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Ihr Verdacht bestätigte sich. Sie fand dort einen ganzen Haufen getrockneter Skalps. Zusätzlich indianische Arbeiten, Ledertaschen und Stickereien, Kleidungsstücke und Kämme. Ein richtiges Warenlager.

Aber am erschreckendsten waren für sie die vielen Büschel schwarzer Haare!

Mit zitternden Händen streifte Irene der kranken Frau das erstbeste Kleid über und legte eine Wolldecke über sie. Widerwillig nahm sie einen der gefundenen Skalps mit, als sie aus dem Wagen kletterte.

Das Lager war immer noch ruhig.

Irene duckte sich in den Schatten des Owen-Wagens und wartete, bis sie sicher sein konnte, daß Ebenezer Owen dort drüben auf der Felsbarriere in die andere Richtung blickte.

Sie stieß sich ab und rannte zu der Felsbarriere. Als Irene mit den Schatten der Felsen verschmolz, atmete sie auf.

Noch einmal mußte sie vorsichtig sein, als sie durch die Felsen stieg. Dann tauchte sie zwischen ein paar Kiefern ein und lief zu dem mit Büschelgras bewachsenen Hang, auf dem die Reit- und Zugtiere weideten.

Jacob hockte, in eine bunte Wolldecke gehüllt, auf einem Stein und beobachtete scheinbar die Tiere. Aber sein Blick ging durch sie hindurch in weite Ferne. Nach Deutschland?

Ruckartig stand er auf und wirbelte herum. Es klackte metallisch, als er den Hahn des Sharps-Karabiners zurückzog.

»Keine Angst, Jacob!« rief Irene. »Ich bin es nur!«

Er senkte den Karabinerlauf und fragte: »Konntest du auch so schlecht schlafen wie ich?« »Ich komme nicht, weil ich nicht schlafen kann, sondern weil ich dies hier gefunden habe.«

Sie hielt das schwarzen Haarschopf hoch.

Jacob betrachtete ihn mit einigem Ekel und meinte: »Einer der Skalps, die Fred Myers den Nez Perce abgenommen hat. Was ist damit?«

»Ich glaube nicht, daß es einer dieser Skalps ist. Ich denke, der Besitzer dieser Haare ist schon länger tot. Außerdem habe ich das nicht von Fred Myers' Wagen, sondern aus dem der Owens.«

Irene berichtete Jacob von ihrem Fund.

Jacobs Züge verhärteten sich. Als Irene geendet hatte, sagte er: »Die Sache stinkt gewaltig. Darf ich mir den Skalp mal aus der Nähe ansehen?«

Irene reichte ihm die Haare und war froh, daß sie den Skalp los war.

»Er ist ziemlich klein«, stellte der junge Deutsche nach näherem Betrachten fest. »Wie der Haarschopf eines Kindes.«

»Du meinst, sie haben ein Kind skalpiert?«

»Ich weiß nicht. Es wäre möglich.«

»Und was machen wir jetzt?«

»Wir stellen die Leute aus Greenbush zur Rede. Ich will endlich wissen, was vor sich geht!«

Mit forschem Schritt stapfte er zum Treck, so weit ausgreifend, daß Irene laufen mußte, um nicht zurückzubleiben. Sie wollte an Jacobs Seite sein, wenn sich die Sache aufklärte. Sie selbst war begierig, die Wahrheit zu erfahren. Und in Jacobs Nähe fühlte sie sich sicher.

Die Sonne kletterte über die hinter dem Treck liegenden Berge. Das verschwommene Licht des frühen Morgens wurde stärker und klarer. Deutlich schälten sich die Konturen der Felsbarriere vor ihnen heraus.

Als Ebenezer Owen die beiden Deutschen sah, kletterte er von seinem Aussichtspunkt und ging, ihnen entgegen. Sie trafen sich bei den Wagen.

»Ist etwas los?« fragte der Mann mit dem struppigen Vollbart.

»Und ob!« erwiderte Jacob und hielt den Skalp hoch. »Können Sie uns das erklären, Mr. Owen?«

»Das ist ein Skalp.«

Owens Äußerung klang weder erstaunt noch erregt. Es war eine einfache Feststellung, nicht mehr.

»Das ist es wohl«, knurrte Jacob grimmig. »Sieht fast aus wie das Haar eines Kindes.«

»Yeah, sieht so aus.«

»Irene fand es in Ihrem Wagen, als sie vorhin nach Ihrer Frau sah. Und sie fand noch eine ganze Menge weiterer Skalps. Was sagen Sie dazu?«

Owen hob die breiten Schultern und ließ sie langsam wieder sinken.

