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»Alle im Klub reden nur von Ihnen und warten ungeduldig auf Sie. Wissen Sie, nicht jeden Tag werden wegen einer schönen Dame die Klingen gekreuzt, noch dazu mit letalem Ausgang.«

Warja wartete argwöhnisch auf den Pferdefuß, aber der Gendarm lächelte noch süßer.

»Graf Surow hat schon die ganze Eskapade in den saftigsten Farben ausgemalt, und dann dieser Artikel ... «

»Welcher Artikel?« fragte Warja ernstlich erschrocken.

»Nun, unser in Ungnade gefallener d'Hevrais hat in der >Revue Parisienne< eine ganze Kolumne veröffentlicht, in der er den Zweikampf beschreibt. Romantisch. Sie nennt er nur >la belle m-lle S.<.«

»Und«, Warjas Stimme zitterte ein wenig, »gibt man mir die Schuld?«

Kasansaki zog die dichten Augenbrauen hoch.

»Allenfalls MacLaughlin und Perepjolkin. Aber der erste ist ein bekannter Nörgler, und der zweite kommt nur selten mal angeritten, höchstens mit Sobolew. Apropos, Perepjolkin hat für den letzten Kampf das Georgskreuz gekriegt. Für welche Verdienste wohl? Da sieht man's - zur rechten Zeit am rechten Ort sein ist alles.«

Der Oberstleutnant schmatzte neidisch und kam nun vorsichtig auf das Wichtigste zu sprechen.

»Alle rätseln, wo unsere Heldin geblieben ist, und was stellt sich heraus? Unsere Heldin ist mit wichtigen Staatsangelegenheiten beschäftigt. Na, was geht dem schlauen Herrn Fandorin durch den Sinn? Was für Hypothesen gibt es über die geheimnisvollen Notizen von Lucan? Wundern Sie sich nicht, Warwara Andrejewna, ich bin auf dem laufenden. Schließlich leite ich die Sonderabteilung.«

Sieh mal an, dachte Warja und runzelte die Stirn. Hab ich's doch gewußt. Wie flink der sich ins gemachte Bett legt.

»Erast Petrowitsch hat mir was erklärt, aber ich hab's nicht ganz verstanden«, sagte sie mit naivem Wimpernschlag. »Irgendwas mit >S< oder >J<. Fragen Sie am besten den Herrn Titularrat selbst. Jedenfalls ist mein Pjotr Jablokow gänzlich unschuldig, soviel steht fest.«

»Verrat hat er sich möglicherweise nicht zuschulden kommen lassen, aber verbrecherische Fahrlässigkeit bestimmt.« Die Stimme des Gendarmen hatte wieder das stählerne Klirren. »Mag Ihr

Bräutigam einstweilen sitzen, es geschieht ihm nichts.« Aber Kasansaki änderte sogleich wieder den Ton, er hatte sich wohl erinnert, daß er heute in einer anderen Rolle auftrat. »Es findet sich alles, Warwara Andrejewna. Ich bin nicht hochnäsig und stehe nicht an, einen Irrtum zu bekennen. Nehmen wir zum Beispiel den unvergleichlichen Monsieur d'Hevrais. Ja, ich gebe zu: Ich habe ihn verdächtigt und verhört und hatte Grund dazu. Wegen seines verhängnisvollen Interviews mit dem türkischen Oberst hat unsere Führung einen Fehler gemacht, der Menschenleben kostete. Ich hatte die Hypothese, daß Oberst Ali Bei eine mythische Person ist, die sich der Franzose ausgedacht hat, aus journalistischer Eitelkeit oder aus anderen, weniger unschuldigen Erwägungen. Jetzt sehe ich, daß ich ungerecht war.« Er senkte vertraulich die Stimme. »Wir haben Agentenmeldungen aus Plewna bekommen.

Osman Pascha hat tatsächlich einen Berater Ali Bei. Der zeigt sich fast nie in der Öffentlichkeit. Unser Mann hat ihn von weitem gesehen, er konnte nur einen schwarzen Vollbart und eine dunkle Brille ausmachen. D'Hevrais hat übrigens auch den Bart erwähnt.«

»Bart, Brille?« Warja senkte auch die Stimme. »Ist das nicht der, wie heißt er gleich, Anwar Effendi?«

»Psst!« Kasansaki sah sich nervös um und sprach noch leiser. »Ich bin sicher, daß er es ist. Ein sehr geschickter Herr. Er hat unseren d'Hevrais schön um den Finger gewickelt. Nur drei Bataillone, hat er gesagt, die Hauptkräfte kämen nicht so bald heran. Nicht besonders einfallsreich, aber elegant. Und wir Holzköpfe haben den Köder geschluckt.«

»Aber wenn am Mißerfolg des ersten Sturmangriffs d'Hevrais nicht schuld ist, sondern der von ihm getötete Lucan, der Verräter, dann ist doch der Journalist zu Unrecht ausgewiesen worden?« fragte Warja.

