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Fred Myers murmelte etwas Unverständliches, was wohl so etwas wie eine halbe Zustimmung war.

»Fahrt die Wagen so zwischen die Bäume, daß sie von außen nicht zu sehen sind!« rief John Bradden. »Notfalls müßt ihr sie mit Zweigen und Buschwerk abdecken!«

Irene ließ alles teilnahmslos über sich ergehen. Fast während der gesamten Fahrt hatte sie bei Jamie unter der Plane gesessen. Nur während der Mittagsrast hatte sie sich auf Ebenezer Owens Wunsch um seine Frau Carol gekümmert. Mit wenig Erfolg. Der Wundbrand wurde stärker, und Carol Owen ging es zusehends schlechter.

Aber auch wenn sie sich um ihr Kind oder um die kranke Frau kümmerte, Irenes Gedanken waren bei Jacob. Die Vorwürfe, die sie sich machte, wechselten mit ihrer Trauer ab. Jacob mußte jetzt tot sein, wenn er es nicht schon heute morgen gewesen war.

Manchmal erschien dieser Gedanke ihr so unglaublich, daß sie nach vorn durch die Lücke in der Plane blickte - in der Erwartung, daß der große junge Mann mit dem sandfarbenen Haar und dem Zimmermannsring im Ohr auf dem Bock saß und die Pferde antrieb. Aber wenn ihr Blick auf den von dunklen Haaren bedeckten Kopf und auf die untersetzte Gestalt von Lewis Bradden fiel, zerplatzte das Traumbild ihrer Selbsttäuschung.

Im Wald hielt Lewis Bradden den Wagen endgültig an und sprang vom Bock, um die Pferde auszuschirren.

Irene blieb einfach sitzen.

Bis Frazer Bradden sein unrasiertes Gesicht durch die Plane schob und knurrte:

»Spielst du hier die feine Lady, Dutch-Weib? Setz deinen Hintern gefälligst in Bewegung und hilf den anderen Frauen, Zweige und Buschwerk zusammenzutragen!«

Irene blickte zu Jamie. Er lag in seinem Bett, die Augen geschlossen, ruhig atmend. Ihr Sohn schlief friedlich, und sie beneidete ihn darum.

»Was ist?« Der Bruder des Treck-Captains schrie es fast. »Muß ich erst in den Wagen kommen und dir Beine machen?«

»Ich komme ja schon«, erwiderte Irene rasch, damit Jamie nicht aufwachte.

Sie stieg so hastig aus dem Wagen, daß sich ihr Rock in einem vorspringenden Holzsplitter verfing. Sie stürzte und fiel auf den Boden. Als sie den Kopf hob, blickte sie auf Frazer Braddens mit einer dicken Schmutzkruste überzogene Stiefel.

»Tu nicht so, als seist du zu erschöpft zum Arbeiten, verdammt!« schimpfte der Mann mit nach unten gezogenen Mundwinkeln. »Ich fall' darauf bestimmt nicht rein. Du hast den ganzen Tag doch nichts getan!«

Er traf keine Anstalten, ihr beim Aufstehen zu helfen. Irene zog sich an einem Wagenrad hoch.

Ihr Blick kreuzte den des Mannes. Was sie darin sah, gefiel ihr nicht: Verbitterung, Haß, Boshaftigkeit, Gemeinheit.

»Was haben Sie gegen mich?« fragte sie.

»Ich mag weder Indianerfreunde noch deren Schlampen. Wenn es nach mir gegangen wäre, wäre dein Freund nicht allein verreckt. Wir hätten dich und deinen kleinen Bastard gleich hinterherwerfen sollen!«

Irene sah ein, daß sie gegen die Verbohrtheit des Mannes nicht ankam. Sie senkte den Blick und ging an ihm vorbei ins Unterholz. Es war sehr dicht, aber sie achtete nicht darauf, daß sie sich unzählige kleine Schrammen im Gesicht und an den Händen zuzog. Es war ihr so gleichgültig.

Fast mechanisch brach sie Äste und Zweige für die Tarnung der Wagen ab, während sie nur an eins dachte: Jacob.

Sie bemerkte den Mann erst, als er unmittelbar hinter ihr stand. Sie hatte sein Kommen weder gehört noch gesehen. Doch sie spürte, daß sie nicht mehr allein war. Ihre Nackenhaare sträubten sich, und die in ihr aufkeimende Angst ließ sie kaum atmen.

Sie riß sich zusammen und wirbelte herum. Vor Schreck sanken ihre Arme nach unten; Äste und Zweige fielen zu Boden.

Frazer Bradden stand nur drei Schritte vor ihr.

