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»Euer Exzellenz!« schrie Perepjolkin, in die Erde sollte er versinken. »San Stefano! Steigen wir aus?«

Die Operation verlief reibungslos. Sie entwaffneten die verwirrte Bahnhofswache (lächerlich - sechs verschlafene Soldaten) und verteilten sich in Trupps von Zugstärke im Städtchen.

Solange von der Straße her spärlicher Schußwechsel zu hören war, wartete Sobolew im Bahnhof. Nach einer halben Stunde war alles beendet. Verluste: ein leicht Verwundeter, und den mochten die Eigenen irrtümlich getroffen haben.

Der General besichtigte flüchtig das von Gaslaternen beleuchtete Zentrum - etwas weiter begann ein dunkles Labyrinth krummer Gassen, und dorthinein zu gehen hatte keinen Sinn. Als Residenz und

Verteidigungsbollwerk (für den Fall von Unannehmlichkeiten) wählte Sobolew das massive Gebäude der Osmano-Osmanischen Bank. Eine der Kompanien bezog Posten vor der Bank und im Innern, die zweite blieb auf dem Bahnhof, und die dritte bewachte die umliegenden Straßen. Der Zug fuhr sofort zurück, um Verstärkungen zu holen.

Eine telegraphische Meldung an den Stab des Oberbefehlshabers über die Einnahme von San Stefano kam nicht zustande - die Verbindung war tot. Das mochte den Türken zu danken sein.

»Das zweite Bataillon trifft nicht vor morgen mittag ein«, sagte Sobolew. »Einstweilen ist nichts Interessantes zu erwarten. Betrachten wir die Lichter von Zargrad und verkürzen wir uns die Zeit mit angenehmem Geplauder.«

Der provisorische Stab wurde in der zweiten Etage eingerichtet, im Kabinett des Direktors. Erstens waren von den Fenstern aus tatsächlich die fernen Lichter der türkischen Hauptstadt zu sehen, und zweitens führte vom Kabinett aus eine Stahltür direkt in den Tresorraum der Bank. Dort standen auf Eisengestellen in gleichmäßigen Reihen versiegelte Säcke. D'Hevrais las die arabische Aufschrift und sagte, jeder Sack enthalte hunderttausend Lire.

»Und dabei wird erzählt, daß die Türkei bankrott ist«, sagte Mitja Gridnew verwundert. »Hier sind ja Millionen!«

»Genau darum bleiben wir in dem Kabinett«, entschied Sobolew. »Das ist sicherer. Mir haben sie schon einmal nachgesagt, ich hätte den Schatz des Chans geraubt. Das reicht.«

Die Tür zum Tresorraum blieb angelehnt, und keiner sprach mehr von den Millionen. Von der Bahnstation wurde ein Telegraphenapparat in das Vorzimmer gebracht, die Leitung lief direkt über den Platz. Alle Viertelstunde versuchte Warja, eine Verbindung wenigstens nach Adrianopel zu bekommen, aber der Apparat gab kein Lebenszeichen.

Es erschien eine Abordnung der örtlichen Kaufmannschaft und der Geistlichkeit und bat, die Häuser nicht zu plündern und die Moscheen nicht zu zerstören, sondern lieber eine Kontribution zu verhängen - so um die fünfzigtausend, mehr könnten die armen Städter nicht aufbringen. Als der Führer der Abordnung, ein dicker hakennasiger Türke mit Fes und Gehrock, begriff, daß er den legendären Weißen General vor sich hatte, wurde die Summe der angebotenen Kontribution sogleich verdoppelt.

Sobolew beruhigte die Einheimischen, indem er erklärte, er sei nicht ermächtigt, eine Kontribution zu erheben. Der Hakennasige schielte durch die angelehnte Tür in den Tresorraum und rollte respektvoll die Augen.

»Verstehe, Effendi. Hunderttausend Lire sind für einen so großen Mann eine Bagatelle.«

Neuigkeiten machten hier schnell die Runde. Keine zwei Stunden nach dem Besuch der San Stefanoer Bittsteller traf bei Sobolew bereits eine Abordnung der griechischen Händler aus Konstantinopel ein. Sie boten keine Kontribution an, sondern brachten »den tapferen; christlichen Kriegern« Süßigkeiten und Wein. Sie sagten, in der Stadt lebten viele Orthodoxe, und baten, nicht mit Kanonen zu schießen, und wenn das doch notwendig sei, dann nicht auf Pera, denn dort seien die Läden und Warenlager, sondern auf Galata oder, noch besser, auf das armenische und das jüdische Viertel. Sie versuchten, Sobolew einen mit Edelsteinen besetzten goldenen Säbel zu überreichen, wurden jedoch hinauskomplimentiert und schienen sich beruhigt zu entfernen.

