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»Yeah, das wäre möglich«, stimmte Owen ihr zu.

»Wir müssen uns abseilen, um nach Jacob zu sehen.«

»Wird wohl das Beste sein«, brummte Owen.

Irene wandte sich an die Umstehenden und rief erregt: »Holt Seile, rasch!«

»Kommt nicht in Frage!«

Der das sagte, war John Bradden. Der vierschrötige Treck-Captain stand auf ziemlich wackligen Knien, bemühte sich aber um einen festen Schritt, als er auf Irene und Owen zu ging.

Sein Gesicht, sein ganzer Kopf sah aus wie ein ungeschütztes Feld nach einem schweren Hagelsturm: Wunden, Blut und Schmutz. Immer neues Blut floß aus den aufgeplatzten Lippen und dem aufgerissenen Mundwinkel. Das linke Auge war fast ganz zugeschwollen. Die Narbe schien noch roter zu leuchten als sonst.

Sein Unterhemd war zerrissen, befleckt von Blut und Dreck. Einer der Hosenträger hatte sich gelöst und baumelte traurig an der Seite herunter.

Obwohl er sich um einen bestimmenden Eindruck bemühte, ganz der Treck-Captain, konnte jeder sehen, wie sehr ihn der Kampf mitgenommen hatte. Das Zittern seiner Hände, das pausenlose Zwinkern des nicht verschwollenen Auges und sein schwankender Gang - als befände er sich auf einem Schiff bei schwerer See - sprachen für sich.

»Hast du eine bessere Idee, um dem Dutch zu helfen, John?« fragte Owen.

»Helfen?«

John Bradden zog die Braue über dem gesunden Auge hoch und stieß ein Lachen aus, das in einem Hustenanfall endete. Er spuckte Blut auf den Boden - und einen Zahn.

»Wir werden dem verfluchten Dutch gar nicht helfen«, keuchte er, als er sich von dem Hustenanfall einigermaßen erholt hatte. Er sprach sehr undeutlich, weil seine Zunge im Mund herumwanderte und vorsichtig die neue Zahnlücke betastete. »Wir sollten froh sein, daß wir ihn los sind. Hat uns genug Arbeit gemacht, der Indianerfreund!«

»Aber, John!« begehrte Owen auf. »Das kannst du nicht machen. Wir können Adler doch nicht da unten verrecken lassen. Ohne Hilfe kommt er niemals aus der Schlucht, weder nach oben noch nach unten. Es sei denn, er springt in den Tod.«

Bei dem letzten Satz zuckte Irene zusammen.

Jamie spürte die Angst und Verzweiflung seiner Mutter; er stieß auf einmal heisere, fast hysterische Schreie aus.

John Bradden trat einen Schritt näher an den abgebröckelten Rand der Schlucht und sah nach unten zu der kleinen Felsplatte, auf der Jacob lag. Obwohl sein Gesicht fast unbewegt blieb, las Irene Befriedigung in seinen Zügen.

»Schätze, der Dutch macht gar nichts mehr«, meinte der Treck-Captain. »Weder einen Sprung in die Tiefe noch überhaupt einen Atemzug. Der sieht so tot aus wie die Nez Perce, die Fred gestern um ihre Haartracht erleichtert hat.«

Vielleicht sollte es ein Scherz sein, aber niemand lachte.

»Das können Sie doch nicht einfach so sagen, Bradden!«, schrie Irene. »Wir müssen uns wenigstens davon überzeugen!«

»Warum?« Bradden blickte sie an, hart und mitleidslos. Er zeigte mit der blutigen Hand in den Abgrund. »Was für einen Grund sollte ich haben, mich um den da zu kümmern?«

»Ich weiß, warum Sie Jacob nicht helfen wollen!« stieß Irene hervor.

»So? Warum nicht?«

»Weil Sie sich dafür rächen wollen, daß er Sie eben im Kampf geschlagen hat!«

»Und wenn es so wäre?«

»Dann haben Sie nichts weiter verdient als Verachtung. Jacob hat gestern sein Leben eingesetzt, um Ihnen und Ihren Leuten gegen die Nez Perce beizustehen. Er hätte es nicht gemußt, er hat es freiwillig getan. Sie aber wollen ihn aus purer Bosheit verrecken lassen!«

»Verdammt, John, die Lady hat recht«, sagte Ebenezer Owen. »Ohne den Dutch wären wir gestern nicht so gut weggekommen. Vielleicht hingen dann unsere Skalps an den Waffen und Schilden der Roten. Mag sein, daß der Dutch unsere Ansichten nicht teilt, aber er ist ein Weißer wie wir. Wir müssen ihm beistehen, wenn auch nur die geringste Möglichkeit dazu besteht!«

Während er sprach, trat Owen auf Bradden zu.

