Выбрать главу

»Und ob er das kann«, pflichtete Warja ihm bei. »Aber Lucan hat tatsächlich sehr viel verspielt.

Das hat er mir heute erzählt, bevor er nach Bukarest abgereist ist.«

»Abgereist?«

Fandorin wandte sich ab und überlegte, dabei schüttelte er ab und zu den Kopf. Warja trat seitlich zu ihm, um sein Gesicht zu sehen, konnte aber nichts Besonderes bemerken. Fandorin blickte mit eingekniffenen Augen zum Planeten Mars.

»Hören Sie, liebe Warwara Andrejewna«, sagte er langsam, und Warja wurde warm ums Herz, erstens weil er »liebe« gesagt, und zweitens, weil er wieder gestottert hatte. »Ich muß Sie nun doch um H-hilfe bitten, obwohl ich versprochen hatte ...«

»Was Sie wollen!« rief sie etwas zu eilig und fügte hinzu: »Um Petja zu retten.«

»Na ausgezeichnet.« Fandorin sah ihr prüfend in die Augen. »Aber die A-aufgabe ist sehr schwer und nicht angenehm. Ich möchte, daß Sie auch nach Bukarest fahren, Lucan ausfindig machen und v- versuchen, aus ihm schlau zu werden. Vielleicht kriegen Sie heraus, ob er wirklich so reich ist.

Setzen Sie auf seine Eitelkeit, seine Prahlsucht, seine D-dummheit. Er hat Ihnen ja schon einmal etwas ausgeplaudert. Vor Ihnen wird er bestimmt sein Gefieder spreizen.« Fandorin druckste. »Schließlich sind Sie eine attraktive junge Frau.«

Er hustete und kam durcheinander, denn Warja hatte vor Überraschung einen Pfiff ausgestoßen. Nun war also doch noch ein Kompliment von dieser Komturstatue gekommen. Natürlich war es ein kümmerliches Kompliment - »attraktive junge Frau« -, aber immerhin ...

Doch gleich verdarb er alles wieder.

»Natürlich können Sie nicht allein reisen, d-das sähe ja sonderbar aus. Ich weiß, daß d'Hevrais nach Bukarest will. Er wird sich nicht weigern, Sie mitzunehmen.«

Nein, das ist wirklich kein Mensch, das ist ein Stück Eis, dachte Warja. Den aufzutauen ist unmöglich. Sieht er denn nicht, daß der Franzose mir den Hof macht? Doch, er sieht alles, aber darauf, so würde Luschka sagen, pfeift er.

Fandorin schien ihre unzufriedene Miene auf seine Weise zu deuten.

»Um Geld machen Sie sich keine Sorgen. Ihnen steht ja ein G-gehalt zu, Reisespesen und so. Das kriegen Sie von mir. Kaufen Sie sich dort was, amüsieren Sie sich.«

»Mit Charles werde ich mich schon nicht langweilen«, sagte Warja rachsüchtig.

SIEBTES KAPITEL,

in welchem Warja des Rufs einer anständigen Frau verlustig geht

»Moskauer Gouvernementsnachrichten« vom 22. Juli (3. August) 1877 Sonntagsfeuilleton

»Als meine Wenigkeit erfuhr, daß diese Stadt, die in den vergangenen Monaten so erfolgreich von unseren Etappenhengsten in Besitz genommen wurde, seinerzeit gegründet worden ist von einem Fürsten Vlad mit dem Spitznamen Pfähler, auch bekannt unter dem Namen Dracula, wurde mir vieles klar. Jetzt begreife ich, warum man in Bukarest für einen Rubel bestenfalls drei Francs bekommt, warum ein erbärmliches Mittagessen in einer Schenke soviel kostet wie ein Bankett im >Slawischen Basar< und warum man für ein Hotelzimmer soviel bezahlen muß wie für die Miete des Buckingham­Palastes. Die verdammten Vampire saugen, saugen das Blut der Russen, lecken sich genießerisch den Mund und spucken auch noch aus. Am unangenehmsten ist, daß seit der Wahl eines drittklassigen deutschen Prinzen zum rumänischen Herrscher diese Donauprovinz, die ihre Autonomie ausschließlich Rußland verdankt, nach Wurst und Sülze riecht. Die Bojaren schauen verliebt auf Herrn Bismarck, und wir Russen sind für sie wie eine entfernt verwandte Ziege: Sie ziehen sie am Euter und rümpfen die Nase. Für wen vergießen die Russen denn ihr heiliges Blut auf den Schlachtfeldern von Plewna, wenn nicht für die rumänische Freiheit?«

Geirrt hatte sich Warja, sehr geirrt. Die Reise nach Bukarest geriet stocklangweilig.

Außer dem Franzosen reisten noch ein paar Presseleute zum Zeitvertreib in die Hauptstadt des rumänischen Fürstentums. Sie alle wußten, daß in den nächsten Tagen, vielleicht auch Wochen nichts Interessantes auf dem Kriegsschauplatz passieren würde - die Russen würden sich nicht so bald von dem Aderlaß von Plewna erholen, darum zog es die Bruderschaft der Journalisten zu den Verlockungen des Hinterlands.

