Ebenezer Owen trieb sein Pferd an die Seite des Wagens und meinte: »Das war knapp, Mr. Adler. Ein verflucht riskantes Manöver, auf das Sie sich da eingelassen haben.«
»Warum riskant?« Jacob grinste und wiederholte dann die Worte, die Owen vorhin gebraucht hatte: »Es ist doch alles gutgegangen.«
Sie fuhren auf den Hügel, auf dem die drei anderen Planwagen standen.
Der Anflug guter Laune verließ Jacob rasch wieder, als er die Leichen der Nez Perce sah. Sie waren skalpiert, ohne Ausnahme.
Entsetzt wandte Irene ihren Blick ab und fragte: »Wer tut so etwas Schreckliches?«
»Die Freunde von Mr. Owen«, antwortete Jacob.
»Die Indianer haben mit dem Skalpieren angefangen«, erwiderte Ebenezer Owen.
»Erstens ist das keine Entschuldigung«, sagte Jacob hart. »Und zweitens habe ich da auch schon anderes gehört.«
Owen zuckte gleichgültig mit den Schultern. Ihn schien es nicht zu kümmern, was die Deutschen von ihm und von seinen Freunden dachten.
Die erbeuteten Skalps hingen zum Austrocknen außen an einem Wagen. Er gehörte Fred Myers. Er und seine Frau Anne schlossen Carol Owen, Freds Schwester, glücklich in die Arme.
Die Wiedersehensfreude währte nur kurz. Die beiden Toten, die zwischen den Wagen auf einer Decke lagen, sorgten dafür. Der skalpierte Bill Myers und sein junger Neffe Robert.
Tränen flossen, und immer wieder wurden Verwünschungen gegen die Nez Perce laut.
»Wir müssen weiter!« drängte John Bradden schließlich. »Das Tageslicht sollten wir unter allen Umständen ausnutzen.«
»Weiter?« fragte Anne Myers entsetzt. »Wir können doch jetzt nicht weiterfahren. Erst müssen wir Robert und Bill begraben und für sie beten.«
»Dafür ist keine Zeit«, entgegnete der Mann mit der Feuernarbe. »Wir wissen nicht, ob die Roten, die uns überfallen haben, die einzigen in der Gegend waren. Falls nicht, haben die Schüsse vielleicht weitere Indianer alarmiert. Vielleicht ist auch einer der Wilden entkommen und holt Verstärkung heran.«
Er warf Irene einen düsteren Blick zu.
»Die junge Lady hier hat es, wie wir gehört haben, leider nicht über sich gebracht, einen dieser Teufel zu erledigen. Auf jeden Fall ist es zu gefährlich, hier auch nur eine Minute länger als nötig zu bleiben.«
»Willst du Robert und Bill nicht begraben?« fragte Anne, über deren schmales Gesicht unablässig Tränen liefen.
»Doch, aber erst heute abend, wenn wir das Nachtlager aufschlagen.« John Bradden wandte sich an Jacob und Irene. »Schätze, es ist für alle am besten, wenn ihr euch uns anschließt. Allein wärt ihr diesen Roten ziemlich schutzlos ausgeliefert.« Sein Blick blieb an Jacob haften. »Und wir können einen guten Schützen mehr verdammt gut gebrauchen.«
»Wir wollen nach Osten«, sagte Jacob. »Zur Küste.«
»Das ist auch unser Ziel«, nickte der Mann mit der Narbe. »Wir haben die Schnauze gestrichen voll von diesem Gelobten Land!«
»Warum?« fragte Jacob. »Was ist geschehen?«
Plötzlich wurde der Blick des Vierschrötigen abweisend, als hätte er sich dabei ertappt, zuviel zu sagen.
»Wir reden heute abend darüber, Dutch. Wir sollten das Tageslicht ausnutzen! Also, was ist, kommt ihr mit uns?«
Jacob blickte Irene an und las in ihren Augen Einverständnis. Ihnen blieb kaum etwas anderes übrig, auch wenn sie die rüde Art dieser Menschen mißbilligten.
Aber John Bradden hatte recht: Falls es noch mehr blutdürstige Nez Perce in der Gegend gab, waren Jacob und Irene ohne Hilfe so gut wie verloren. »Ja, Mister, wir kommen mit«, sagte Jacob. »Gut, freut mich«, sagte Bradden und wirkte ein wenig erleichtert, nur um gleich darauf wieder todernst zu blicken. »Aber vergiß nicht, Dutch, ich bin hier der Treck-Captain. Mein Wort gilt!«
»So ist es bei jedem Treck«, sagte Jacob, ohne zu erwähnen, daß er selbst Captain eines vielfach größeren Trecks gewesen war und ihn durch die wilden Rocky Mountains geführt hatte.
