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»Um ein gutes Feuilleton zu schreiben, muß man kein Thema haben«, erklärte der Franzose. »Man muß nur gut schreiben können.«

»Nun übertreiben Sie aber«, sagte MacLaughlin entrüstet. »Ohne Thema würde selbst ein Künstler des Wortes wie Sie nichts Gescheites zustande bringen.«

»Nennen Sie mir irgendeinen Gegenstand, und sei er noch so trivial, und ich schreibe darüber einen Artikel, den meine Zeitung mit Vergnügen druckt.« D'Hevrais streckte die Hand aus. »Wetten wir? Meinen spanischen Sattel gegen Ihr Zeissglas.«

Alle wurden lebhaft.

»Ich setze zweihundert Rubel auf d'Hevrais!« verkündete Sobolew.

»Über ein beliebiges Thema?« fragte der Ire bedächtig. »Irgendeins?«

»Absolut. Und sei es über die Fliege, die auf dem Schnauzbart von Oberst Lucan sitzt.«

Der Rumäne fuhr sich hastig über den Schnauzbart und sagte: »Ich setze dreihundert auf Monsieur MacLaughlin. Aber was für einen Gegenstand nehmen wir?«

»Na, zum Beispiel Ihre alten Stiefel.« MacLaughlin zeigte mit dem Finger auf die staubigen Juchtenstiefel des Franzosen. »Versuchen Sie, so darüber zu schreiben, daß das Pariser Publikum es mit Genuß liest.«

Sobolew hob die Hände.

»Noch wurde nicht eingeschlagen. Ich passe. Alte Stiefel, das geht zu weit.«

Schließlich wurden tausend auf den Iren gesetzt, auf den Franzosen mochte niemand setzen. Warja tat der arme d'Hevrais leid, aber sie hatte kein Geld, Petja auch nicht. Sie trat zu Fandorin, der noch immer in dem Buch mit den türkischen Krakeln blätterte, und flüsterte verärgert: »Warum sagen Sie nichts? Setzen Sie auf ihn. Was macht es Ihnen aus! Sie haben doch bestimmt von Ihrem Satrapen ein paar Silberlinge bekommen! Ich gebe es Ihnen später zurück.«

Fandorin verzog das Gesicht und sagte gelangweilt: »Hundert Rubel auf Monsieur d'Hevrais.« Und er vertiefte sich wieder in seine Lektüre.

»Also zehn zu eins«, resümierte Lucan. »Meine Herren, der Gewinn ist nicht groß, aber sicher.«

In diesem Moment kam Warjas Bekannter Hauptmann Perepjolkin ins Zelt gestürmt. Er war nicht wiederzuerkennen: nagelneue Montur, Stiefel auf Hochglanz, imposante schwarze Augenbinde (der Bluterguß war wohl noch nicht vergangen), weißer Kopfverband.

»Euer Exzellenz, meine Herren, ich komme eben von Baron Krüdener!« verkündete er würdevoll. »Eine wichtige Mitteilung für die Presse. Notieren Sie - Hauptmann Perepjolkin vom Generalstab, Operationsabteilung. Pe-re-pjol-kin. Nikopol wurde im Sturm erobert. Wir haben zwei Paschas und sechstausend Soldaten gefangengenommen! Unsere Verluste sind minimal. Sieg, meine Herren!«

»Verdammt, schon wieder ohne mich!« stöhnte Sobolew und stürmte ohne Abschied davon.

Der Hauptmann blickte dem General etwas verwirrt hinterher, aber schon hatten ihn die Journalisten in die Mitte genommen. Perepjolkin beantwortete ihre Fragen mit sichtlichem Vergnügen und kokettierte dabei mit seiner Kenntnis des Englischen, Französischen und Deutschen.

Warja wunderte sich über das Verhalten Fandorins.

Er warf das Buch auf den Tisch, stieß die Presseleute entschlossen auseinander und fragte halblaut: »E-erlauben Sie, Hauptmann, ist das kein Irrtum? Krüdener hatte doch Befehl, Plewna zu nehmen. Nikopol liegt aber in der entgegengesetzten R-richtung.«

In seiner Stimme war etwas, das den Hauptmann aufhorchen und die Journalisten vergessen ließ.

»Keineswegs, mein Herr. Ich habe das Telegramm vom Stab des Oberbefehlshabers persönlich entgegengenommen, war bei der Dechiffrierung zugegen und habe es dem Herrn Baron persönlich

überbracht. Ich erinnere mich genau an den Text: >An den Chef der Westgruppe Generalleutnant Baron Krüdener. Ich befehle, Nikopol zu nehmen und sich dort mit mindestens einer Division zu verschanzen. Nikolai.<«

Fandorin erbleichte.

»Nikopol?« fragte er noch leiser. »Und was ist mit Plewna?«

Der Hauptmann zuckte die Achseln.

