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Sobald der Schnee schmolz, waren sie aufgebrochen: Irene, Jamie und Jacob Adler.

Der junge Zimmermann hatte die Aufgabe übernommen, Irene und seinen Patensohn wohlbehalten bei Carl Dilger abzuliefern.

Obwohl er selbst Irene liebte und sie auch ihn. Sie sprachen nicht darüber. Es hatte keinen Sinn. Jamie stand zwischen ihnen. Und das Versprechen für eine gemeinsame Zukunft, das seine Eltern sich gegeben hatten.

Außerdem wußte Jacob nicht, wohin sein eigener Weg führte. Er hoffte, er würde in Texas zu Ende sein.

Sobald er Carl Dilger aufgespürt hatte, wollte er zur Plantage seines Onkels Nathan Berger, wo er seinen Vater und seine Geschwister zu finden hoffte. Aber er wußte nicht mit Sicherheit, ob sie dort waren.

Er wußte nicht, wie lange seine Suche noch dauern würde. Das war kein Leben für eine Frau und ein kleines Kind.

Daran dachte Jacob schon den ganzen Vormittag über. Und an seinen Freund Martin Bauer, für den die lange Reise zu Ende war.

Er dachte daran, wie sie sich kennengelernt hatten, damals in Hamburg. Ein Jahr war das fast her. Es schien Jacob, als wäre eine viel größere Zeitspanne vergangen. Vielleicht lag das an der Vielzahl gemeinsam bestandener Abenteuer.

In Hamburg.

Auf dem Auswandererschiff ALBANY.

In der großen Stadt New York, wo die ALBANY nach stürmischer Fahrt angekommen war und wo Ratten in Menschengestalt den deutschen Freunden fast zum Verhängnis geworden wären.

Auf den langen, gewundenen Läufen der großen Ströme Ohio, Mississippi und Missouri, die sie auf verschiedenen Schiffen befahren hatten. Und wo sie Abraham Lincoln begegnet waren, dem Präsidenten ihrer neuen Heimat.

In Missouri, wo sie in die blutigen Wirren zwischen Verfechtern und Gegnern der Sklaverei verwickelt worden waren.

Auf dem zweitausend Meilen langen Wagentreck von Kansas City durch die scheinbar unendlichen Prärien über die schroffen Rocky Mountains bis ins Gelobte Land: Oregon.

In diesem einen Jahr hatte Jacob mehr gesehen und erlebt als auf den drei Jahren seiner Walz daheim in Deutschland.

In dieser Zeit war aus dem Jüngling ein Mann geworden. Ein Mann, der viel gelernt hatte und immer noch lernte, um in diesem fremden großen Land zu überleben: die neue Sprache, Reiten, Schießen.

Martin Bauer war ihm immer ein guter, zuverlässiger Freund gewesen. Jeder hatte dem anderen beigestanden, wenn er Hilfe brauchte. Und ohne einander wäre vielleicht keiner von ihnen überhaupt so weit gekommen.

Aber Martin hatte sein Ziel erreicht: eine Farm in Oregon, eine geliebte Frau, und ein Kind, das in ihrem Bauch heranwuchs.

Schweren Herzens hatten sie voneinander Abschied genommen. Ein Abschied fast ohne Worte. Es gab viel zu sagen, aber ihre Blicke sprachen Bände.

Dann war Jacob zu Irene und Jamie auf den Wagen gestiegen und hatte die Pferde angetrieben. Sie hatten das fruchtbare Tal am Osthang der Cascade Mountains verlassen, ohne daß Jacob sich noch einmal umgesehen hatte. Von Anfang an war für ihn klar gewesen, daß dies nicht seine Heimat war.

Doch die Trennung von Martin war schmerzlich. Der rotblonde Bauernsohn mit dem Sommersprossengesicht war mehr als ein Freund für ihn - fast schon ein Bruder.

Der hochgewachsene, breitschultrige junge Mann auf dem Bock war so sehr in seine Gedanken vertieft, daß Irene an seinem Arm rütteln mußte, um ihn auf die seltsamen Geräusche aufmerksam zu machen, die der sanfte Westwind herantrug.

»Ich finde, das hört sich nach Schüssen an«, sagte die blonde Frau und blickte nach Westen, wo sich eine Folge von grünen Tälern wie eine Schneise zwischen den schroffen Bergen erstreckte.

»Brrr«, machte Jacob und zog an den Zügeln. Quietschend und ruckelnd hielt der Planwagen an.

Während der kleine Junge weiterhin selig schlummerte und von Dingen träumte, von denen die beiden Erwachsenen niemals wissen würden, lauschten diese angestrengt.

»Alles ruhig«, befand Jacob schließlich. »Du mußt dich getäuscht haben, Irene. Vielleicht war es ein Wapiti oder ein Bär.«

Die Frau schüttelte den Kopf und warf ihrem Begleiter einen mißbilligenden Blick zu.

