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Ständig mußten Männer und Kamele darauf gefaßt sein, bis zur Brust in trügerischem Treibsand zu versinken. Diese Dünen bildeten jedoch nur eine Art Schutzwall um ein scheinbar grenzenloses, tischebenes Land, das Tag für Tag in der sengenden Sonne flimmerte. Ein Mensch konnte dort im grellen Licht kaum etwas sehen. Die Hitze war so groß, daß das Atmen schwerfiel und das Blut von Mensch und Tier fast zu kochen begann.

»Nicht einmal eine Eidechse kann dort überleben«, murmelte der Hauptmann schließlich. »Jeder, der bereit ist, dir dorthin zu folgen, hat eindeutig den Wüstenkoller! Mir kann es nur recht sein, wenn du mir solche Leute vom Hals schaffst.« Er öffnete einen kleinen Panzerschrank, der unmittelbar neben dem Schreibtisch im Fußboden eingemauert und normalerweise unter ein paar losen Brettern verborgen war, griff hinein, zog ein Bündel Geldscheine heraus und zählte sie. Dann sagte er kopfschüttelnd: »Die Kamele wirst du wohl bei den Beduinen beschlagnahmen müssen. Es ist nicht genug Geld da, und unsere Kamele kann ich dir nicht geben.«

»Mubarrak wird mir helfen, welche zu beschaffen«, erwiderte Malik und wandte sich zur Tür. »Wenn Sie nichts dagegen haben, rede ich jetzt mit den Männern.«

Der Hauptmann erwiderte Maliks Gruß mit einer lässigen Handbewegung. Er schloß den Safe, legte die Füße auf den Tisch, betrachtete lange stumm die Landkarte und lächelte kaum merklich. Offenbar freute er sich, daß er auf Maliks Vorschlag eingegangen war. Schlimmstenfalls würde er sechs Männer und einen Targi-Führer verlieren, von den Fahrzeugen einmal abgesehen. Aber niemand würde darüber von ihm Rechenschaft fordern, denn dergleichen galt in diesen Breitengraden fast als normal. Viele Patrouillen waren schon auf Nimmerwiedersehen verschwunden. Ein Fehler des Anführers, eine Motorpanne oder eine gebrochene Achse reichten aus, um aus einer Routinefahrt eine heillose Tragödie zu machen. Damit rechnete man wohl sogar, denn warum sonst hätte man aus den Garnisonen und Gefängnissen des Landes den schlimmsten Abschaum ausgerechnet nach Adoras geschickt? Eigentlich hätte keiner dieser Männer lebend in die Zivilisation zurückkehren dürfen, denn die Gesellschaft hatte sie für immer verstoßen und war nicht bereit, sie wieder in ihren Schoß aufzunehmen. Es störte deshalb niemanden, daß diese Verbrecher sich gegenseitig bei Messerstechereien umbrachten, an Fieber starben, bei routinemäßigen Patrouillen umkamen oder auf der Jagd nach einem sagenumwobenen Schatz für immer verschwanden. Die Große Karawane gab es wirklich, irgendwo dort unten im Süden — darin waren sich alle einig. Sie konnte sich ja nicht einfach in Luft aufgelöst haben. Der kostbarste Teil ihrer Ladung würde sicher unbeschadet viele Jahre, nein, Jahrhunderte überdauern.

Mit nur einem winzigen Teil dieses Schatzes könnte er, Hauptmann Kaleb-el-Fasi, Adoras für alle Zeiten den Rücken kehren und sich wieder in Frankreich niederlassen, beispielsweise in Cannes, wo er im Hotel Majestic mit einer hübschen Verkäuferin aus einer Boutique in der Rue d'Antibes ein so schönes Leben geführt hatte. Am Ende hatte er der Kleinen versprochen, daß er eines Tages kommen und sie holen würde, aber seitdem waren Jahre vergangen.

Damals hatten sie am frühen Nachmittag immer die großen Fenster geöffnet, von denen aus man den Swimmingpool, die Croisette und den Strand überblicken konnte. Sie hatten sich geliebt, bis es dunkel wurde, und waren dann irgendwo essen gegangen, ins Moulin de Mougens, El Oasis oder Chez Felix. Die Krönung des Abends war stets ein Casinobesuch gewesen, bei dem sie immer nur auf die Zahl Acht setzten.

Der Preis, den er für jene Tage bezahlen mußte, war hoch, seiner Meinung nach zu hoch. Das Schlimmste waren wohl nicht die Wüste, die Hitze und die Eintönigkeit, sondern die Erinnerungen und die Gewißheit, daß er, sofern er überhaupt lebend aus Adoras herauskäme, nicht mehr in der Lage sein würde, die Hotels, Restaurants und Mädchen von Cannes wie damals zu genießen.

