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Ebenezer Owen stieg in seinen Wagen, um seine Frau zu füttern. Carol hatte sich nach dem Begräbnis kaum noch auf den Beinen halten können.

»Irgend etwas stimmt nicht mit Carol«, sagte John Bradden leise, als Owen unter der Plane seines Wagens verschwunden war. »Ich fürchte, sie hat Wundfieber. Ich habe so etwas schon öfter gesehen. Meistens geht es übel aus.«

»Können wir ihr nicht helfen?« fragte Irene.

»Wir kaum. Aber auf der anderen Seite der Mountains liegt eine Missionsstation an der Quelle des Molalla River: Molalla Spring. Simon Mercer, der Gründer der Mission, ist nicht nur ein Diener Gottes, sondern auch ein sehr guter Arzt. Wenn wir es schaffen, Carol lebend zu ihm zu bringen, hat sie eine Chance, durchzukommen.«

»Wie viele Tage wird es dauern?« fragte Jacob.

»Drei oder vier. Hängt davon ab, wie schnell wir mit unseren Wagen die Cascades durchqueren.« Braddens Blick verdüsterte sich. »Und natürlich auch davon, ob wir es mit weiteren Nez Perce zu tun bekommen.«

»Wo wollten Sie eigentlich hin?« erkundigte sich Jacob.

»Wir haben dasselbe Ziel, die Küste und ein Schiff nach Kalifornien. Das Gold lockt alle an, dort ihr Glück zu machen.«

»Wir suchen kein Gold«, wehrte der junge Zimmermann ab.

Bradden lachte rauh. »Das sagen alle. Aber wer erst einmal dort ist, den packt unweigerlich das Goldfieber. Wart es ab, Dutch!«

Jacob antwortete nicht darauf, sondern sagte: »Ich habe den Eindruck, Sie halten sich schon länger in Oregon auf.«

»Das ist richtig. Wir hatten eine Siedlung am Osthang der Cascades. Das Land war fruchtbar und die Ernte gut.«

»Weshalb wollen Sie dann nach Kalifornien? Ist die Aussicht auf schnellen Reichtum so verlockend? Sie ist doch auch sehr ungewiß.«

»Mag sein.« John Bradden füllte sich Kaffee nach und starrte in die Nacht hinaus. »Aber täusch dich nicht, Dutch. Das Leben hier ist genauso ungewiß, auch wenn das Land fruchtbar ist. Der heutige Tag hat es einmal mehr gezeigt. Unserer Siedlung hat der Winter den Rest gegeben.«

»Ja, der Winter war hart«, stimmte Jacob zu. »Die Leute in Abners Hope haben ihn trotzdem gut überstanden. Zwar entstand unsere Siedlung erst im Herbst, aber wir konnten genügend Vorräte anlegen. Sie nicht, Mr. Bradden?«

»An den Vorräten hat es nicht gelegen. Wie ich schon sagte, unsere Ernten waren gut. Wir sind auch jetzt mit allem versorgt. Nein, zu essen hatten wir wahrlich genug.« Er lachte böse. »Je mehr von uns starben, desto mehr hatten die anderen. Ein hübsche Rechnung, wie?«

»Ich verstehe Sie nicht«, sagte Jacob.

»Erst schien es nur eine schlimme Erkältung zu sein, die Greenbush kurz vor Weihnachten heimsuchte. Greenbush hieß unser Ort, jetzt ist es eine Geisterstadt. Immer mehr wurden krank, ganze Familien. Am Weihnachtstag starben die ersten. Es war ein schlimmes Fieber. Sie schienen förmlich zu verglühen. Immer mehr. Wir schaufelten den Schnee beiseite, sammelten Stroh und machten ein großes Feuer, um die Erde aufzutauen. Dann hoben wir große Gräber aus. Einzelgräber hätten sich nicht gelohnt. Nicht für ganze Familien!«

John Bradden zeigte auf den unrasierten Mann an seiner Seite und fuhr fort: »Mein Bruder Frazer hat seine Frau und alle fünf Kinder begraben. Kinder schienen überhaupt sehr anfällig für das Fieber zu sein. Kein einziges hat überlebt. Ich hatte übrigens noch einen Bruder, Jack. Er war noch jung, hatte gerade erst geheiratet. Seine Frau Ruth erwartete das erste Kind. Sie hat es nie zur Welt gebracht. Jack starb einen Tag nach ihr.«

»Das tut mir leid«, sagte Jacob.

Auch Irene sah John und Frazer Bradden mitleidig an. Der Treck-Captain schien das gar nicht zu bemerken. Er zeigte auf den Wagen der Owens.

»Ebenezer und Carol hatten vier Kinder, zwei Söhne und zwei Töchter. Tot!«

Bradden blickte den kleinen Mann auf der anderen Seite des Feuers an, Fred Myers.

