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Wieder ertönten Schüsse in der Ferne.

»Wie viele von Ihnen sind noch da drüben?« wollte Jacob wissen.

»Wir waren zwölf Leute, drei Wagen. Ich weiß nicht, wie viele noch am Leben sind.«

»Und wie viele Indianer?«

»Keine Ahnung. Es ging alles so schnell. Vielleicht sind sie nicht mehr als wir, vielleicht aber auch doppelt oder dreimal so viele. Diese Teufel sind verflucht schnell. Man denkt, sie seien überall zugleich.« »Ich wußte gar nicht, daß Nez Perce in dieser Gegend sind«, wunderte sich Jacob. »Und auch nicht, daß sie auf dem Kriegspfad sind.«

»Indianern kann man niemals trauen«, brummte der Mann. »Übrigens, ich heiße Ebenezer Owen, und das ist meine Frau Carol. Helfen Sie uns, Mister.?«

»Adler, Jacob Adler.« Jacob nickte. »Natürlich helfen wir Ihnen.«

»Dieser Name«, meinte Owen. »Ihre Aussprache kam mir gleich so seltsam vor. Sind Sie Deutscher?«

»Ja. Was dagegen?«

»Nein, warum? Die Vorfahren meine Frau kommen aus Ihrem Land. Sollen fleißige Menschen sein.«

»Das stimmt«, sagte Irene, die mit Jamie unter der Plane hervorkam. Der Junge war aufgewacht und begann zu plärren. Seine Mutter beruhigte ihn mit sanften Worten und sanftem Streicheln.

»Ihre Familie?« fragte Ebenezer Owen.

»Nein. Miß Sommer ist eine Freundin. Ich bringe sie zu. ihrem Mann.«

Jacob zögerte. Irene und Carl Dilger waren nicht verheiratet - noch nicht. Aber das ging Fremde nichts an.

»Ah, so ist das.« Der Bärtige rutschte von seinem Pferd und half seiner Frau aus dem Sattel. Sie stöhnte auf, als ihr verletzter Arm an der Flanke des Pferds entlangstrich.

»Das sieht übel aus«, sagte Jacob. »Wir müssen uns um die Wunde kümmern.«

»Ich mache das schon«, beschied ihn Irene. »Reite du mit Mr. Owen zurück, um den anderen Menschen beizustehen.«

Jacob blickte sie zweifelnd an.

»Ich weiß nicht, ob das gut ist, Irene. Ich möchte dich und Jamie nicht ohne Schutz hier lassen. Vielleicht streifen Nez Perce hier herum.«

»Ich kann Sie natürlich nicht zwingen, meinen Freunden zu helfen, Mr. Adler«, sagte Owen. »Aber bei den anderen Wagen sind noch zwei Frauen.«

»Und Kinder, nehme ich an«, meinte Irene.

»Nein, Kinder nicht«, erwiderte der bärtige Mann knapp, und für Sekunden verdüsterte sich sein Gesicht.

»Du mußt reiten, Jacob!« drängte Irene. »Stell dir vor, die Nez Perce hätten uns angegriffen. Wir wären dann auch über jede Hilfe dankbar.«

»Und wir hätten Ihnen geholfen!« stieß Owen im Brustton der Überzeugung hervor.

»Ja.«, meinte Jacob nachdenklich. »Es muß wohl sein.« Er zog den 44er aus dem Holster und reichte ihn Irene. »Nimm das, damit ihr nicht ganz schutzlos seid.«

Irene zögerte, die Waffe zu nehmen. »Und was ist mit dir?« fragte sie.

»Ich habe den hier«, antwortete Jacob und hielt den Sharps hoch. »Der Karabiner muß genügen.«

»Hoffen wir es«, seufzte Irene und nahm den schweren Revolver zur Hand. »Und jetzt los, sonst ist es zu spät!«

»Nehmen Sie das Pferd meiner Frau, Mister«, sagte Owen und hielt Jacob die Zügel hin. »Ich komme ganz gut mit einem ungesattelten Tier zurecht.«

Er übertrieb nicht. Owen kam genauso schnell auf den Rücken des Ungesattelten wie Jacob in den Sattel des anderen Pferds. Der bärtige Mann riß sein Tier herum, aber Jacob zögerte noch.

»Nun reite schon!« forderte Irene. »Es eilt.« Sie hielt den Army Colt hoch und fügte hinzu: »Wir passen schon auf uns auf!«

»Ich komme so schnell wie möglich zurück«, seufzte Jacob.

Er fühlte sich nicht wohl, als er den Braunen wendete und Ebenezer Owen folgte. Eine innere Stimme warnte ihn. Aber die Ereignisse waren so hektisch, daß er nicht auf diese Stimme hörte.