»So ist es. Der Ärmste hat einfach Pech gehabt.« Der Oberstleutnant machte eine wegwerfende Handbewegung und trat näher. »Sie sehen, wie offen ich zu Ihnen bin, Warwara Andrejewna. Ich habe Ihnen eine geheime Information mitgeteilt. Und Sie wollen mir eine Lappalie vorenthalten. Ich habe mir die Liste aus dem Notizbuch abgeschrieben und plage mich schon den dritten Tag damit herum, vergeblich. Zuerst dachte ich, eine Chiffre. Sieht nicht so aus. Ein Verzeichnis der Truppenteile oder ihrer Bewegungen? Verluste und Verstärkungen? Nun sagen Sie doch, was meint Fandorin?«

»Ich sage nur eines: Es ist viel einfacher«, bemerkte Warja herablassend, rückte an ihrem Hut und ging leichtfüßig zum Presseklub.

Die Vorbereitungen auf den dritten und endgültigen Sturmangriff gegen die Festung Plewna zogen sich über den ganzen glutheißen August hin. Obwohl die Zurüstungen strenger Geheimhaltung unterlagen, wurde im Lager offen darüber gesprochen, daß die Schlacht am 30. sein würde, dem Allerhöchsten Namenstag. Von früh bis spät fanden in den umliegenden Tälern und Hügeln gemeinsame Manöver von Infanterie und Reiterei statt, über die Straßen zogen Tag und Nacht Feld- und Belagerungsgeschütze. Die abgekämpften jungen Soldaten waren traurig anzusehen: durchgeschwitzte Feldblusen und staubgraue Mützen mit Sonnenschutztüchern, aber die allgemeine Stimmung war freudig und rachedurstig: Jetzt ist Schluß, unsere Geduld ist am Ende, wir Russen spannen langsam an, kommen aber schnell in Fahrt, wir klatschen die lästige Plewna-Fliege mit der ganzen Kraft unserer Bärentatze tot.

Im Klub und im Offizierskasino, wo Warja zu speisen pflegte, hatten sich alle in Strategen verwandelt - sie zeichneten Skizzen, warfen mit den Namen türkischer Paschas um sich, rätselten, von wo der Hauptschlag geführt würde. Ein paarmal kam Sobolew geritten, gab sich aber wichtig und geheimnisvoll, spielte auch nicht mehr Schach, sah Warja würdevoll an und klagte nicht mehr über das böse Schicksal. Ein Stabsmitarbeiter, den sie kannte, flüsterte ihr zu, der General werde bei dem bevorstehenden Angriff wenn nicht die Schlüssel-, so doch eine eminent wichtige Rolle spielen, und er befehlige nunmehr zwei Brigaden und ein Regiment. Also wurden seine Verdienste endlich anerkannt.

Ringsum herrschte lebhaftes Treiben, und Warja bemühte sich nach Kräften, sich von der allgemeinen Hochstimmung anstecken zu lassen, aber es gelang ihr nicht. Um die Wahrheit zu sagen, sie hatte die ewigen Gespräche über Reserven, Dislozierungen und Verbindungswege gründlich satt. Zu Petja durfte sie noch immer nicht, Fandorin lief finster wie die Nacht herum und beantwortete Fragen mit unartikuliertem Gebrumm, Surow zeigte sich nur als Begleiter seines Patrons, er warf Warja Blicke zu wie ein gefangener Wolf und schnitt dem Büfettier Semjon klägliche Grimassen, aber er spielte nicht und bestellte keinen Wein - bei Sobolew herrschte eiserne Disziplin. Flüsternd klagte er, daß Perepjolkin »die ganze Wirtschaft« an sich gerissen habe und keinen mehr atmen lasse. Und Sobolew stärke diesem Kerl auch noch den Rücken und dulde nicht, daß ihm mal eine anständige Abreibung verpaßt wurde. Wenn nur bald der Sturmangriff begänne!

In all den letzten Tagen war das einzige freudige Ereignis die Rückkehr von d'Hevrais, der, wie sich herausstellte, das Unwetter in Kischinjow abgewartet hatte und, nachdem er von seiner vollständigen Rehabilitierung erfahren hatte, an den Kriegsschauplatz zurückgeeilt war. Aber auch er war wie ausgewechselt. Er unterhielt sie nicht mehr mit spannenden Geschichten, vermied es, über das Bukarester Ereignis zu sprechen, sauste dauernd durch das Lager, um den versäumten Monat nachzuholen, und kritzelte Artikelchen für seine »Revue«. Warja fühlte sich ungefähr so wie im Restaurant des »Royal«, als die Männer, nachdem sie Blut gerochen hatten, wie von der Kette gelassen losstürmten und völlig vergaßen, daß sie existierte. Das war eine weitere Bestätigung dafür, daß sich im Mann das tierische Prinzip deutlicher ausprägte als in der Frau, daß die Frau die höher entwickelte Spielart des homo sapiens war, das feinere, kompliziertere Wesen. Es war nur schade, daß sie ihre Gedanken niemandem mitteilen konnte. Wenn die Krankenschwestern so etwas hörten, prusteten sie nur in die Hand, während Fandorin zerstreut nickte und an etwas ganz anderes dachte.