Der Treck-Captain packte den bärtigen Mann mit raschem Griff am Jackenaufschlag und schüttelte ihn durch.

»Verdammt, Ebenezer, wie redest du mit mir?« fauchte der Mann mit der Narbe. »Ich bin der Captain dieses Trecks. Ihr habt mich dazu gewählt. Bis wir den Pazifik erreicht haben, ist mein Wort Gesetz!«

Frazer und Lewis Bradden traten neben ihn. Der Bruder des Treck-Captains hielt einen 44er Kerr-Revolver in der Faust und sein Sohn eine lange Mississippi-Rifle in den Händen. Sie bedrohten Ebenezer Owen nicht offen, aber wie zufällig zeigten die Läufe der Waffen auf seinen Bauch.

Der Narbengesichtige ließ den Bärtigen los.

Owen taumelte und vermied in letzter Sekunde einen Sturz. Er sagte nichts mehr. John Bradden hatte ihn offenbar eingeschüchtert. Oder die auf ihn gerichteten Waffen. Wahrscheinlich alles zusammen.

Aber Irene war nicht eingeschüchtert. Ihre Verzweiflung und ihre Angst um Jacob waren dazu viel zu groß.

Sie trat jetzt auf den Treck-Captain zu und fragte mit stark zitternder, sich fast überschlagender Stimme: »Sie wollen Jacob also wirklich dort liegen lassen, Bradden? Ich kann das nicht glauben!«

»Glauben Sie es nur«, krächzte Bradden.

Er bleckte die gelben, jetzt blutverschmierten Zähne.

Dann hob er die Stimme, so daß alle ihn hören konnten, und verkündete: »Wir können gar nicht anders handeln. Es würde zuviel Zeit kosten, da hinunterzuklettern. Wir haben jetzt schon mehr Zeit verloren, als uns lieb sein kann! Denkt doch an die Krieger der Nez Perce, die uns vielleicht schon auf den Fersen sind. Und denkt an Ebenezers Frau, die schnell in ärztliche Behandlung muß. Wessen Leben sind mehr wert, die von Carol und uns allen oder das eines Indianerfreundes?«

»John hat recht«, unterstützte ihn sein Bruder. »Wir müssen das Vieh zusammentreiben, und dann nichts wie weg. Es sind schon genug von uns gestorben!«

Auch Fred Myers sprach sich dafür aus, den Lagerplatz sofort zu verlassen. Der einzige, der Bedenken dagegen zu haben schien, war Ebenezer Owen.

Irene sah ihn an und bettelte: »Mr. Owen, das dürfen Sie nicht zulassen. Tun Sie doch etwas, bitte!«

»Ich kann nichts tun«, antwortete der bärtige Mann traurig. »John ist unser Captain. Und die Mehrheit steht hinter ihm, wie Sie eben gehört haben, Lady.« Er warf einen Blick auf den noch immer reglosen Jacob. »Außerdem ist Ihr Freund wahrscheinlich tot. Je eher Sie sich an diesen Gedanken gewöhnen, desto besser. Er wird sich das Genick gebrochen haben und sämtliche Knochen dazu.«

Irene konnte sich nicht daran gewöhnen. Sie wußte, daß sie das niemals können würde. Der Gedanke, daß Jacob nicht mehr lebte, war ihr so fremd wie nur irgend etwas.

»Wenn Sie ihm nicht helfen, muß ich es eben allein tun«, sagte sie leise, fast mehr zu sich selbst. »Lassen Sie mir wenigstens Seile da, damit ich zu ihm hinab kann.«

»Das können Sie nicht machen, Lady!« rief Owen erschrocken. »Sie werden abstürzen und auf dem Boden der Schlucht landen. Was soll dann aus Ihrem Kleinen werden?«

»Aber.«, begehrte Irene auf.

Sie verstummte wieder und dachte über Owens Worte nach. An ihnen war etwas Wahres.

Auch wenn es um Jacob ging, durfte sie ihren hilflosen Sohn der Gefahr aussetzen, ganz allein in der Wildnis elend zugrunde zu gehen?

Sie fand keine befriedigende Antwort auf diese Frage. Wofür sie sich auch entschied, einem der beiden geliebten Menschen tat sie unrecht.

Ein Unrecht, daß ihm das Leben kosten konnte.

John Bradden enthob sie der schweren Pflicht, eine Antwort auf diese Frage zu finden, als er sagte: »Natürlich kommt die Frau mit uns. Wir können sie und das Kind nicht den Wilden überlassen. Lewis, du übernimmst ihren Wagen!«

Sein Sohn nickte und sagte: »All right, Dad.«

»Und wenn ich mich weigere?« fragte Irene.

»Dann lasse ich Sie fesseln und einfach in den Wagen werfen«, antwortete der Captain kühl. Dann wandte er sich ab und brüllte seine Befehle zum Abbruch des Lagers.