Es sollte böse Folgen haben.

*

Der große Schatten wartete ruhig im Unterholz zwischen den Gelbkiefern.

Bewegungslos und stumm.

Nur seine Augen wanderten ständig hin und her, als die beiden Männer davonritten. Sein Blick verfolgte die Männer, nur um dann wieder auf den Frauen und dem Kind zu ruhen.

Was sollte er tun?

Die Männer verfolgen und töten, weil sie gefährlicher waren?

Nein! Wo sie hinritten, warteten seine Brüder auf sie.

Erst würde er sich die Frauen und das Kind vornehmen. Sie konnte er gefahrlos töten. Dann war hier alles erledigt, und er konnte sich in Ruhe um die weißen Männer kümmern.

Früher war es nicht die Art der Kaminu gewesen, Krieg gegen Frauen und Kinder zu führen. Sie hatten überhaupt keinen Krieg führen wollen und sich bemüht, mit den Weißen in Frieden zu leben.

Aber die Bleichgesichter hatten den Frieden gebrochen. Und sie hatten keine Rücksicht genommen auf die Alten, auf die Frauen und auf die Kinder der Kaminu.

Deshalb hatten die Krieger ihren Schwur getan: Blut für Blut!

Kein Weißer, der ihnen begegnete, sollte das überleben. Auch nicht Frauen und Kinder.

Bei dem Gedanken an das, was er und seine Gefährten bei der Rückkehr in ihr Dorf vorgefunden hatten, krampfte sich in dem Kaminu alles zusammen.

Seine Rechte faßte den Schaft der Lanze fester. Es war keine Kriegslanze, sondern ein Jagdlanze mit schwerer Spitze.

Auf der Jagd waren die Krieger gewesen, um nach dem strengen Winter erstes frisches Fleisch heimzubringen. Sie hatten viel Wild erlegt, aber niemanden mehr vorgefunden, mit dem sie es teilen konnten.

Der Appaloosa wurde unruhig, als er spürte, daß die Beine seines Reiters einen stärkeren Druck ausübten. Er scharrte mit den Hufen und schnaubte ungeduldig.

Schnell legte der Krieger eine Hand auf die Nüstern des schönen Pferds, das vom Kopf bis zur Mitte braun und hinten weiß mit kleinen braunen Flecken war. Er flüsterte ihm ein paar beruhigende Worte zu.

Noch war die Zeit zum Angriff nicht gekommen. Die beiden weißen Männer waren noch zu nah.

Er würde warten, aber nicht mehr lange.

In ihm brannten Zorn, Haß und Blutdurst.

*

»Tut es sehr weh?« fragte Irene. Ihr mitleidiger Blick ruhte auf Carol Owen.

Sie vermochte nicht zu sagen, ob die Frau des bärtigen Mannes Anfang Dreißig oder Ende Vierzig war. Hier im Westen alterten die Frauen schnell. Strapazen, Hunger, Kälte, Stürme und die Allgegenwart des Todes verwischten die Unterschiede beizeiten, indem sie die Gesichter der Menschen ausmergelten und tiefe Linien in sie zeichneten.

Mrs. Owen war mittelgroß und von knochigem Körperbau. Ihre Kleidung wirkte ein ganzes Stück zu groß. Wie von einer anderen Frau. Oder so, als hätte die Trägerin in letzter Zeit viel Gewicht verloren.

Die Haube auf ihrem Kopf war nach hinten gerutscht und gab den Blick auf dünnes Haar frei, das einmal tiefschwarz gewesen sein mußte, jetzt aber immer mehr in ein schmutziges Grau überging.

Mrs. Owen nickte und preßte zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor: »Durch den scharfen Ritt ist es schlimmer geworden.«

»Kommen Sie mit zum Wagen«, sagte Irene. »Ich will mir Ihre Wunde mal näher ansehen.« In der einen Hand hielt sie Jamie, in der anderen den großen schweren Army Colt.

Achtlos legte sie die schwarze Waffe auf den Fußtritt des Fahrerkastens und kletterte in den Wagen, was ihr auch mit Jamie in den Armen keine Mühe bereitete. In den vergangenen Monaten, während des großen Trecks nach Oregon, hatte sie es oft genug geübt.

Sie verstaute ihren Sohn zwischen dicken Decken, sein provisorisches Bett während der Reise zur Westküste. Sie küßte ihn auf die Stirn, suchte sich ein scharfes Messer aus dem Werkzeugkasten und kehrte nach draußen zurück.

Carol Owen hatte sich auf einen Stein gesetzt, den Rücken gegen ein Wagenrad gelehnt. Sie stöhnte leise. Schweiß perlte auf ihrer Stirn und lief in kleinen Rinnsalen an ihrem Gesicht hinab.