Sein Gesicht hatte kaum noch etwas Menschliches an sich. Die Züge waren vom Wahn verzerrt, die Augen flackerten wild. Die langen Bartstoppeln verliehen ihm tatsächlich das Aussehen einer wilden Bestie.

Die rechte Hand umklammerte den Bügelgriff eines Bowiemessers. Die Klinge war so lang wie ein halber Arm. Die Waffe wirkte fast wie der Säbel eines Soldaten.

»Was. was wollen Sie?«

Irene fragte es voller Angst. Angst um sich selbst und um Jamie, der nur noch sie hatte.

»Dich!«

Dieses eine Wort preßte Bradden voller Verachtung hervor. Er machte einen großen Schritt in Irenes Richtung und hob sein Messer fast über den Kopf.

Irene wich zurück, bis ein dicker Pinyonstamm ihr den Weg versperrte.

»Obwohl Ihre Frau und Ihre Kinder erst vor kurzem am Fieber gestorben sind, wollen Sie.«

Sie brachte den Satz nicht zu Ende; ihre Stimme versagte.

Jetzt stand er so dicht vor ihr, daß sie seine üblen Ausdünstungen roch. Ihr wurde schlecht. Von seinem Gestank und mehr noch von dem Gedanken an dem, was ihr bevorstand.

»Du irrst dich«, grinste er. »Ich treibe es doch nicht mit der Hure eines Indianerfreundes, die einen Bastard zur Welt gebracht hat!«

Sein Grinsen drückte dieselbe Verachtung aus, die auch aus seinen Worten sprach.

Irene war über diese Mitteilung kaum erleichtert. Fast im Gegenteil, ließen Frazer Braddens dunkle Absichten sein Erscheinen doch noch unheimlicher und bedrohender wirken.

»Dann verstehe ich nicht, was Sie wollen«, sagte Irene im Flüsterton, weil ihre Stimme nicht zu mehr reichte. »Lassen Sie mich doch in Ruhe arbeiten!«

»Was ich will? Deinen Skalp!«

Bei diesen Worten wollte Irene schreien, aber seine Linke legte sich so fest auf ihren Mund, daß nur ein kaum hörbares Stöhnen herauskam.

»Ich werde dich skalpieren, Dutch-Hure. Und dann werde ich dich töten!«

Das irre, flackernde Leuchten seiner Augen unterstrich, wie ernst es Frazer Bradden damit war.

*

Die Wand aus Fels und festem Erdreich lag leicht abgeschrägt über einem knapp fußbreiten Felsensims. Jacob stellte seine Füße auf die vorspringende Felsrinne, preßte sich mit Körper und Gesicht an die Wand und grub so lange mit den Fingern, bis sie im Erdreich kleine Aushöhlungen für einen festeren Halt geschaffen hatten.

So stand er eine ganze Weile einfach nur da und versuchte, seinen heftigen, stoßweisen Atem zu regulieren und Kraft für das letzte Stück des Aufstiegs zu sammeln. Fast zwei Drittel lagen hinter ihm - besser gesagt, unter ihm.

Als er in die Tiefe blickte, wurde ihm ein wenig schwindlig. Nicht so sehr wegen der großen Entfernung zu der kleinen Felsplatte und wegen der noch größeren Entfernung zum Grund des Canyons. Vielmehr konnte er kaum glauben, daß er an der steilen Wand überhaupt so weit gekommen war.

Zum Glück schien das letzte Stück nicht ganz so steil zu sein. Wenn er vorsichtig war, mußte er es schaffen.

Plötzlich beschlich ihn ein ungutes Gefühl, fast so etwas wie eine instinktive Warnung. Gleichzeitig rieselte kleine Bröckchen Erdreich dicht neben ihm an der Wand hinunter.

Er hob seinen Kopf und blickte an der Wand hoch. Ja, die Bröckchen schienen von ganz oben zu kommen.

Aber wieso lockerte sich die Erde, wenn doch niemand mehr dort war?

Wirklich nicht?

Hatte sich dort oben nicht etwas bewegt, wie ein flüchtiger Schatten?

Vielleicht ein Tier. Ja, es mußte ein Tier sein, ein andere Erklärung gab es nicht.

Jacob krallte seine Finger tief in die von ihm gegrabenen Aushöhlungen und kletterte weiter.

*

Die Eisenspitze begann zu vibrieren, als sich das Zittern von Riding Bears Muskeln auf sie übertrug. Krampfhaft versuchte der Kaminu, Pfeil und Bogen ruhig zu halten. Doch je mehr er sich anstrengte, desto weiter pendelte die Spitze des Pfeils über das angepeilte Ziel hinaus.

Es war ein Jagdpfeil, kein Kriegspfeil. War das Zittern seiner Muskeln ein Zeichen der Götter, daß Riding Bear die Waffe nicht zweckentfremden sollte?