»Keine Ahnung.«

Vor dem Eingang ertönten Schritte und Waffenklirren. Der Vorhang wurde aufgerissen, und herein sah Oberstleutnant Kasansaki. Hinter ihm blinkten die Bajonnette einer Begleitmannschaft. Der Gendarm ließ den Blick für einen Moment auf Fandorin ruhen, guckte durch Warja hindurch und lächelte freudig Petja zu.

»Ah, da sind Sie ja, mein Lieber! Hab ich's mir doch gedacht. Einjährigfreiwilliger Jablokow, Sie sind verhaftet. Festnehmen!« befahl er den Begleitsoldaten. Zwei Blauuniformierte kamen eilig herein und faßten den von Entsetzen gelähmten Petja bei den Ellbogen.

»Sind Sie denn wahnsinnig!« schrie Warja. »Lassen Sie ihn sofort los!«

Kasansaki würdigte sie keiner Antwort. Er schnippte mit den Fingern, und der Verhaftete wurde schnell nach draußen gezerrt. Der Oberstleutnant blieb und blickte mit ungewissem Lächeln in die Runde.

»Erast Petrowitsch, was soll denn das!« rief Warja schrill. »Sagen Sie was!«

»Begründung?« fragte Fandorin mürrisch und sah dem Gendarmen auf den Kragen.

»In Jablokows Chiffrierung ist ein Wort ausgewechselt. Plewna wurde durch Nikopol ersetzt, das ist alles. Derweil hat Osman Paschas Avantgarde vor drei Stunden Plewna eingenommen und bedroht nun unsere Flanke. So ist das, Herr Beobachter.«

»Da ist es, Ihr Wunder, das die Türkei retten kann, MacLaughlin«, hörte Warja d'Hevrais sagen - in recht reinem Russisch, doch mit hübschem Kehlkopf-R.

»Kein Wunder, Herr Korrespondent, sondern gewöhnlicher Verrat«, antwortete der Oberstleutnant auflachend, blickte aber dabei Fandorin an. »Ich kann mir nicht vorstellen, Herr Freiwilliger, wie Sie das Seiner Hohen Exzellenz erklären wollen.«

»Sie sch-schwatzen zuviel, Oberstleutnant.« Fandorins Blick glitt abwärts zum obersten Knopf der Gendarmenmontur. »Ehrgeiz darf der Sache nicht schaden.«

»Wie meinen?« Kasansakis dunkles Gesicht zuckte. »Sie wollen mir Vorhaltungen machen? Ein starkes Stück! Ich habe über Sie, Herr Wunderkind, ein paar Auskünfte eingeholt. Dienstlich. Da ergibt sich kein schönes Bild. Sie sind geschäftstüchtig über Ihre Jahre hinaus. Geruhten Sie nicht, vorteilhaft zu ehelichen? Und mit doppeltem Vorteil - fette Mitgift eingesackt und die Freiheit behalten. Gratu... «

Er konnte nicht weitersprechen, denn Fandorin hatte ihm geschickt, wie ein Kater mit der Pfote, die Hand über die dicken Lippen gewischt. Warja ächzte auf, einer der Offiziere packte Fandorins Hand, ließ sie jedoch gleich wieder los, denn dieser zeigte keinerlei Tobsucht.

»Wir schießen uns«, sagte Fandorin mit Alltagsstimme und sah dem Oberstleutnant diesmal direkt in die Augen. »Von mir aus jetzt gleich, ehe sich die Führung einmischt.«

Kasansaki war puterrot. Die pflaumenschwarzen Augen waren blutunterlaufen. Nach einer Pause schluckte er und sagte: »Mit Befehl Seiner kaiserlichen Hoheit sind Duelle während des Krieges strengstens verboten. Und Sie, Fandorin, wissen das genau.«

Der Oberstleutnant ging hinaus, der Türvorhang wippte. Warja fragte: »Erast Petrowitsch, was ist zu tun?«

FÜNFTES KAPITEL,

in welchem beschrieben wird, wie ein Harem funktioniert

»Revue Parisienne« (Paris) vom 18. (6.) Juli 1877 von Charles d’Hevrais DIE ALTEN STIEFEL Skizze von der Front

»Das Oberleder ist rissig und mittlerweile weicher als ein Pferdemaul. In vornehmer Gesellschaft kann man sich in solchen Stiefeln nicht zeigen. Das tue ich auch nicht, die Stiefel sind für anderes bestimmt.

Genäht hat sie mir ein alter Jude aus Sofia vor zehn Jahren. Er knöpfte mir zehn Lire ab und sagte: >Mein Herr, wenn längst Kletten aus mir wachsen, wirst du diese Stiefel noch immer tragen und mit einem freundlichen Wort Isaaks gedenken. Noch war kein Jahr vergangen, da ging bei Ausgrabungen einer assyrischen Stadt im Zweistromland der linke Absatz ab. Ich mußte allein ins Lager zurückkehren.