»Ich bin lange genug in diesem Land, um das Röhren eines Hirsches oder das Brüllen eines Bären von Schüssen zu unterscheiden, Jacob! Wenn das keine Schüsse waren, dann etwas, das sehr ähnlich.«

Da hörten sie es beide. Es war weit entfernt, aber deutlich vernehmbar.

»Ja.« Jacob nickte. »Du hast recht, Irene, und ich muß mich entschuldigen. Wenn das keine Schüsse sind, will ich nicht länger Zimmermann sein!«

Er lauschte wieder.

»Aber da ist noch etwas anderes.«

»Was?« fragte Irene.

»Hufe! Es hört sich an wie Hufgetrappel. Und es kommt schnell näher. Rasch, versteck dich mit Jamie im Wagen!«

Er zog die Bremse fest und griff nach seinem SharpsKarabiner, der in einer Halterung hinter dem Fahrerkasten steckte.

Irenes Blick war jetzt gar nicht mehr mißbilligend, sondern sehr besorgt.

»Versprich mir, daß du vorsichtig bist, Jacob.«

Er lächelte, aber es wirkte aufgesetzt.

»Klar bin ich das. Ich muß doch auf dich und auf den kleinen Jacob-Martin aufpassen. Außerdem habe ich das meiste noch nicht gesehen von diesem Land.«

Er sprang vom Wagen und überprüfte erst den SharpsHinterlader und dann den 44er Army Colt, der in einem Lederholster an seiner Hüfte steckte.

Es war seltsam. Daheim in Deutschland hatte er stets eine Abscheu vor Feuerwaffen gehabt und sich ganz auf seine Fäuste verlassen.

Zumindest bis zu dem Tag, als der heimtückische Bertram Arning, der Jacob die Braut genommen und Jacobs Familie von ihrem Grundstück vertrieben hatte, dem jungen Zimmermann ein Pistolenduell geradezu aufgenötigt hatte. Damals hatte Jacob sich als Naturtalent im Schießen erwiesen und Arning schwer verwundet. Arning aber stellte es als Mordversuch dar und zwang so Jacob, aus Deutschland zu fliehen.

Hier, in der Neuen Welt, hatte sich Jacob schnell an das Tragen - und das Benutzen - von Schußwaffen gewöhnt. Es blieb einem Mann keine andere Wahl, wollte er überleben und die beschützen, die ihm am Herzen lagen.

Mit einem Blick zur Seite vergewisserte er sich, daß Irene und Jamie unter der Segeltuchplane verschwunden waren.

Der Hufschlag war jetzt so laut, daß die Reiter gleich aus dem Schatten der Gelbkiefern kommen mußten.

Jacob kauerte sich hinter den Wagen und zielte mit dem Sharps in die Richtung, aus der er die Fremden erwartete. Den 44er legte er griffbereit auf einen kleinen Stein.

Sein Blut pochte und sein Herz raste. Er wußte nicht, was er von der Sache halten sollte. Die Reiter hatten den Wagen fast erreicht, aber das immer wieder aufflackernde Gewehrfeuer schien noch genauso fern. War das ein gutes oder ein schlechtes Zeichen?

Zwei Reiter tauchten in seinem Blickfeld auf, ein bärtiger Mann und eine Frau. Der Braune des Mannes war ungesattelt.

Sie ritten einen scharfen Galopp, wirkten gehetzt.

Dann bemerkte Jacob den Pfeil im Arm der Frau.

Die Fremden hielten fünfzehn Yards vor dem Wagen an und blickten sich suchend um.

»Ist hier niemand?« rief der bärtige Mann. Und lauter: »Verdammt, warum antwortet keiner? Wo steckt ihr?«

»Hier!«

Jacob stand auf. Er steckte den Colt zurück ins Holster, hielt den Sharps aber auf den Mann gerichtet.

Die dunklen Augen des Bärtigen flackerten, als er seine Seitenhammer-Flinte auf Jacob richtete.

»Lassen Sie das bleiben, Mister!« warnte der Deutsche. »Ich bin schneller.«

»Vermutlich«, seufzte der Reiter und senkte den langen Doppellauf seiner Waffe. »Außerdem ist die Clabrough leer. Ich habe beide Kugeln verschossen, um diese heimtückische Rothaut zur Hölle zu schicken.«

»Ein Indianerüberfall?« fragte Jacob und sah dabei auf den Pfeil im Arm der Frau.

»Und was für einer!« erwiderte der Bärtige. »Diese hinterhältigen Nez Perce haben uns kalt erwischt. Unser Wagen steckte in einem Creek fest, als sie angriffen. Mein Schwager ist vermutlich tot, und meine Frau. Sie sehen es ja selbst!«