Wenige Minuten später setzten sich die vier Wagen in Bewegung. Sie ließen ein Dutzend toter Indianer zurück.
Aber John Bradden hatte recht, als er auf eine entsprechende Bemerkung Irenes antwortete: »Wenn wir die alle zusammensuchen und begraben, ist der Tag vorbei.«
*
Riding Bear schien nur äußerlich unbewegt, als er das Ufer des Creeks erreichte, auf dem seine Stammesbrüder verstreut waren.
Tot und skalpiert, damit sie nicht als freie Krieger in die Ewigen Jagdgründe eingingen. Ihre Seelen würden die Sklaven der Männer sein, die ihre Skalpe geraubt hatten.
Aufgrund seiner Verwundung war der Kaminu zu sehr geschwächt, um seine Brüder zu bestatten.
Aber innerlich war er stark. Er schwor den Getöteten, sie zu rächen.
So wie er und seine Bruder es bei der Rückkehr in ihr Dorf geschworen hatten. Vielmehr bei der Rückkehr zu dem, was einmal ihr Dorf gewesen war.
Riding Bear ritt weiter, den tiefen Spuren nach, die Tiere und Wagen der Weißen in den aufgeweichten Boden gerissen hatten.
Sein Körper lag zusammengesunken auf dem Appaloosa, aber in seinen Augen brannte ein tödliches Feuer.
*
Der Lagerplatz, den John Bradden bei Einbruch der Abenddämmerung aussuchte, lag am Rand einer tiefen Schlucht, direkt an einem zerklüftete Steilhang. Auf der anderen Seite war er durch eine große Felsbarriere abgeschirmt.
»Ich weiß nicht recht, John«, meinte Ebenezer Owen zweifelnd. »Die Schlucht gefällt mir nicht. Kein Fluchtweg, wenn uns die Roten von der anderen Seite angreifen.«
»Sicher, kein Fluchtweg«, erwiderte der Mann mit der Narbe. »Aber dafür kann uns auch niemand von dieser Seite angreifen. Wir müssen nur die Hälfte des Geländes überwachen. Wenn wir die Wagen zu einem Halbkreis zusammenfahren, haben wir eine doppelte Verteidigungslinie: erst die Felsen, dann die Wagen.«
»Stimmt«, nickte Owen, nachdem er einen langen Blick über das Gelände geworfen hatte. »Right, du bist auf dieser Reise der Captain, John. Wir machen es, wie du sagst. Außerdem ist es eh zu spät, uns nach einem anderen Lagerplatz umzusehen.«
»So ist es«, grinste Bradden und rief dann laut seine Anweisungen zum Bilden der Wagenburg.
Als das geschehen war, spannten die Männer die Tiere aus. Sie wurden unter der Bewachung von Lewis Bradden zum Weiden auf einen nahen Hang getrieben, auf dem üppige Büschelgräser wuchsen.
Die anderen Männer hoben unter einer einsamen Eiche die Gräber für Bill und Robert Myers aus.
Alle, bis auf John Braddens Sohn, versammelten sich zur Beerdigung. Auch Carol Owen, obwohl sie von starken Schmerzen geplagt wurde.
Erst sollte Fred Myers die Leichenrede halten, aber ihm versagte die Stimme. Auch Ebenezer Owen lehnte ab.
Also übernahm der Treck-Captain die Aufgabe, lobte Kraft und Stärke der Toten, schlug dann eine alte, speckige Bibel auf und las: »Wahrlich, wahrlich, ich verkünde euch: Wer mein Reden hört und glaubt dem, der mich geschickt, dem ist das ewige Leben, und der kommt nicht in das Gericht, sondern er ist vom Tode zum Leben hindurchgegangen.«
Bradden klappte die Heilige Schrift wieder zu, sah in die Runde und fuhr fort: »So spricht Jesus Christus, unser Messias, der Sohn des Allmächtigen. Beten wir zu ihm und seinem Vater für die Seelen von Bill und Robert!«
Sie beteten das Vater unser.
Dann nahm Fred Myers die Schaufel und warf den ersten Haufen Erde auf den Körper seines Sohns und dann auf den seines Bruders.
Die Gräber füllten sich und wurden anschließend mit zusammengesuchten Steinen beschwert, um sie vor Wölfen und Geiern zu schützen.
Nach der Erfüllung dieser Christenpflicht wartete eine sehr irdische Arbeit auf die Menschen. Sie trugen Feuerholz für das Abendessen zusammen.
In einem großen Kessel bereiteten die Frauen einen kräftigen Eintopf aus Bohnen, Mais und Speck zu, der noch dampfte, als er in die Blechnäpfe gefüllt wurde. Dazu gab es Maisbrot und heißen Malzkaffee.