»Zargrad!« sagte Sobolew erregt und blickte durchs Fenster auf die lichterflimmernde große Stadt. »Der ewige unerfüllbare Traum der russischen Herrscher. Hier liegt die Wurzel unseres Glaubens und unserer Zivilisation. Es ist der Schlüssel zum Mittelmeer. Wie nahe! Streck die Hand aus und greif zu! Ob wir wirklich wieder mit leeren Händen abziehen?«

»Das darf nicht sein, Euer Exzellenz!« rief Gridnew. »Das läßt der Herrscher nicht zu!«

»Ach, Mitja, ich denke, die Etappenhengste, die Kortschakows und Gnatjews, die schachern schon und wedeln vor den Engländern mit dem Schwanz. Sie haben nicht genug Mumm, sich das zu nehmen, was Rußland nach altem Recht gehört, nein, haben sie nicht! 1829 blieb Diebitsch in Adrianopel stehen. Wir sind jetzt bis San Stefan gekommen. Der Ellbogen ist nahe, aber hineinbeißen können wir nicht. Ich habe eine Vision - ein großes, starkes Rußland, das die slawischen Länder von Archangelsk bis Zargrad und von Triest bis Wladiwostok umfaßt. Erst dann werden die Romanows ihre historische Mission erfüllen und endlich von den ewigen Kriegen zur friedlichen Gestaltung ihres leidgeprüften Reiches übergehen können. Weichen wir aber zurück, so werden unsere Söhne und Enkel wieder ihr Blut und das anderer vergießen müssen, um zu den Mauern von Zargrad vorzudringen. Das ist nun mal der Leidensweg, den Rußland zu gehen hat!«

»Ich male mir aus, was sich jetzt in Konstantinopel tut«, sagte d'Hevrais zerstreut auf französisch und blickte ebenfalls zum Fenster hinaus. »General Sobolew in San Stefan! Der Palast in Panik, der Harem wird evakuiert, die Eunuchen hasten herum, ihre fetten Ärsche zittern. Ob Abd ul Hamid sich schon auf das asiatische Ufer zurückgezogen hat? Und niemand ahnt, daß Sie, Michel, nur mit einem Bataillon hierhergekommen sind. Wenn dies eine Pokerpartie wäre, könnte man das einen fabelhaften Bluff nennen, mit voller Garantie, daß der Gegner die Karten hinwirft und paßt.«

»Von Stunde zu Stunde wird's schwerer!« rief Perepjolkin beunruhigt. »Michail Dmitrijewitsch, Euer Exzellenz, hören Sie nicht auf ihn! Sie richten sich zugrunde! Auch so schon sind wir dem Wolf in den Rachen gekrochen! Was geht uns Abd ul Hamid an!«

Sobolew und der Korrespondent sahen einander in die Augen.

»Was habe ich eigentlich zu verlieren?« Der General ballte fingerknackend die Faust. »Na, wenn die Garde des Sultans mich tapfer mit Feuer empfängt, gehe ich eben zurück, und fertig. Charles, ist Abd ul Hamids Garde stark?«

»Die Garde ist gut, aber Abd ul Hamid läßt sie um keinen Preis von sich weg.«

»Also wird sie uns nicht verfolgen. Wir ziehen in Marschkolonne in die Stadt ein, mit wehender Fahne und Trommelschlag, und ich vornweg auf Gulnora.« Sobolew ging im Kabinett auf und ab und kam immer mehr in Fahrt. »Vor Tagesanbruch, damit nicht zu sehen ist, wie wenige wir sind. Und gleich zum Palast. Ohne einen einzigen Schuß! Wird man mir die Stadtschlüssel von Konstantinopel übergeben?«

»Ganz bestimmt!« rief d'Hevrais feurig. »Und das ist die vollständige Kapitulation!«

»Die Engländer vor vollendete Tatsachen stellen!« Der General hieb mit der Hand durch die Luft. »Ehe sie sich besinnen, ist die Stadt russisch, und die Türken haben kapituliert. Lassen wir's drauf ankommen! San Stefano einzunehmen hat mir auch niemand erlaubt.«

»Ein beispielloses Finale! Und ich bin unmittelbarer Zeuge!« sagte der Journalist aufgeregt.

»Nicht Zeuge, sondern Teilnehmer!« Sobolew klopfte ihm auf die Schulter.

»Ich lasse es nicht zu!« Perepjolkin baute sich vor der Tür auf. Er sah verzweifelt aus, seine braunen Augen quollen aus den Höhlen, auf der Stirn standen Schweißtropfen. »Als Stabschef lege ich Protest ein! Besinnen Sie sich, Euer Exzellenz! Sie sind doch General der Suite Seiner Majestät und kein Baschi-Bosuk! Ich beschwöre Sie!«