Die Reisevorbereitungen dauerten lange, und erst am dritten Tag wurde aufgebrochen. Warja als Dame durfte mit MacLaughlin in der Kutsche fahren, die anderen ritten. Den Franzosen auf seinem schnellen Jatagan sah sie nur von weitem, unterhalten mußte sie sich mit dem Iren. Der erklärte ihr eingehend die klimatischen Bedingungen auf dem Balkan, in London und Mittelasien, plauderte über die Konstruktion der Federung seiner Kutsche und schilderte ausführlich etliche geistvolle Schachaufgaben. All das verdarb Warja die Laune, und wenn gerastet wurde, blickte sie sehnsüchtig auf die lebhaften Reisegefährten, darunter den von der Bewegung im Freien leicht geröteten d'Hevrais.

Am zweiten Reisetag - man hatte Alexandria hinter sich gelassen - wurde es besser, denn Surow hatte die Kavalkade eingeholt. Er hatte sich im Gefecht ausgezeichnet, General Sobolew hatte ihn als Adjutanten zu sich geholt und wollte ihn angeblich sogar für den Annenorden eingeben, doch der Rittmeister hatte sich statt dessen eine Woche Urlaub ausgebeten, um, wie er sagte, seine Knochen zu lockern.

Anfangs zerstreute Surow Warja mit Reiterkunststücken - pflückte im Galopp blaue Glockenblumen, jonglierte mit goldenen Zehnrubelmünzen und stellte sich auf den Sattel. Später unternahm er einen Versuch, mit MacLaughlin den Platz zu tauschen, und nachdem er eine phlegmatische, doch entschiedene Abfuhr erhalten hatte, ließ er den gehorsamen Kutscher auf seine rötliche Stute hinübersteigen und setzte sich selber auf den Bock; jede Minute den Kopf drehend, erheiterte er Warja mit Lügengeschichten über seinen Heldenmut und über die Ränke des eifersüchtigen Perepjolkin, mit dem der frischgebackene Adjutant im Hader lag. So gelangten sie ans Ziel.

Lucan zu finden war, wie Fandorin vorausgesagt hatte, nicht weiter schwierig. Der Instruktion folgend, stieg Warja im teuersten Hotel, dem »Royal«, ab, fragte den Portier nach dem Oberst und

erfuhr, daß son excellence hier wohlbekannt sei und gestern wie vorgestern im Restaurant getafelt habe. Gewiß werde er auch heute kommen.

Bis zum Abend war noch viel Zeit, und Warja machte einen Spaziergang durch die fashionable Calea Victoriei, die sie nach dem Leben im Zelt wie der Newski-Prospekt anmutete: elegante Equipagen, gestreifte Markisen über den Schaufenstern, südländische Frauen von blendender Schönheit, gut aussehende brünette Männer in hellblauen, weißen und sogar rosa Gehröcken, außerdem Monturen, Monturen, Monturen. Es wurde mehr russisch und französisch als rumänisch gesprochen. Warja nahm in einem richtigen Cafe zwei Täßchen Kakao und vier Stück Kuchen zu sich und zerfloß vor Behagen, aber als ihr Blick zufällig in die Spiegel eines Hutladens fiel, stieß sie einen Wehlaut aus. Deswegen also guckten die Männer durch sie hindurch!

Das Aschenbrödel im verschossenen hellblauen Fähnchen und brüchigen Strohhütchen war blamabel für eine russische Frau. Hier flanierten auf den Gehsteigen Messalinen, die nach der letzten Pariser Mode herausgeputzt waren!

Ins Restaurant kam Warja mit großer Verspätung. Sie war mit MacLaughlin um sieben verabredet, erschien aber erst gegen neun. Der Korrespondent der »Daily Post«, ein wahrer Gentleman, hatte ohne Murren dem Rendezvous zugestimmt (sie konnte ja nicht allein ins Restaurant gehen - man hielt sie womöglich für eine Kokotte), und er erwähnte auch die Verspätung mit keinem Wort, sah aber zutiefst unglücklich aus. Macht nichts, Schulden werden schön durchs Bezahlen. Er hatte sie während der ganzen Fahrt mit seinen meteorologischen Kenntnissen gemartert, mochte er jetzt Nutzen bringen.

Lucan war noch nicht im Saal, und aus Menschenfreundlichkeit bat Warja den Journalisten, ihr noch einmal die altpersische Verteidigung zu erklären. Der Ire, der die mit Warja vorgegangenen Veränderungen gar nicht wahrnahm (sie hatte dafür sechs Stunden gebraucht und fast den ganzen Spesenbetrag ausgegeben - sechshundertfünfundachtzig Francs), bemerkte mürrisch, eine solche Verteidigung kenne er nicht. Blieb nur die Frage, ob es in diesen Breiten Ende Juli immer so heiß sei. Er bejahte, fügte aber hinzu, das sei gar nichts im Vergleich zur feuchten Gluthitze von Bangalore.