An den Laufgräben schaufelte Sobolew ziemlich ungeschickt, dennoch schmeichelten Warja seine Bemühungen, immerhin war er ein richtiger Held, wenngleich mit dem blöden Besen im Gesicht. Auf ihre taktvollen Ratschläge, die Form des Bartes zu ändern, verlegte sich der General aufs Feilschen:
Er sei bereit, dieses Opfer zu bringen, aber nur gegen gewisse Garantien. Solche zu gewähren lag freilich nicht in Warjas Absicht.
Vor fünf Tagen hatte Sobolew ihr glücklich mitgeteilt - endlich habe er eine eigene Abteilung bekommen, zwei Kosakenregimenter, er werde am Sturm auf Plewna teilnehmen und die Südflanke des Korps decken. Warja wünschte ihm einen erfolgreichen Start. Als Stabschef hatte er Perepjolkin zu sich geholt, über den er sich folgendermaßen äußerte: »Er kam immer wieder und bettelte und guckte mir in die Augen, da hab ich ihn eben genommen. Und was meinen Sie, Warwara Andrejewna? Jeremej Ionowitsch ist zwar ein Langweiler, aber gescheit. Kommt immerhin vom Generalstab. In der Operationsabteilung kennen sie ihn, versorgen ihn mit nützlichen Informationen. Außerdem ist er mir persönlich ergeben - hat nicht vergessen, daß ich ihn aus den Klauen der Baschi- Bosuks gerettet habe. Und ich bin sündig genug, die Ergebenheit meiner Untergebenen sehr zu schätzen.«
Sobolew hatte jetzt genug um die Ohren, aber vorgestern hatte seine Ordonnanz Serjosha Berestschagin ihr von Seiner Exzellenz einen üppigen Strauß rote Rosen gebracht. Die Rosen standen wie die Recken von Borodino, und die Blüten fielen nicht ab. Das ganze Zelt war voll von dem schweren öligen Duft.
In die Bresche, die nach dem Rückzug des Generals geblieben war, sprang Rittmeister Surow, ein überzeugter Anhänger der Kavallerieattacke. Warja prustete, als sie daran dachte, wie kühn er die einleitende Rekognoszierung durchgeführt hatte.
»Welch eine Aussicht, Mademoiselle! Was für eine Natur!« sagte er eines Abends, als er nach Warja aus dem verräucherten Presseklub trat; sie wollte den Anblick des Sonnenuntergangs genießen. Und um kein Tempo zu verlieren, wechselte er das Thema. »Erasmus ist ein feiner Kerl, nicht wahr? Sein Herz ist rein wie ein frisches Bettlaken. Und ein prima Kamerad, wenn auch ein Griesgram.«
Der Rittmeister ließ eine Pause folgen und sah das Fräulein erwartungsvoll mit schönen, frechen Augen an. Dann fuhr er fort: »Sieht gut aus, ist ja auch brünett. Eine Husarenmontur würde ihm ganz prächtig stehen.« Surow verfolgte seine Linie mit Entschlossenheit. »Jetzt läuft er rum wie ein nasses Huhn. Sie hätten ihn früher mal sehn sollen! Eine Flamme! Ein arabischer Sandsturm!«
Warja sah den Schwätzer mißtrauisch an, denn den Titularrat sich als »arabischen Sandsturm« vorzustellen war völlig unmöglich.
»Woher diese Veränderung?« fragte sie in der Hoffnung, wenigstens etwas über die geheimnisvolle Vergangenheit Fandorins zu erfahren.
Aber Surow zuckte nur die Achseln.
»Weiß der Teufel. Wir haben uns ein Jahr nicht gesehen. Wahrscheinlich eine verhängnisvolle Liebe. Sie halten uns Männer ja für herzlose Holzköpfe, aber unsere Seelen sind heiß und leicht verletzlich.« Er blickte zu Boden. »Mit gebrochenem Herzen kann man schon mit zwanzig ein alter Mann sein.«
Warja fauchte: »Von wegen zwanzig. Machen Sie sich nicht jünger, als Sie sind.«
»Ich spreche nicht von mir, sondern von Fandorin«, erklärte der Rittmeister. »Er ist ja erst einundzwanzig.«
»Wer, Fandorin?« staunte Warja. »Was reden Sie da, ich bin ja schon zweiundzwanzig.«
»Das meine ich ja«, rief Surow lebhaft. »Sie brauchen einen solideren Mann, so um die Dreißig.«
Aber sie hörte nicht mehr zu, die Mitteilung hatte sie verblüfft. Fandorin erst einundzwanzig? Einundzwanzig? Unglaublich! Deswegen hatte Kasansaki ihn »Wunderkind« genannt. Der Titularrat hatte ja in der Tat ein jungenhaftes Gesicht, aber sein Gehaben, sein Blick, seine grauen Schläfen! Was hat Ihnen so zugesetzt, Erast Petrowitsch?