»Fred hat heute nicht sein erstes Kind begraben. Zwei Töchter starben am Weihnachtsfieber, wie wir es genannt haben.«

Braddens Blick schien die Dunkelheit zu durchdringen, in die Richtung, wo sie Bill und Robert Myers begraben hatten.

»Bill, der da draußen liegt, hatte auch eine Familie. - Tot.«

Sein Blick verklärte sich noch mehr, als Bradden seine Frau Eliza zu seiner Linken ansah, und seine Stimme wurde brüchig.

»Lewis war nicht unser einziges Kind. Wir hatten noch drei Töchter, die jüngste keine zwei Jahre alt. Alle hat das Fieber geholt.«

Als Eliza still zu weinen begann, legte der Treck-Captain einen Arm um sie.

»Wir waren fast fünfzig Menschen in Greenbush. Als der Schnee schmolz, waren noch zwölf übrig. Jetzt sind wir noch zehn. Und wenn wir Molalla Spring nicht schnell erreichen, bald vielleicht nur noch neun.«

Jacob schwieg eine ganze Weile. Es war schwer, darauf etwas zu erwidern. Welche Worte hätten nicht hohl geklungen angesichts des Unglücks, das die Bevölkerung von Greenbush getroffen hatte?

Er begann, die Härte und Verbitterung dieser Menschen zu verstehen. Sie mußten sich vorkommen wie vom Schicksal Verfluchte. Kein Wunder, daß sie Greenbush verlassen und sich auf den Weg in ein anderes Land gemacht hatten.

Aber wie die Sache zur Zeit aussah, hatte das Unglück sie auf ihrem Treck nicht verlassen. Nach dem Fieber sandte es ihnen die blutdürstigen Nez Perce.

Aus dem Treck in eine neues Land war unversehens ein Treck der Verdammten geworden.

»Das Fieber hätte Ihre Leute überall erwischen können«, sagte Jacob schließlich. »Es liegt nicht an diesem Land.«

»Sicher, überall ist das Leben gefährlich.« John Braddens Gesicht verhärtete sich. »Aber wenn man schon gefährlich lebt, dann doch besser mit der Aussicht auf schnellen Reichtum!«

*

Nach dem Abendessen gingen Jacob und Irene mit Jamie noch etwas aus dem Lager, um sich die Beine zu vertreten und um sich zu unterhalten. Das Kind sollte müde werden, damit es in der Nacht gut schlief. Behutsam wiegte Irene es in ihren Armen. Zur Sicherheit hatte Jacob den Sharps-Karabiner mitgenommen, und der Army Colt hing an seiner Hüfte. Zwar schienen sich keine Nez Perce in der Gegend aufzuhalten, aber er wollte auf alles vorbereitet sein.

Sie erreichten die einsame Eiche und blieben vor den beiden frischen Gräbern stehen.

»Robert Myers war noch sehr jung«, sagte Irene leise. »Ich hoffe, Jamie wird älter. Manchmal denke ich, es war ein Fehler, nach Amerika zu gehen.«

»Wir beide hatten keine große Wahl«, erwiderte Jacob. »Auch bei uns daheim sterben viele jung. Auch dort gibt es Krankheiten, und viele Menschen haben nicht genug zu essen.«

»Aber dort gibt es andere Menschen, überall. Man ist nicht allein, so wie die Menschen von Greenbush, als das Fieber kam. Sie hatten nicht mal einen Arzt.«

»Ist es nicht dasselbe, ob man keinen Arzt hat oder ob man ihn nicht bezahlen kann, wie es vielen bei uns in Deutschland geht? Und was die Größe dieses Landes angeht, so ist es für die meisten der Grund, hierher zu kommen. Denk nur an Martin, dem es in Deutschland zu eng wurde. Für den es dort kein Land zum Beackern gab, jedenfalls kein eigenes.«

»Trotzdem habe ich Angst«, sagte Irene und drückte ihren Sohn fester an sich. »Obwohl so viele Menschen nach Amerika kommen, wie wir in New York gesehen haben, verlieren sie sich in dieser Weite. Manchmal halte ich es geradezu für vermessen, daß wir Carl hier finden wollen. Und deine Familie natürlich. Obwohl du wenigstens einen Anhaltspunkt hast -, wo du sie finden kannst.«

»Du auch, Irene. Wir wissen, daß Carl Dilger nach Kalifornien gegangen ist.«

»Kalifornien ist auch nicht gerade klein. Es soll einer der größten Staaten Amerikas sein. Wenn so viele Menschen auf der Suche nach Gold dorthin strömen, erleichtert das unsere Suche nicht. Und wenn Carl kein Gold findet, was dann? Vielleicht ist er schon längst wieder fort, wenn wir dort ankommen. - Falls wir dort ankommen!«