In seine Erinnerungen versunken, saß er da. Es machte ihm nichts aus, daß ihm der Schweiß über den ganzen Körper lief, während sich die Temperatur in der Baracke zur Backofenhitze steigerte. Bald würde eine Ordonnanz mit einer Schüssel viel zu fetten Kuskus' kommen. Tag für Tag verzehrte er diese Mahlzeit ohne Appetit und spülte jeden Bissen mit lauwarmem, trübem und leicht brackigem Wasser hinunter.

An dieses Wasser hatte er sich auch nach so langer Zeit noch nicht gewöhnt. Noch immer bekam er davon Durchfall, obwohl er es schon seit Jahren trank…

Später, als die Sonne schon senkrecht am Himmel stand und so gnadenlos herabbrannte, daß keine Fliege mehr einen Flügel bewegte, durchquerte der Hauptmann langsam den verlassen daliegenden Palmenhain und suchte dann wieder Zuflucht in seiner Baracke; tagsüber ließ er die Tür und alle Fenster weit offenstehen, damit ihm auch nicht der leiseste Lufthauch entging. Dies war die Stunde der gaila[21], der geheiligten Siesta in der Wüste. Während der vier heißesten Stunden des Tages nämlich waren die Menschen — und auch die Tiere — gezwungen, sich reglos im Schatten aufzuhalten, sonst liefen sie Gefahr, zuviel Wasser auszuschwitzen oder von einem Hitzschlag niedergestreckt zu werden.

Die Soldaten schliefen schon in ihren Unterkünften.

Nur ein einziger Wachtposten hielt sich unter einem Sonnendach aus Zweigen mühsam auf den Beinen. Um nicht gänzlich einzuschlafen, strengte der Mann sich an, die Augen einen Spaltbreit offen zu halten, gerade weit genug, damit das von den weißen Dünen zurückgeworfene Sonnenlicht ihn nicht vorübergehend erblinden ließ.

Eine Stunde später hätte man glauben können, die Garnison von Adoras sei ausgestorben. Die Quecksilbersäule des Thermometers, das in der Sonne gewiß geplatzt wäre, blieb gefährlich dicht unter dem 50-Grad-Strich stehen. Da sich kein Lüftchen regte, wirkten die Palmwedel so leblos und starr, als wären sie nicht echt, sondern an den Himmel gemalt.

Mit weit aufgerissenen Mündern, die Gesichter von Schweiß bedeckt, lagen die Soldaten in verrenkten, unnatürlichen Posen wie zerbrochene Gliederpuppen in dieser höllischen Bruthitze und schnarchten. Sie hatten nicht einmal die Kraft, die Fliegen zu verscheuchen, die sich auf der Suche nach ein wenig Feuchtigkeit sogar auf ihre Zungen setzten. Jemand sagte etwas mit lauter Stimme im Schlaf. Es klang fast wie eine Klage. Ein Korporal wachte auf und fuhr mit vor Schreck geweiteten Augen hoch. Sekundenlang hatte er das furchtbare Gefühl, ersticken zu müssen, denn seine Lungen weigerten sich, die heiße Luft einzuatmen.

Ein spindeldürrer Schwarzer, der schlaflos in einer Ecke kauerte, glotzte den Korporal starr an, bis der sich wieder beruhigt hatte. Dann schloß auch der Schwarze die Augen, aber er schlief nicht. In seinem Kopf überstürzten sich die Gedanken, seit der Sergeant ihn in das große Geheimnis eingeweiht hatte: In vier Tagen sollte das verrückte Abenteuer beginnen, das darin bestand, sich auf der Suche nach einer verschollenen Karawane in das unwirtlichste Gebiet der Welt vorzuwagen. Wahrscheinlich würde niemand mit dem Leben davonkommen, aber war das nicht besser, als ein Leben lang Sand zu schaufeln, bis man eines Tages selbst von den anderen im Sand verscharrt wurde?

Auch Hauptmann Kaleb-el-Fasi schnarchte leise in seiner Baracke. Vielleicht träumte er von der verirrten Karawane und ihrem Schatz. Jedenfalls schlief er so fest, daß er nicht aufwachte, als sich sekundenlang die Gestalt eines hochgewachsenen Menschen in der offenen Tür abhob, um gleich darauf ohne das leiseste Geräusch zu dem Feldbett zu huschen. Der Unbekannte lehnte sein altes, schweres Gewehr, ein Erinnerungsstück aus der Zeit des se-nottssf-Aufstandes gegen die Franzosen und Italiener, an die Wand und zog eine lange, scharfe gumia[22] aus dem Gürtel. Als die Spitze des Dolches die Kehle des Hauptmanns berührte, ließ sich Gacel Sayah auf den Rand der Strohmatratze sinken, hielt dem Schlafenden mit einer Hand den Mund zu und verstärkte zugleich den Druck der Waffe.

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21

gaila — Mittagsruhe, Siesta

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22

gumia — Tuareg-Dolch

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