Der Rittmeister deutete ihre Verwirrung auf seine Weise, er nahm Haltung an und erklärte: »Was ich Ihnen sagen möchte. Wenn Erasmus, dieser Spitzbube, mir zuvorgekommen ist, ziehe ich mich sofort zurück. Was die Übelwoller auch von mir sagen mögen, Mademoiselle - Surow ist ein Mann mit Prinzipien. Er würde nie die Hand ausstrecken nach etwas, das einem Freund gehört.«
»Meinen Sie mich?« Warja hatte begriffen. »Wenn ich etwas bin, >das einem Freund gehört<, nämlich Fandorin, dann strecken Sie nicht die Hand nach mir aus, andernfalls aber tun Sie es? Habe
ich das richtig verstanden?«
Surow ließ diplomatisch die Brauen spielen und war kein bißchen verlegen.
»Ich gehöre ausschließlich mir selbst, und das wird immer so sein, aber ich habe einen Bräutigam«, sagte Warja streng.
»Hab's gehört. Aber der Herr Arrestant gehört nicht zu meinen Freunden«, antwortete der Rittmeister fröhlich, und damit war die Rekognoszierung beendet.
Nun folgte die eigentliche Attacke.
»Wie wär's mit einer Wette, Mademoiselle? Wenn ich errate, wer als erster aus dem Zelt kommt, schenken Sie mir einen Kuß. Wenn ich's nicht errate, rasiere ich mir den Kopf so kahl wie ein Baschi- Bosuk. Entscheiden Sie! Ihr Risiko ist minimal, im Zelt sind an die zwanzig Menschen.«
Warjas Lippen verzogen sich gegen ihren Willen zu einem Lächeln. »Wer kommt raus?«
Surow tat, als ob er überlegte, und schüttelte verzweifelt den Kopf.
»Ach, leb wohl, meine Lockenpracht. Oberst Sablin. Nein. MacLaughlin. Nein... Semjon, der Büfettier, der!«
Er räusperte sich laut, und in der nächsten Sekunde kam, die Hände am Saum des Seidenkittels abwischend, der Büfettier aus dem Zelt gewatschelt. Er blickte besorgt in den klaren Himmel, murmelte: »Wenn's nur nicht regnet«, und kehrte zurück, ohne Surow zu beachten.
»Ein Wunder, ein Zeichen von oben!« rief Surow, berührte den Schnurrbart und beugte sich zu der lachenden Warja.
Sie dachte, er würde sie auf die Wange küssen, wie Petja das immer machte, aber Surow zielte auf ihre Lippen, und es wurde ein langer, ungewöhnlicher, schwindelerregender Kuß.
Endlich, als Warja schon zu ersticken glaubte, stieß sie den Rittmeister zurück und griff sich ans Herz.
»Oi, gleich bekommen Sie eine Ohrfeige«, drohte sie mit schwacher Stimme. »Gute Menschen hatten mich gewarnt, daß Sie mit unsauberen Mitteln spielen.«
»Für die Ohrfeige fordere ich Sie zum Duell. Und da werde ich zweifellos besiegt«, gurrte Surow mit rollenden Augen.
Ihm böse zu sein war einfach unmöglich ...
Ihre Gedanken wurden unterbrochen - das runde Gesicht der einfältigen Luschka, die bei den Krankenschwestern die Pflichten eines Hausmädchens, einer Köchin und, wenn es viele Verwundete gab, auch einer Pflegerin versah, sah zum Zelt herein.
»Fräulein, ein Offizier erwarten Sie«, stieß sie hervor. »Schwarz, mit Schnurrbart und Blumenstrauß. Was soll ich ihm ausrichten?«
Er kommt ja aufs Stichwort, der Satan, dachte Warja und lächelte wieder. Surows Belagerungsmethoden hatten sie nachhaltig erheitert.
»Soll warten. Ich komme gleich«, sagte sie und schlug den Vorhang zurück.
Aber bei den Lazarettzelten, wo alles für die Aufnahme neuer Verwundeter bereit war, wartete keineswegs der Rittmeister, sondern der nach Parfüm duftende Oberst Lucan, ein weiterer Bewerber.
Warja seufzte tief, aber zum Rückzug war es zu spät.
»Ravissante comme l'Aurore!« (*(franz.) Bezaubernd wie die Morgenröte) Der Oberst wollte sich über ihre Hand beugen, prallte aber zurück, da er an die fortschrittlichen Frauen dachte.
Warja wies kopfschüttelnd sein Bukett zurück, musterte die von Goldstickereien funkelnde Montur des Verbündeten und fragte unfreundlich: »Schon frühmorgens in Gala?«
»Ich reise nach Bukarest, zum Kriegsrat bei Seiner Hoheit«, teilte der Oberst gewichtig mit. »Jetzt möchte ich mich verabschieden und Sie zum Frühstück einladen.«
Er klatschte in die Hände, da kam eine elegante Kutsche um die Ecke gefahren. Auf dem Bock saß sein Bursche in verwaschener Montur, doch mit weißen Handschuhen.