die Brust und Stirn und ueberreicht es dem Tartaglia, der sich
mit der Stirn auf die Erde wirft, es empfaengt und dem Altoum
praesentiert.)
Altoum (hebt die rechte Hand empor und legt sie auf das Buch).
O Blutgesetz! du meine Qual und Pein!
Ich schwoer's bei Fohis Haupt, du sollst vollzogen sein.
(Tartaglia steckt das Buch wieder in den Busen, es herrscht eine
lange Stille.)
Turandot (in declamatorischem Ton, aufstehend).
Der Baum, auf dem die Kinder
Der Sterblichen verbluehn,
Steinalt, nichts desto minder
Stets wieder jung und gruen;
Er kehrt auf einer Seite
Die Blaetter zu dem Licht;
Doch kohlschwarz ist die zweite
Und sieht die Sonne nicht.
Er setzet neue Ringe,
So oft er bluehet, an.
Das Alter aller Dinge
Zeigt er den Menschen an.
In seine gruene Rinden
Drueckt sich ein Name leicht,
Der nicht mehr ist zu finden,
Wenn sie verdorrt und bleicht.
So sprich, kannst du's ergruenden,
Was diesem Baume gleicht? (Sie setzt sich wieder).
Kalaf (nachdem er eine Zeitlang nachdenkend in die Hoehe gesehen,
verbeug sich gegen die Prinzessin).
Zu gluecklich, Koenigin, ist Euer Sklav,
Wenn keine dunklern Raethsel auf ihn warten.
Dieser alte Baum, der immer sich erneut,
Auf dem die Menschen wachsen und verbluehen,
Und dessen Blaetter auf der einen Seite
Die Sonne suchen, auf der andern fliehen,
In dessen Rinde sich so mancher Name schreibt,
Der nur, so lang sie gruen ist, bleibt.
-Er ist-das Jahr mit seinen Tagen und Naechten.
Pantalon (freudig).
Tartaglia! Getroffen!
Tartaglia. Auf ein Haar!
Doctoren (erbrechen ihre Zettel).
Optime! Optime! Optime! das Jahr, das
Jahr, das Jahr! Es ist das Jahr. (Musik faellt ein.)
Altoum (freudig). Der Goetter Gnade sei mit dir, mein Sohn,
Und helfe dir auch durch die andern Raethsel!
Zelima (bei Seite).
O Himmel, schuetz' ihn!
Adelma (gegen die Zuschauer). Himmel, schuetz' ihn nicht!
Lass nicht geschehn, dass ihn die Grausame
Gewinne, und die Liebende verliere!
Turandot (entruestet, fuer sich).
Er sollte siegen? Mir den Ruhm entreissen?
Nein, bei den Goettern! (Zu Kalaf.) Selbstzufriedner Thor!
Frohlocke nicht zu frueh! Merk' auf und loese!
(Steht wieder auf und faehrt in declamatorischem Tone fort.)
Kennst du das Bild auf zartem Grunde?
Es gibt sich selber Licht und Glanz.
Ein andres ist's zu jeder Stunde,
Und immer ist es frisch und ganz.
Im engsten Raum ist's ausgefuehrt,
Der kleinste Rahmen fasst es ein;
Doch alle Groesse, die dich ruehret,
kennst du durch dieses Bild allein.
Und kannst du den Krystall mir nennen?
Ihm gleicht an Werth kein Edelstein;
Er leuchtet, ohne je zu brennen,
Das ganze Weltall saugt er ein.
Der Himmel selbst ist abgemalet
In seinem wundervollen Ring;
Und doch ist, was er von sich strahlet,
Oft schoener, als was er empfing.
Kalaf (nach einem kurzen Nachdenken, sich gegen die
Prinzessin verbeugend).
Zuernt nicht, erhabne Schoene, dass ich mich
Erdreiste, Eure Raethsel aufzuloesen.
-Dies zarte Bild, das, in den kleinsten Rahmen
Gefasst, das Unermessliche uns zeigt,
Und der Krystall, in dem dies Bild sich malt
Und der noch Schoenres von sich strahlt-
Er ist das Aug, in das die Welt sich drueckt,
Dein Auge ist's, wenn es mir Liebe blickt.