»Was soll ich dazu sagen? Die Skalps liegen dort, weil ich sie da verstaut habe. Sie gehören mir.«

Jacob konnte seine Wut kaum noch unterdrücken und sagte mit dem letzten Rest Selbstbeherrschung: »Ich würde eher sagen, sie gehören anderen Menschen - Indianern.«

»Sie haben einmal Indianern gehört, Mr. Adler. Aber die sind jetzt tot.«

»Nez Perce, nehme ich an.«

»Right, Nez Perce.«

»Darunter auch Kinder?«

»Kinder und Frauen«, bestätigte Owen.

»Und wer hat sie getötet?«

»Wir!«

Die Antwort kam nicht von Owen, sondern von John Bradden.

Er und andere Männer hatten sich, erst halb angezogen, der kleinen Gruppe genähert und den letzten Teil des Gespräches mit angehört.

Bradden hatte die Hosenträger über das große Baumwollunterhemd geschnallt. Aus seinem Hosenbund lugte ein großer Revolvergriff.

»Komm ins Lager, Dutch!« brummte er. »Beim Frühstück erzähle ich dir, was Sache ist.«

»Darum möchte ich bitten!« schnarrte Jacob und warf Owen den kleinen Skalp zu.

Sie betraten das Lager. Aus dem Wagen von Jacob und Irene ertönte Kindergeschrei.

»Ich sehe nach Jamie«, sagte Irene und ging zum Wagen.

Sie ließ Jacob jetzt nur ungern allein. Eine seltsame Spannung lag in der Luft, wie vor der reinigenden Explosion eines Gewitters.

Dampfender Malzkaffee ergoß sich in die großen Blechtassen, und die Männer hockten sich nah an das wärmende Feuer. Die meisten bissen gierig in das Maisbrot oder schaufelten Bohnen und Speck in sich hinein.

Jacob nicht. Ihm war der Appetit vergangen. Es drängte ihn, endlich die Wahrheit zu erfahren. Aber er wartete, bis Irene mit Jamie zum Feuer kam. Sie hatte dasselbe Anrecht auf die Wahrheit wie Jacob.

Als sie sich neben ihn gesetzt hatte, meinte er: »Also, Mr. Bradden, erzählen Sie uns Ihre Geschichte. Die ganze Geschichte!«

»Das meiste kennst du schon, Dutch«, erwiderte Bradden undeutlich, während er mit vollem Mund kaute. »Unsere Freunde, Frauen, Kinder, Brüder und Schwestern sind am Fieber gestorben, nicht aber diese verfluchten Rothäute!«

Jacob schüttelte den Kopf. »Tut mir leid, aber ich verstehe Sie nicht.«

Bradden zeigte mit seinem verbogenen Löffel auf einen schmalen jungen Mann am Feuer. Sam Myers, Fred Myers' ältester Sohn.

»Als das Fieber ausbrach, schickten wir Sam nach Molalla Spring, um Reverend Mercer zu Hilfe zu holen. Sam kehrte zurück, ohne den Reverend. Die Nez Perce waren ebenfalls erkrankt und hatten einen Boten zur Mission geschickt, um Mercer um Hilfe zu bitten. Der Indianer kam nur eine Stunde vor Sam am Molaila River an. Das war Grund genug für Mercer, zuerst zu den Nez Perce zu reiten. Zu uns wollte der Reverend kommen, wenn er im Dorf der Indianer fertig war. Aber er kam nie. Greenbush schneite so ein, daß ein Durchkommen unmöglich wurde.«

»Aber das ist doch nicht die Schuld der Indianer!« rief Jacob.

»Meiner Meinung nach schon«, widersprach Bradden. In sein Gesicht stand unversöhnliche Härte geschrieben. Das Tanzen der Narbe in seinem Gesicht verriet seine Erregung.

Er zeigte in die Runde und fuhr fort: »Alle Menschen hier denken so wie ich. Alle, die in Greenbush ihre Familien und Freunde begraben haben.«

Jacob schluckte. Er verstand zwar den Schmerz dieser Menschen, aber nicht das, was daraus erwachsen war.

»Was ist dann geschehen?« fragte er.

»Wir verließen Greenbush - für immer. Wir zogen zum Dorf der Nez Perce und überfielen es, als die Krieger zur Jagd geritten waren.«

»Haben Sie viele Menschen getötet?« fragte Irene zögernd, Jamie eng an sich drückend.

»Alle«, sagte Bradden im Tonfall der Befriedigung. Er schien von einer seltsamen Art kalten Hasses erfüllt zu sein.

In Irenes Gesicht zeichnete sich Entsetzen ab. Mit zitternder Stimme fragte sie: »Aber warum nur?«

»Aus Rache. Auge um Auge, Zahn um Zahn, das steht schon in der Heiligen Schrift. Unsere Frauen und Kinder mußten sterben, deshalb töteten wir die Familien der Nez-Perce-Krieger.«