Pantalon (springt freudig auf).
Tartaglia! Mein' Seel! Ins schwarze Fleck
Geschossen.
Tartaglia. Mitten hinein, so wahr ich lebe!
Doctoren (haben die Zettel eroeffnet).
Optime! Optime! Optime! Das Auge, das Auge,
Es ist das Auge. (Musik faellt ein.)
Altoum. Welch unverhofftes Glueck! Ihr guet'gen Goetter!
O, lasst ihn auch das letzte Ziel noch treffen!
Zelima (bei Seite). O, waere dies das letzte!
Adelma (gegen die Zuschauer).
Weh mir. Er siegt! Er ist fuer mich verloren! (Zu Turandot.)
Prinzessin, Euer Ruhm ist hin! Koennt Ihr's
Ertragen? Eure vor'gen Siege alle
Verschlingt ein einz'ger Augenblick.
Turandot (steht auf in heftigem Zorn). Eh soll
Die Welt zu Grunde gehn! Verwegner, wisse!
Ich hasse dich nur desto mehr, je mehr
Du hoffst mich zu besiegen, zu besitzen.
Erwarte nicht das letzte Raethsel! Flieh!
Weich aus dem Divan! Rette deine Seele!
Kalaf. Nur Euer Hass ist's, angebetete
Prinzessin, was mich schreckt und aengstiget.
Dies ungluecksel'ge Haupt sinkt in den Staub,
Wenn es nicht werth war. Euer Herz zu ruehren.
Altoum. Steh ab, geliebter Sohn! Versuche nicht
Die Goetter, die dir zweimal guenstig waren.
Jetzt kannst du dein gerettet Leben noch,
Gekroent mit Ehre, aus dem Divan tragen.
Nichts helfen dir zwei Siege, wenn der dritte
Dir, der entscheidende, misslingt-Je naeher
Dem Gipfel, desto schwerer ist der Fall.
-Und du-lass es genug sein, meine Tochter,
Steh ab, ihm neue Raethsel vorzulegen.
Er hat geleistet, was kein andrer Prinz
Vor ihm. Gib ihm die Hand, er ist sie werth,
Und endige die Proben.
(Zelima macht flehende, Adelma drohende Geberden gegen Turandot.)
Turandot. Ihm die Hand?
Die Proben ihm erlassen? Nein, drei Raethsel
Sagt das Gesetz. Es habe seinen Lauf.
Kalaf. Es habe seinen Lauf. Mein Schicksal liegt
In Goetterhand. Tod oder Turandot!
Turandot. Tod also! Tod! Hoerst du's?
(Sie steht auf und faehrt auf die vorige Art zu declamieren fort.)
Wie heisst das Ding, das Wen'ge schaetzen,
Doch ziert's des groessten Kaisers Hand;
Es ist gemacht, um zu verletzen,
Am naechsten ist's dem Schwert verwandt.
Kein Blut vergiesst's und macht doch tausend Wunden,
Niemand beraubt's und macht doch reich,
Es hat den Erdkreis ueberwunden,
Es macht das Leben sanft und gleich.
Die groessten Reiche hat's gegruendet,
Die aeltsten Staedte hat's erbaut;
Doch niemals hat es Krieg entzuendet,
Und Heil dem Volk, das ihm vertraut.
Fremdling, kannst du das Ding nicht rathen,
So weich aus diesen bluehenden Staaten!
(Mit den letzten Worten reisst sie sich ihren Schleier ab.)
Sieh her und bleibe deiner Sinne Meister!
Stirb oder nenne mir das Ding!
Kalaf (ausser sich, haelt die Hand vor die Augen).
O Himmelsglanz! O Schoenheit, die mich blendet!
Altoum. Gott, er verwirrt sich, er ist ausser sich.
Fass dich, mein Sohn! O, sammle deine Sinne!
Zelima (fuer sich).
Mir bebt das Herz.